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Krisenbewältigung mit dem Stimmzettel

6. März 2010

Die Isländer stimmen in einem Referendum über die umstrittenen Entschädigungszahlungen an Großbritannien und die Niederlande wegen der Pleite der Icesave-Bank ab. Drei Viertel der Bürger dürften Nein sagen.

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Ein Ende 2009 vom isländischen Parlament mit knapper Mehrheit angenommenes Gesetz sieht eine schrittweise Rückzahlung von rund 3,9 Milliarden Euro an die Regierungen in London und Den Haag vor. Diese hatten ebenso viel Bares aufgewendet, um mehr als 300.000 britische und niederländische Bürger für den Verlust ihrer Spareinlagen bei Icesave zu entschädigen. Die Sparer hatten auf aggressive Zinsangebote der Online-Bank gesetzt. Sie verloren jedoch ihre Einlagen, nachdem die isländischen Institute mit voller Wucht von der Finanzkrise getroffen wurden. Nun wollen Großbritannien und die Niederlande das Geld für die Entschädigung der Anleger von Island zurückholen.

Die meisten Isländer werden an diesem Samstag (06.03.2010) aber höchstwahrscheinlich gegen das Gesetz stimmen. Dem ursprünglichen Vertrag mit Großbritannien und den Niederlanden zufolge müsste jeder der 320.000 Bürger acht Jahre lang monatlich 100 Euro zahlen, um die 3,9 Milliarden Euro aufzubringen - eine Schuldensumme, die zwei Drittel eines kompletten isländischen Jahreshaushalts ausmacht. Viele Isländer sehen nicht ein, dass sie für potenziell wohlhabendere Menschen auf dem Kontinent zahlen sollen, die den hohen Zinsversprechen der Icesave-Bank gefolgt waren.

Starker Einbruch der Wirtschaft

Protest gegen das Verhalten der Regierung in der Finanzkrise in der Hauptstadt Reykjavik im Januar 2009 (Foto : AP)
Blick zurück: Protest gegen das Verhalten der Regierung in der Finanzkrise im Januar vergangenen JahresBild: AP

Die schlechte wirtschaftliche Lage des Inselstaates tut ein Übriges: Erst am Freitag teilte die nationale Statistikbehörde mit, dass die isländische Wirtschaft im vergangenen Jahr so stark geschrumpft ist wie noch nie zuvor. Danach brach das Bruttoinlandsprodukt 2009 um 6,5 Prozent ein. 2007 war die Wirtschaftsleistung noch um sechs Prozent gewachsen, 2008 immerhin noch um ein Prozent. Der Einbruch geht vor allem auf einen massiven Rückgang der Ausgaben in Island zurück. Die Verbraucher gaben 2009 den Zahlen zufolge 14,6 Prozent weniger aus als noch ein Jahr zuvor, der Staat drei Prozent. Die Bruttoinvestitionen brachen um fast 50 Prozent ein.

Hinzu kommt: Briten und Niederländer haben nach der Ausrufung des Referendums längst ein verbessertes Abkommen vorgelegt. So sind die beiden Länder dem Vernehmen nach bereit, den Zinssatz für künftige isländische Schulden von ursprünglich 5,5 auf 2,75 Prozent zu senken. Und trotzdem müssen die Isländer über die frühere - härtere - Vereinbarung abstimmen. Dafür sind in erster Linie innenpolitische Scharmützel zwischen der Mitte-Links-Koalition von Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir und der bürgerlichen Opposition verantwortlich.

Schwierige Situation für rot-grüne Regierung

Ministerpräsidentin Sigurdardottir im isländischen Parlament (Foto: AP)
Blick getrübt: Regierungschefin Sigurdardottir bei Beratungen über das ReferendumBild: AP

Ein negativer Ausgang des Referendums wäre nämlich ein zweischneidiges Schwert für Sigurdardottirs junge Koalitionregierung aus Sozialdemokraten und Grünen. Einerseits könnte ein nachdrückliches Nein der Isländer bei den weiteren Verhandlungen mit Briten und Niederländern hilfreich sein. Anderseits würde ein solches Votum die Autorität der rot-grünen Koalition tief untergraben, die dem sogenannten Icesave-Deal im vergangenen Jahr zugestimmt hatte.

Und noch ein Problem sehen politische Beobachter: Island braucht dringend eine Einigung mit London und Den Haag über die den Sparern bereits gewährten Zahlungen. Ohne die Regelung werden zugesagte Kredite des Internationalen Währungsfonds und von anderen nordeuropäischen Staaten nicht freigegeben. Auch Verhandlungen über die angestrebte schnelle Aufnahme in die EU dürften andernfalls nicht in Gang kommen. Nicht umsonst hat Sigurdardottir deshalb schon versucht, die Flucht nach vorn anzutreten: Sie ließ bereits verlauten, dass für sie ein Rücktritt im Falle einer Ablehnung des Referendums nicht in Frage komme.

Autor: Stephan Stickelmann (apn, dpa, rtr, afp)
Redaktion: Hans Ziegler