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Politik

Kritik an israelischen NGO-Verboten

26. Oktober 2021

Israel hat sechs palästinensische Nichtregierungsorganisationen wegen Terrorverdachts verboten. Doch das Verbot ist umstritten - und die Forderung nach konkreten Beweisen wird immer lauter.

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Palästina NGO
Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq ist eine der sechs von Israel unter Terrorvorwurf verbotenen NGOsBild: Majdi Mohammed/AP/picture alliance

Die Ankündigung kam unerwartet und sorgte schnell für erhebliche Kritik: Das israelische Verteidigungsministerium hatte am Freitagnachmittag sechs palästinensische Nichtregierungsorganisationen als "Terrororganisationen" eingestuft. Palästinensische Aktivisten, internationale Menschenrechtsorganisationen und einige US-Politiker warfen der israelischen Regierung vor, damit wichtige Stimmen zu möglichen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten palästinensischen Gebieten sowie deren Dokumentation zu verhindern. Auch bei israelischen Menschenrechtsorganisationen rief die Entscheidung scharfe Kritik hervor, während die Maßnahme vor allem im rechten Regierungslager in Jerusalem befürwortet wurde.

Den Organisationen wird vorgeworfen, ihre wahre Identität zu verschleiern und als Handlanger für die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zu agieren. Die kleine links-säkulare palästinensische Partei hat einen militanten Arm und ist Teil der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO.

Gazastreifen Protest
Anhänger der PFLP bei einer Demonstration im Gazastreifen, Dezember 2019Bild: imago images/ZUMA Press/M. Aijour

In der militärischen Anordnung des Verteidigungsministeriums heißt es, dass die "unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlicher Tätigkeiten agierenden Organisationen" in Realität ein Arm der Führungsriege der PFLP seien, deren Hauptziel "die Befreiung Palästinas und Zerstörung Israels" sei. Die PFLP ist sowohl in Israel als auch in der EU sowie in den USA als Terrororganisation eingestuft.

Zudem wirft das Verteidigungsministerium den Organisationen vor, als finanzielle Unterstützer für die PFLP zu agieren, indem sie Fördergelder europäischer Staaten, von Organisationen der Vereinten Nationen und anderen genutzt hätten. Beweise für die Behauptungen wurden bislang nicht veröffentlicht.

Wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen

Unter den Organisationen befinden sich prominente und seit langem tätige NGOs wie die Menschenrechtsorganisation "Al Haq"  in Ramallah, die seit vielen Jahren Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten dokumentiert - und zwar sowohl von Israel als auch von Palästinensern. "Addameer" setzt sich für die Rechte von palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen ein. Die anderen vier Organisationen sind der Verband "Defense for Children International-Palestine", die "Union of Agricultural Work Committees", das "Bisan Center for Research and Development" sowie die "Union of Palestinian Women's Committees".

Palästina NGO
Die nun verbotene Hilfsorganisation "Addameer" setzt sich für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen einBild: MOHAMAD TOROKMAN/REUTERS

Der Leiter von Al Haq, Schawan Dschabarin, wies die Vorwürfe entschieden zurück und rief auf einer gemeinsam mit anderen Organisationen einberufenen Pressekonferenz in Ramallah die internationale Gemeinschaft dazu auf, Israels Vorgehen entschieden zu verurteilen.

"Das ist eine politische Entscheidung von Israel, und hat nichts mit Fragen der Sicherheit zu tun" so Dschabarin. "Diese Entscheidung folgt einer Serie von institutionalisierten Praktiken, die darauf abzielen, palästinensische Menschenrechtsorganisationen und Menschenrechtler zu verleumden, sie auf internationaler Ebene zum Schweigen zu bringen, ihre Arbeit zu attackieren und ihre Ressourcen zu erschöpfen."

Schwerwiegende Folgen für die Zivilgesellschaft 

Basierend auf Israels Anti-Terror-Gesetzgebung kann das Land die Organisationen verbieten, Büros schließen, Vermögen beschlagnahmen und Mitarbeiter festnehmen lassen. Auch Finanzgeber können strafrechtlich verfolgt werden. Das bedeutet nicht nur ein erhebliches Risiko für die Angestellten, die strafrechtlich verfolgt werden können, sondern auch für die generelle Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die damit kriminalisiert werden, so Beobachter. Die betroffenen Organisationen können laut Anordnung Einspruch gegen die Entscheidung erheben. 

