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Die Pressefreiheit hat in Russland einen schweren Stand

27. April 2010

Unaufgeklärte Morde an kritischen Journalisten, Berichte von Repressalien und Übergriffen sowie eine zunehmende Selbstzensur: Die Pressefreiheit hat in Russland nach wie vor einen schweren Stand.

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Menschenrechtsaktivisten halten am Sonntag (07.10.2007) in Berlin vor der russischen Botschaft Fotos der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja in die Luft. Ein Jahr nach dem Mord an Politkowskaja in Russland nahmen rund 50 Aktivisten an einer Gedenkveranstaltung teil. Foto: Johannes Eisele dpa/lbn +++(c) dpa - Report+++***Zu Fürstenau, Russland und Simbabwe im Fokus - Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen***
Demo vor russischer BotschaftBild: picture-alliance/ dpa

Russland rangiert in der Liste der Staaten mit Pressefreiheit bei der Organisation "Reporter ohne Grenzen" nach wie vor weit hinten auf Platz 153. "Kein Wunder", sagt der ehemalige Korrespondent des Ersten Deutschen Fernsehens (ARD) in Moskau, Fritz Pleitgen, beim Mediendialog, einem Symposium der Deutsche Welle Medien- Akademie. Die Vorstellung von Medien als "Vierter Gewalt" und als Kontrollinstanz, die den Mächtigen auf die Finger schaue, habe in Russland keinerlei Tradition, so Pleitgen.

Das Forum hatte russische Internet-Journalisten, deutsche Auslandskorrespondenten in Russland sowie Medienexperten zu einem Meinungsaustausch über die Möglichkeiten freier Berichterstattung in Russland eingeladen. Die Konklusion der Teilnehmer: Die Einschränkungen der Presse haben in den letzten Jahren wieder zugenommen, sind allerdings Lichtjahre von der Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu Zeiten der Sowjetunion entfernt. Im Unterschied zur Sowjetzeit könne in vielen Teilen des Landes heute relativ frei berichtet werden. Die Einschränkungen der Pressefreiheit gebe es insbesondere im investigativen Journalismus, vor allem in Krisenregionen wie Tschetschenien, Inguschetien oder Dagestan.

Lebensbedrohliche Wahrheitsfindung

Russland Moskau Gedenken an Anna Politkowskaja
Moskau: Gedenken an Anna PolitkowskajaBild: RIA Novosti

"Dort die Wahrheit zu sagen, geschieht immer unter Einsatz des Lebens", sagte Fritz Pleitgen, der die große Zahl der unaufgeklärten Morde an russischen Journalisten über die letzten Jahre hinweg beklagte. Anna Politkowskaja, Anastasia Baburowa oder die Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa, um nur einige der prominentesten Mordfälle unter Journalisten zu nennen, deren Zahl von der Organisation "Reporter ohne Grenzen" seit 2006 mit über 20 angegeben wird.

Betrachtet man die unterschiedlichen Mediengattungen, so ergibt sich für die Experten ein recht differenziertes Bild. Vor allem im Bereich des Fernsehens ist Journalismus in Russland noch immer staatlich gelenkt. Der nationale 1. Kanal und der nationale Rundfunk, RTR, unterstehen eindeutig der Kontrolle des Kreml. "Regelmäßig freitags, bei Bedarf auch noch öfter, werden die Fernsehverantwortlichen dorthin einbestellt. Danach wissen sie, was sie zu tun haben. Das überträgt sich auf die Mitarbeiter – die haben alle die berühmte Schere im Kopf", weiß Fritz Pleitgen. Und die Chefredakteurin der unabhängigen Online–Nachrichtenagentur lenta.ru, Galina Timchenko, ergänzt, dass gerade die staatlich ausgebildeten jungen Journalisten ein hohes Maß an antrainierter Selbstzensur an den Tag legen.

Kritischer Zeitungsjournalismus

Die Berichterstattung in den Printmedien ist zwar freier, allerdings auch von stark rückläufigen Auflagen geprägt. So hat etwa die von der Gorbatschow-Stiftung herausgegebene Nowaja Gazeta nur noch eine Auflage von 270.000. Diese Zeitung bringt immer wieder Artikel über Korruption, organisierte Kriminalität und deren Verbindung zu russischen Amtsträgern.

