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PolitikKroatien

Kroatien: "Orbanisiert" sich der EU-Musterschüler?

15. März 2024

Trotz heftiger Proteste hat das kroatische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die journalistische Arbeit erschwert. Auch andere Maßnahmen des scheidenden Premiers Andrej Plenkovic geben Anlass zur Sorge.

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Eine große Gruppe von Demonstranten läuft durch eine Straße, im Vordergrund ist ein rotes Plakat zu sehen, auf dem Kroatiens Premier Andrej Plenkovic (l.) neben Serbiens Präsident Aleksandar Vucic abgebildet ist.
In den vergangenen Wochen kam es in Kroatien immer wieder zu Demonstrationen gegen die Politik des Premiers Andrej Plenkovic, wie hier Mitte Februar 2024 in ZagrebBild: Darko Bandic/AP/picture alliance

Am Ende ging es dann doch recht schnell: Nach einer zwar heftigen, aber kurzen Diskussion hat das kroatische Parlament in der letzten Sitzung in dieser Legislaturperiode am vergangenen Donnerstag (14.03.2024) mit den Stimmen der regierenden Koalition eine hochumstrittene Änderung im Strafgesetz beschlossen. Durch sie wird die Weitergabe von Informationen aus polizeilichen Ermittlungen an Journalisten als Straftat bewertet und verfolgt. Den überführten Whistleblowern drohen mehrjährige Freiheitsstrafen.

Seit Andrej Plenkovic, kroatischer Regierungschef und Vorsitzender der stärksten Partei im Land, der nationalkonservativen Kroatischen Demokratischen Union (HDZ), vor sechs Monaten die Einführung des neuen Straftatbestands der "unerlaubten Offenlegung des Inhalts einer Ermittlungs- oder Beweismaßnahme" angekündigt hatte, hatten Opposition und Journalistenverbände die Regierung heftig kritisiert.

Ein "Gesetz der gefährlichen Absichten"

Mehrere tausend Journalisten unterzeichneten eine Petition gegen den neuen Gesetzesartikel, es wurden Demonstrationen gegen die Regierung organisiert, bei Parlamentsdebatten und Pressekonferenzen wurden harte Worte und heftige Anschuldigungen ausgeteilt.

Ein leicht ergrauter Mann, Andrej Plenkovic, steht im Anzug vor Mikrofonen und gestikuliert, im Hintergrund ist eine Kroatien-Fahne zu sehen.
Entschärft auf den letzten Drücker noch Mechanismen zum Schutz gegen Korruption: Kroatiens scheidender Premier Andrej PlenkovicBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Es handele sich um ein "Gesetz zur Verschleierung der politischen Korruption", waren sich viele Oppositionspolitiker und Kommentatoren in regierungskritischen Medien einig. Premier Plenkovic wurde mal mit Hitler verglichen, ein anderes Mal mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orban und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic. Der Regierung wurde vorgeworfen, sie versuche, "die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung zu unterdrücken und die Demokratie zu ersticken, was die Merkmale eines totalitären Regimes sind", und dass "das Land von der Mafia besetzt ist, die an der Macht ist". Es entstehe ein "Gesetz der gefährlichen Absichten", das "die verschiedenen Formen der Veruntreuung öffentlicher Gelder und der Kriminalität, die die kroatische Gesellschaft beherrschen, verbergen soll". In den Medien sprach man von einer "Lex AP" - kurz für Premier Andrej Plenkovic, der das Gesetz, trotz aller Kritik, weiterverfolgte.

Einschränkung der Meinungsfreiheit

Kroatien wird seit Jahren von immer neuen Korruptionsskandalen erschüttert. Als Premier wechselte Plenkovic in den vergangenen acht Jahren etwa 30 Minister aus - einen Großteil davon aufgrund ihrer Verwicklung in verschiedene Skandale. Die meisten von ihnen wurden von den Medien aufgedeckt, nachdem Whistleblower ihnen belastende Informationen, etwa den Inhalt von SMS oder privaten E-Mails, zugespielt hatten.

Nach Ansicht von Maja Sever, Präsidentin des Kroatischen Journalistenverbandes und der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), ist genau dies der Grund für die aktuelle Novelle des Strafgesetzbuches. "Das ist Plenkovic politisch zu gefährlich geworden. Deswegen versucht er, das zu unterbinden", sagt sie der DW.

Maja Sever
Die kroatische Journalistin und Präsidentin der EJF, Maja SeverBild: SNH

"Diese Gesetzesverschärfung stellt eine Kriminalisierung von Journalisten als Täter oder Mittäter einer Straftat dar", kritisiert Sever. Durch das Gesetz werde die Medienfreiheit in Kroatien eingeschränkt. "Wenn es sich um eine Straftat handelt, stehen der Polizei dadurch viel mehr Maßnahmen gegen Journalisten zur Verfügung als sonst. Sie kann deren Handys, Laptops oder Redaktionsräume durchsuchen, um die Informationsquelle zu finden. Das ist ein Angriff auf die freie Berichterstattung", warnt Sever.

