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Politik

"Ein Krisenszenario für das politische System"

Nermin Ismail
21. Mai 2019

In Österreich muss nun auch Kanzler Kurz um sein Amt fürchten. Sollte ihm das Parlament mehrheitlich das Misstrauen aussprechen, müsse das aber noch nicht das Ende seiner Karriere bedeuten, meint Politologe Thomas Hofer.

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Österreich Wien Vereidigung neuer Minister | Sebastian Kurz
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Gruber

Deutsche Welle: Am Montag wird das Parlament über den Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz abstimmen. Was würde passieren, wenn Kurz das Misstrauen ausgesprochen wird?

Thomas Hofer: Dann wäre diese Regierung absolut zu Ende. Es wäre auch die Kanzlerschaft von Kanzler Kurz vorerst zu Ende. Der Bundespräsident müsste einen Experten oder Beamten mit der Regierungsbildung beauftragen, der auch die Amtsgeschäfte weiterführt. Diese Person wäre im Amt bis zur Bildung einer neuen Regierung nach der Nationalratswahl im September.

Das war noch nie da in Österreich, das wäre auch ein Krisenszenario für das politische System. Insofern gibt es jetzt noch das strategische Gezerre im Hintergrund: Es wird versucht, auf die Sozialdemokraten Druck auszuüben, dass sie diesem Misstrauensantrag nicht stattgeben.

Alle FPÖ-Minister haben die Regierung verlassen, nachdem Innenminister Herbert Kickl infolge der Ibiza-Affäre sein Amt aufgeben musste. Jetzt soll ein Übergangskabinett aus Experten die Regierung bis zu den Neuwahlen im September bilden. Wie handlungsfähig ist denn so ein Kabinett überhaupt?

Die Expertenregierung ist von Kanzler Kurz so angedacht, dass er und seine ÖVP-Minister bleiben und nur die vakant gewordenen Positionen mit Experten und Beamten besetzt werden. Große Gesetzesvorlagen sind da kaum zu erwarten. Denn auch mit Minderheitsregierungen hat Österreich kaum Erfahrung. Die Freiheitlichen sind jetzt in der Verweigerungshaltung, weil sie aus der Regierung rausgeworfen wurden. Insofern wäre das keine wirklich handlungsfähige Regierung mehr.

Welche konkreten Konsequenzen hätte ein Misstrauensvotum für den politischen Alltag Österreichs?

Es werden viele der Reformprojekte, die Kanzler Kurz als solche mit seinem FPÖ-Partner verkaufen wollte, scheitern. Man darf nicht vergessen: Es kam zu schweren Verwundungen bei der SPÖ, weil Gesetzesinitiativen unter massivem Widerstand der Sozialdemokraten durchgezogen wurden. Projekte, die jetzt im Gesetzwerdungsprozess sind, werden jetzt ganz schwer zu Ende zu führen sein. Es wäre da vieles auf Null zurückgedreht und es wäre schwierig, neue Initiativen zu starten.

Thomas Hofer, Politikberater H & P Public Affairs Gesellschaft mbH
Politik-Experte Thomas Hofer spricht von einer einzigartigen politischen Situation in ÖsterreichBild: H & P Public Affairs Gesellschaft mbH

Für Kurz wäre es eher eine symbolische Frage: Geht er als Kanzler oder nur mehr als Klub-Obmann seiner Parlamentsfraktion in die Wahl? Das würde einen Unterschied in seinem Auftritt machen. Und es ist sicher ein Punkt, auf den die SPÖ achtet, denn sie will Kurz nicht die Möglichkeit lassen, sich weiter als Bundeskanzler zu inszenieren.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner forderte, die gesamte Regierung müsse zurücktreten und gegen ein Übergangskabinett aus Experten ausgetauscht werden - also auch Kurz und seine ÖVP-Minister. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?

Das hängt vom Misstrauensantrag ab. Die SPÖ hat bereits erkennen lassen, dass der Antrag unterstützt oder ein eigener eingebracht werden könnte. Da gibt es eine recht große Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario zum Tragen kommt. Dann wäre der Bundespräsident gefordert, wenn nicht noch mehr Druck auf die SPÖ ausgeübt wird, dass sie ihre staatstragende Verantwortung trägt und ein Minderheitskabinett unterstützt. Aber wenn die SPÖ Kurz als Kanzler nicht mehr halten will, wird sie den Antrag unterstützen. Dann ist es relativ wahrscheinlich, dass es ein reines Expertenkabinett geben wird - erstmals in der Geschichte Österreichs.

Es braucht die SPÖ oder die FPÖ zur Stützung der Minderheitsregierung. Die FPÖ hat das jedoch bereits ausgeschlossen. Alles schaut nun also auf die Rolle der SPÖ. Ein Misstrauensantrag braucht eine einfache Mehrheit, die ist in dem Moment hergestellt, in dem SPÖ und FPÖ gegen Kanzler Kurz sind.

Wen könnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Interimskanzler benennen?

Das ist unklar. Es wird wohl eine respektierte Persönlichkeit sein müssen, die in der Öffentlichkeit überparteiliches Ansehen genießt. Da gibt es nicht allzu viele. Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer hat schon durchklingen lassen, dass er das eher nicht möchte. Er hat es zwar nicht komplett ausgeschlossen, aber Skepsis gezeigt. Das ist ein Szenario, das erst dann die Öffentlichkeit umtreiben würde, wenn wirklich klar ist, dass Kurz den Misstrauensantrag politisch nicht überlebt.

Sollte ein Misstrauensantrag Erfolg haben, wäre es das erste Mal, dass in Österreich ein Regierungschef auf diese Art und Weise abgewählt wird. Wird es Kurz schaffen, aus diesem Desaster politischen Profit zu schlagen oder ist es das Ende seiner politischen Karriere?

Österreich Wien Sebastian Kurz und Strache
Nach nur 500 Tagen ist die Koalition aus Kurz' konservativer ÖVP und der FPÖ gescheitertBild: picture-alliance/dpa/APA/G. Hochmuth

Von einem Karriere-Ende ist da keine Rede. Er würde trotzdem als Spitzenkandidat seiner Volkspartei antreten und hätte aus meiner Sicht keine schlechten Chancen, wieder als Stärkster über die Ziellinie zu gehen. Er wird versuchen, sich in die Opferrolle zu begeben. Wenn die SPÖ den Misstrauensantrag gegen ihn unterstützt, wird er ihr vorwerfen, ihrer staatstragenden Rolle in einer Krisensituation nicht nachgekommen zu sein.

Die Frage ist, ob da genügend Druck auf die Sozialdemokratie ausgeübt wird, so dass sie sich vielleicht doch nicht verweigert. Das ist Teil des politischen Schachspiels, in dem der letzte Zug noch nicht gemacht worden ist. 

Die Frage wird im September sein, wem trauen die Österreicher eher zu, dieses Land in die Zukunft zu führen. Da steht Kurz von den Imagewerten her aktuell noch immer ganz gut da und könnte sogar noch zulegen, wenn er sich ein paar Prozentpunkte von den Freiheitlichen holt. Aber es ist noch viel zu früh zu sagen, wie die Wahl ausgeht, denn die Situation ist insgesamt so volatil, dass da eine exakte Prognose nicht möglich ist.

Thomas Hofer ist österreichischer Politikberater, Politologe und Kommunikationswissenschaftler. 

Das Gespräch führte Nermin Ismail.