Im Radiobereich gilt der unabhängige Sender "Echo Moskwy" als eine der letzten Bastionen der Pressefreiheit in Russland. Aber auch im Äther hat sich Russland unter den Präsidenten Putin und Medwedew abgeschottet. So dürfen im Ausland produzierte Sendungsinhalte, wie etwa die des Russischen Programms der Deutschen Welle, nur nach dem Erwerb einer besonderen Lizenz in Russland ausgestrahlt werden, was den Partnerstationen die Übernahme entsprechender Inhalte deutlich erschwert.

Schikane für Auslandskorrespondenten

Mediendialog, Russland Medien zwischen Staatslenkung und Kommerzialisierung, in der Deutsche Welle, Panel, v.l. Boris Reitschuster, Carsten v. Nahmen, Galina Timchenko, Annika Sehl, Ingo Mannteufel, 21.04.2010,
Diskussion über Russlands Medien in der Deutschen Welle, v.l. Boris Reitschuster, Carsten v. Nahmen, Galina Timchenko, Annika Sehl, Ingo Mannteufel (21.04.2010)Bild: DW

Auslandskorrespondenten berichten immer wieder von Übergriffen der Staatsgewalt. So berichtete der Moskauer Korrespondent des deutschen Nachrichten-Magazins "Focus", Boris Reitschuster, plastisch, wie er auf Schritt und Tritt überwacht und seine Wohnung abgehört werde. Aber auch von weniger subtilen Methoden der Einschüchterung: "Ein ganz hoher Beamter hat zu mir im privaten Gespräch gesagt: 'Sie gehören doch erschossen'." Auch Ministerpräsident Putin habe sich schon bei seinem Verleger höchst persönlich über ihn beschwert. Festnahmen und andere Schikanen gehören für den kritischen Russlandkorrespondenten nach eigenen Angaben zum Alltag.

Mediendialog Russland Medien zwischen Staatslenkung und Kommerzialisierung in der Deutsche Welle, Galina Timchenko Chefredakteurin "lenta.ru", 21.04.2010
Galina Timchenko Chefredakteurin "lenta.ru"Bild: DW

Wer geglaubt hatte, das Internet würde den Russen die lang ersehnte Pressefreiheit im Netz bescheren, hat sich getäuscht. Galina Timchenko, Chefredakteurin des 1999 vor den Terroranschlägen auf Moskauer Wohnhäuser gegründeten Online-Dienstes Lenta.ru, verweist dabei auf die fehlenden technischen Möglichkeiten. Trotz steigender Nutzerzahlen sei ein Internetzugang in Russland außerhalb der Region Moskau eher noch die Ausnahme, sagt sie. Außerdem tummelten sich im Internet vor allem die "Kids" der Putin-Ära. Und die seien weniger an freier politischer Berichterstattung als an Erotik, an Lifestyle-Themen und Klatsch und Tratsch über Prominente interessiert.

Gehirnwäsche auch im Internet

"Eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit im Netz sehe ich im Konsumentenverhalten. Wir haben es mit den Folgen von zehn Jahren öffentlicher Gehirnwäsche zu tun. Die Kinder der Putin-Jahre sind an Bürgerrechten überhaupt nicht interessiert“, so die Chefredakteurin des Online-Dienstes.

Diese Erfahrungen decken sich auch mit den Untersuchungen der Diplomjournalistin Anika Sehl von der technischen Universität Dortmund. Russland sei inzwischen zum sechstgrößten Werbemarkt Europas geworden, weshalb auch viele ausländische Verlage mit Zeitschriften auf den russischen Markt drängten, so ihr Fazit. Doch dabei dominierten bunte Titel aus dem seichten Unterhaltungssegment eindeutig vor seriöser politischer Berichterstattung. Wie überhaupt in Russland auch die Finanzierung unabhängiger, seriöser Berichterstattung immer schwieriger zu werden scheint. Nicht zuletzt weil, anders als in Deutschland, wo noch fast 50 Prozent der Bevölkerung eine Tageszeitung lesen, es in Russland nur noch sieben Prozent sind.

Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Gero Rueter