Die Regierung weist diese Vorwürfe zurück. Ziel der Gesetzesverschärfung sei es lediglich, "die Unschuldsvermutung sicherzustellen" und "die Persönlichkeitsrechte der Menschen, gegen die Ermittlungen laufen, zu schützen", erklärte der kroatische Justiz- und Verwaltungsminister Ivan Malenica.

Inzwischen hat auch der Europarat seine Besorgnis über die Entwicklung der Mediensituation in Kroatien geäußert. Im kürzlich veröffentlichten Jahresbericht zur Medienfreiheit wird Kroatien an mehreren Stellen erwähnt. In Bezug auf die Lex AP wird hervorgehoben, dass "Kritiker davor warnen, dass dieses Gesetz den unabhängigen Journalismus in Kroatien beenden und eine neue Ära staatlich kontrollierter Medien prägen könnte. Das steht im Widerspruch zu den europäischen Standards."

Ein Musterschüler wandelt sich

Aber es ist nicht nur die Änderung des Strafgesetzes: Mehrere weitere Maßnahmen von Andrej Plenkovic zeugen von seinem für viele Beobachter überraschenden Wandel vom europäischen Musterschüler, der noch bis vor Kurzem in der Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen vorbildlich war, in eine Richtung, die autoritäre europäische Politiker vor ihm eingeschlagen haben - allen voran der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.

Verschiedene EU-Regierungschefs stehen vor einer blauen Wand zusammen, im Hintergrund sind eine spanische und eine EU-Fahne zu sehen.
Eifert der eine dem anderen nach? Kroatiens Premier Andrej Plenkovic (3.v.l.) und Ungarns Viktor Orban (4.v.l.) am Rande eines EU-Treffens in Granada im Oktober 2023Bild: Juan Medina/REUTERS

So setzte Plenkovic allen Warnungen und Protesten zum Trotz "seinen" Mann Ivan Turudic als neuen Generalstaatsanwalt ein, obwohl der ehemalige Richter erwiesenermaßen wiederholt falsche Angaben gemacht hat. So soll er vertraulich mit in Korruptionsaffären verwickelten Personen kommuniziert haben und sich mindestens zwei Mal mit dem wegen Korruption und Unterschlagung angeklagten ehemaligen Präsidenten des Fußballvereins Dinamo Zagreb getroffen haben, während gegen diesen noch Ermittlungen liefen. Als Generalstaatsanwalt ist Turudic nun unter anderem bei großen Korruptionsfällen zuständig. Turudic wurde bereits im März vereidigt, obwohl er sein Amt erst Ende Mai antreten wird - damit die Vereidigung noch in die jetzige Amtszeit von Plenkovic fällt und vor den anstehenden Wahlen stattfindet. Alle Richter des Verfassungsgerichts boykottierten den feierlichen Akt - ein für kroatische Verhältnisse äußerst ungewöhnlicher Schritt.

Gleichzeitig streitet Plenkovic öffentlich mit der Europäischen Staatsanwaltschaft, die für die Einleitung von Gerichtsverfahren wegen krimineller Betrugs- und Korruptionsdelikte zum Nachteil des EU-Haushalts zuständig ist. Sowohl der Premierminister als auch der neugewählte Generalstaatsanwalt stellen in Frage, dass die Europäische Staatsanwaltschaft in einer ganzen Reihe von Verfahren, die sie gegen kroatische Politiker und Staatsbeamte eingeleitet hat, tatsächlich zuständig ist.

Orban als Vorbild?

Dazu komme noch die zunehmende Zahl von Fällen der Erpressung von Medien, denen angedroht wird, die Werbeeinnahmen staatlicher Unternehmen zu verlieren, wenn sie zu kritisch berichten, sagt EJF-Präsidentin Maja Sever. All das zeuge von dem Versuch, Kroatien zu "orbanisieren", also nach dem Vorbild Viktor Orbans in Ungarn zu regieren, sagt Sever: "Es geht um die Destabilisierung demokratischer Institutionen und der gesamten Gesellschaft."

Ob hinter all den Maßnahmen wirklich "gefährliche Absichten" stecken, wie die Opposition behauptet, wird sich möglicherweise aber erst nach den in Kürze anstehenden Parlamentswahlen in Kroatien und dann den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni zeigen. In der Vergangenheit wurde oft spekuliert, dass sich Andrej Plenkovic eigentlich nicht mehr allzu sehr für die Politik in Kroatien interessiere, sondern eigentlich ein hohes Amt in Brüssel anstrebe.