Auch für internationale Geldgeber - darunter europäische und deutsche Institutionen, die mit palästinensischen Partnerorganisationen zusammenarbeiten - stellt diese Entwicklung eine Herausforderung dar.

Peter Stano I  Sprecher der Europäischen Kommission für Außen- und Sicherheitspolitik
"Nehmen die Vorwürfe sehr ernst" - EU-Kommissionssprecher Peter StanoBild: Dursun Aydemir/AA/picture alliance

"Es sorgt für sehr viel Unsicherheit und wirft ernste Fragen auf, wie wir hier weiterarbeiten können", sagt ein in Ramallah tätiger internationaler NGO-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte. Europäische Regierungen könnten sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, terroristische Gruppen zu finanzieren.

Die Entscheidung kommt zu einem Zeitpunkt, in dem einige europäische Länder die Beziehungen mit der neuen israelischen Regierungskoalition vertiefen wollten. "Wir nehmen dies sehr ernst, wir gehen den Vorwürfen nach und sind zur weiteren Klärung im Kontakt mit den israelischen Partnern", sagte EU-Sprecher Peter Stano in Brüssel. "Die EU-Finanzierung palästinensischer zivilgesellschaftlicher Gruppen ist ein wichtiges Element unserer Unterstützung der Zwei-Staaten Lösung", sagte Stano und fügte hinzu, dass sich die EU auch weiterhin am internationalen Völkerrecht orientiere und die Zivilgesellschaft unterstützen werde. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Schtaje wird diese Woche in Brüssel erwartet; sein Besuch war schon seit längerer Zeit geplant.

Die humanitäre Koordinatorin der Vereinten Nationen, Lynn Hastings, sagte, dass die Klassifizierung den Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet "noch weiter erhöhe". Auch die UN sei im Kontakt mit den israelischen Behörden, um mehr über die Vorwürfe zu erfahren.

Forderung nach Beweisen

Israel hat bereits zuvor die PFLP beschuldigt, sich über Nichtregierungsorganisationen zu finanzieren, und dass NGO-Mitarbeiter mit angeblichen Verbindungen zur PFLP in terroristischen Anschlägen gegen israelische Bürger involviert seien.

Frühere Anschuldigungen über den Missbrauch von EU-Mitteln in Bezug auf eine Reihe palästinensischer Partnerorganisationen hätten sich als unbegründet herausgestellt, sagte EU-Sprecher Stano. Die EU "befinde sich in dieser Sache im Austausch mit den israelischen Stellen."

Auch in Israels Regierungskoalition - einem Bündnis aus rechten, Mitte-links- und linken Parteien sowie einer arabischen Partei, sorgte die Anordnung von Verteidigungsminister Benny Gantz für Verstimmung. Aus dem rechten Lager gab es Zustimmung, die linke Meretz-Fraktion hingegen stellte das Vorgehen von Gantz in Frage. Der zu Meretz gehörende Gesundheitsminister Nitzan Horowitz rief den Verteidigungsminister dazu auf, dem Kabinett die Beweisgrundlagen vorzulegen, die zu der Entscheidung geführt hatten. In israelischen Medien wurde von nicht näher genannten Sicherheitskreisen berichtet, die behaupten, dass es "eindeutige" Beweise gegen die Organisationen gebe.

Israel Verteidigungsminister Benny Gantz
Israels Verteidigungsminister Benny Gantz hatte das Verbot der Organisationen angeordnetBild: Jack Guez/AFP

Auch die US-Regierung hatte mehr Informationen angefordert. Bereits am Freitag hatte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, vor Journalisten gesagt, dass die USA keinerlei "Vorwarnung" in der Sache erhalten hätten und nun "mehr Informationen" von Israel erwarteten. Dies wurde nach Medienberichten von Sicherheitskreisen in Israel zurückgewiesen. Eine israelische Delegation, unter anderem auch Vertreter des israelischen Inlandgeheimdienstes Schin Bet, werden diese Woche in Washington erwartet, um die als geheim eingestuften Beweise vorzulegen.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin