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Kritik an staatlichem Krisenmanagement

Nemanja Rujevic28. Mai 2014

Das Wasser zieht sich wieder zurück, doch in den überschwemmten Gebieten Serbiens bleiben zerstörte Häuser, Straßen und Brücken. Die Bürger sind verärgert und fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen.

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Eine Frau watet durch das Hochwasser Wasser in Belgrad, Serbien (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Obrenovac ist zurzeit eine Stadt ohne Einwohner. Polizisten, Soldaten und Müllmänner in orangen Westen laufen hektisch hin und her, um alles für die Rückkehr der Bürger des kleinen Ortes vorzubereiten. Man müsse die Gegend desinfizieren, in einigen Stadtteilen fehlten noch Strom und sauberes Leitungswasser, so die offiziellen Angaben. Noch vor eine Woche waren hier Straßen und Häuser komplett überschwemmt. "Ein Freund hat mir erzählt, dass unsere Häuser teilweise zerstört und die Möbel nicht mehr nutzbar sind", sagte Dušan Martinov aus einem Vorort von Obrenovac im Gespräch mit der DW. Wie Tausende seiner Mitbürger befindet sich Martinov in der 30 Kilometer entfernten serbischen Metropole Belgrad - in einer Notunterkunft. "Wie und wohin sollte man überhaupt zurückkehren?" fragt der verzweifelte Mann.

Vom serbischen Premier Aleksandar Vučić bekommen die Flutopfer tröstende Worte und Versprechen zu hören: "Bis Ende September wird der Staat die zerstörten Häuser wiederaufbauen oder erneuern. Wir werden womöglich auch Elektrogeräte zur Verfügung stellen", erklärte Vučić im Dorf Krupanj, in dem es zu schweren Erdrutschen gekommen war.

In Serbien seien 3500 Kilometer Straße und 80 Brücken durch die verheerenden Fluten zerstört worden, die Schäden werden auf mehr als eine Milliarde Euro beziffert, schätzen die Regierenden in Belgrad. Als EU-Beitrittskandidat kann Serbien Finanzmittel aus dem europäischen Solidaritätsfonds beantragen. Doch diese Mittel könnten voraussichtlich nur knapp fünf Prozent der Kosten decken, rechnet die serbische Presse vor.

Was macht der Staat?

Viele Menschen in Serbien organisieren sich inzwischen selbst und helfen den Flutopfern. Massenweise sammeln und transportieren sie Lebensmittel in die Katastrophengebiete, bieten kostenlos Zimmer über Twitter an, oder bauen Sandsackdämme - für den Fall, dass noch eine Flutwelle kommt. Doch diese Solidarität kann kaum ein effizientes Vorgehen des Staates ersetzen, meint der serbische Blogger und PR-Experte Mihailo Tešić. "Die Menschen reagieren und helfen, wenn sie unter Schock stehen. Wenn die Verzweiflung zu lange dauert, wird dieses Gefühl aber nachlassen. Die Menschen haben eigene Probleme, die meisten sind bitterarm", erklärt Tešić.

Stühle und ein Fernseher in einem verlassenen Haus in der Nähe von Obrenovac, Serbien (Foto: DW)
Ein Haus in der Nähe von Obrenovac, das überschwemmt wurdeBild: DW/N. Cukucan

Seit die Gefahr der Flut vorbei ist, häufen sich die Vorwürfe gegen die Regierung in Belgrad und lokale staatliche Behörden. Der Oppositionspolitiker Goran Ješić von der Demokratischen Partei zeigte sich empört: "Die sozialen Netzwerke haben präzisere Informationen vermittelt als klassische Medien. Ausgerechnet die Regierung war die Hauptquelle von Fehlinformationen und Panikmache", behauptet Ješić im DW-Gespräch. Zum Beispiel sagte Premier Vučić an den ersten Tagen der Überschwemmungen, er wolle keine Opferzahlen nennen, obwohl es viele Tote gebe. Zu jenem Zeitpunkt wussten viele Menschen nicht, wo ihre Angehörigen waren, und gerieten durch diese Aussage erst recht in Panik.

Das linksliberale Internet-Portal Peščanik schreibt, der Notstand sei erst drei Tage nach der apokalyptischen Wettervorhersage ausgerufen worden: Wäre das sofort passiert, hätte es genug Zeit gegeben, um Dämme auszubauen und die Ortschaften zu evakuieren. Doch Hunderte von Betroffenen berichten in sozialen Netzwerken, man hätte sie nicht einmal gewarnt, dass die Flüsse die Städte überschwemmen würden. "Ich bin wütend, vor allem weil viele Kinder in Gefahr waren", sagte eine Frau aus Obrenovac. "Man hätte uns warnen sollen", kritisiert sie. Nach offiziellen Angaben sind in Serbien fast 40 Menschen bei den Überschwemmungen gestorben.

Selbstinszenierung der Politiker

Unterdessen hätten Spitzenpolitiker versucht, die Katastrophe zur Selbstdarstellung zu instrumentalisieren, behauptet der Blogger Tešić. Premierminister Vučić reichte Flutopfern eigenhändig Decken und Wasserflaschen - vor laufenden Fernsehkameras. Er und seine Minister hätten versucht, sich als zupackende Politiker zu präsentieren, kritisiert Tešić. "Das war eigentlich ein PR-Desaster." Verärgert seien vor allem die Betroffenen, sowie die Menschen, die sich auf Facebook und Twitter aus erster Hand informieren. "Doch leider sitzen die meisten Serben täglich lange vor dem Fernseher. Studien zeigen, dass wir in diesem Bereich weltweit ganz vorne sind. Und systemkonforme Sender werben für die Regierung und berichten kritiklos."

Eine Frau in Serbien auf der Treppe ihres überschwemmten Hauses (Foto: DW)
Viele Bürger fühlen sich von den Behörden im Stich gelassenBild: DW/N. Cukucan

Doch selbst im Internet-Himmel herrscht nicht überrall Freiheit. Regierungskritische Seiten werden gehackt, Blogs plötzlich gelöscht: Serbiens Bürger-Ombudsmann Saša Janković sagte, "immer häufiger" gebe es Erkentnisse, dass "einzelne Berichte und Kritik" aus öffentlich zugänglichen Medien zurückgezogen würden.

Die Regierenden weisen den Vorwurf eines schlechten Krisenmanagements zurück. Eine Naturkatastrophe könne man nicht verhindern, erklärten viele Politiker. Der serbische Präsident Tomislav Nikolić schockierte die serbische Öffentlichkeit mit der Aussage, die Regierung habe alles gut gemacht, aber die Bürger hätten die Hilfe verweigert und Aufrufe zur Evakuierung ignoriert. "Die Bürger müssen aus dieser Situation eine Lehre ziehen", so Nikolić. In diese Debatte mischten sich auch führende Köpfe der Serbisch-Orthodoxen Kirche und rechtsextreme Parteien ein. Sie sind sich einig, dass die Überschwemmungen eine "Warnung Gottes" wegen der geplanten Gay-Pride-Parade in Belgrad seien.