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"Mehr Essen, aber keine Freiheit"

Gero Schließ, Miami8. Dezember 2014

Soll das amerikanische Kuba-Embargo nach 50 Jahren aufgehoben werden? Die New York Times empfiehlt dies Präsident Barack Obama. Doch der Widerstand ist groß. Gero Schließ aus Miami.

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Miami Exilkubaner skandieren Anti-Castro-Rufe
Bild: Getty Images

"Ich traue diesen Typen nicht", sagt Rafael Hernandez mit Blick auf Fidel Castro und seinen Bruder Raúl. Wie viele andere Exilkubaner floh auch Hernandez 1960 nach Miami, direkt nach der Machtübernahme durch Fidel Castro und seine Kommunistische Partei.

Hernandez sitzt am Steuer seines Taxis und kämpft sichtlich mit seinen Emotionen. "Wenn sie mich fragen: Castro sollte sterben", sagt er und wendet sich seinem Fahrgast zu. "Es wäre gut für die Leute", sagt er auf die Frage, ob die USA das Kuba-Embargo aufheben sollten, das vor 50 Jahren von US-Präsident John F. Kennedy verhängt wurde. Und dann sagt er einen Satz, der das ganze Dilemma der aktuell von der New York Times losgetretenen Diskussion über eine Aufhebung der Sanktionen aufzeigt: Wären die Sanktionen weg, gäbe das den Menschen zwar was sie zum Überleben bräuchten, "genug zu essen und zu trinken, aber keine Freiheit."

Professor Jaime Suchlicki vom Institut für Kuba und Kubanisch-Amerikanische Studien an der Universität Miami hängt die Latte für eine Rücknahme der US-Sanktionen sehr hoch: Zu allererst müssten die Kubaner Alan Gross freilassen. Der amerikanische Entwicklungshelfer ist seit fünf Jahren in kubanischer Haft. "Darüber hinaus müßten sie das Internet öffnen, damit alle Kubaner Zugang zu Informationen haben. Sie müßten ihre Wirtschaft öffnen, politische Parteien zulassen, die Menschenrechte achten und freie Meinungen zulassen." Solange das nicht passiere, sieht der vielgefragte Politikwissenschaftler mit kubanischen Wurzeln keinen Grund, die US-Politik zu ändern.

Ungefähr 30 Autominuten von Professor Suchlickis Institut arbeitet Arian Rodriguez als Barkeeper im Palace, einer Schwulenbar direkt am Strand von Miami Southbeach. "Wir waren in Kuba und haben erlebt, wie die Sanktionen unser Leben beeinträchtigt haben, deswegen sind wir weggegangen." Vor sechs Jahren zog er mit seiner Mutter nach Miami. Der Rest der Familie ist mit dem Stiefvater dort geblieben.

Keine Änderungen durch Sanktionen

Arians Stiefvater ist Menschenrechtsaktivist und saß fünf Jahre im Gefängnis. Die Familie fühlte die Unterdrückung durch das Castro-Regime am eigenen Leib. Doch er sagt auch: "Die einzigen Leute, die unter Sanktionen leiden, sind die Kubaner. Die Sanktionen gibt es so viele Jahre, sie haben keine Änderung bewirkt, also was soll das?" Auch nach 50 Jahren säßen die Castros noch fest im Sattel.

USA Arian Rodriguez copyright: Gero Schließ
Arian Rodriguez: "Die Kubaner leiden"Bild: DW/G. Schließ

Aus seiner Sicht, gäbe es einen weiteren Grund die Sanktionen aufzuheben. "Die kubanische Regierung wird fortan keine Entschuldigung mehr haben für die schlechte Lage." Die meisten Jüngeren unter den Kubanern würden so denken wie er. Die Älteren wären aber meist für die Beibehaltung der Sanktionen.

Jüngste Umfragen bestätigen Arian Rodriguez Einschätzung. Und sie zeigen, dass immer mehr US-Amerikaner, und inzwischen auch die meisten Exilkubaner, für eine Aufhebung der Sanktionen sind.

Während das laue Nachmittagsgeschäft Arian Zeit für einen Plausch läßt, genehmigen sich wenige 100 Meter weiter vor dem Zaun des SLS-Hotels Mimi Franco und Mary Costa eine Zigarettenpause. Die beiden Zimmermädchen haben von der jüngsten Diskussion um eine Aufhebung des Kuba-Embargos nichts mitbekommen.

"Ich bin Amerikanerin"

Mimi weiss nicht viel vom Land ihrer Vorfahren: "Ich bin ahnungslos, was Kuba angeht. Ich bin Amerikanerin, hier geboren und aufgewachsen." Mary kommt aus Mexiko, ist aber mit einem Kubaner zusammen, der seit zwei Jahren in den USA lebt: "Wenn sie einmal hier sind, wollen sie nichts mehr von Kuba wissen", sagt sie lachend. Er habe ihr zwar von Änderungen erzählt, dass man nun auch Privateigentum haben dürfe und es Reiseerleichterungen gebe. "Doch die Menschen glauben nicht an die Veränderungen, sie glauben nicht an Fidel und Raúl Castro."

Ana Quintana von der konservativen Washingtoner Heritage Foundation stimmt dem aus vollem Herzen zu. Sie hält die Änderungen für reine "Schaufensterpolitik", allein dem Druck der Sanktionen geschuldet und dem Niedergang des Ölpreises, der es Kubas verbliebenem Verbündeten Venezuela immer schwerer mache, den Inselstaat mit billigem Öl zu subventionieren. Die Kuba-Politik der USA sollte weiterhin "menschenrechtsorientiert" bleiben. Ihr Motto: "Freier Handel nur mit freien Menschen."

Embargo aufheben!

Das läßt John Hemingway, der Enkelsohn des berühmten Schriftstellers und langjährigen Kuba-Residenten Ernest Hemingway, nicht gelten. Die USA trieben schließlich auch Handel mit China oder Saudi Arabien. "Nach mehr als 50 Jahren ist die Zeit gekommen, das Handelsembargo aufzuheben und zu akzeptieren, dass beide Länder existieren und ihre Geschicke auf verschiedene Art regeln", sagt Hemingway der Deutschen Welle. US-Präsident Barack Obama sollte das in die Hand nehmen, zur Not auch am Kongress vorbei. Hemingway fühlt sich der Insel verbunden und hat sie vor zwei Jahren besucht, genauso wie der 19-jährige Javier Gonzales, der am Miami Dade College studiert.

John Hemingway copyright: privat
Hemingway erwartet mehr von den USABild: privat

Die Bedingungen, unter denen die Menschen in Kuba lebten, seien schlimm, sagt er. Sie hätten zu wenig Wohnraum, "haben keine Lebensmittel so wie wir, das Wasser ist nicht sauber, sie holen es aus dem Fluss. Sie haben kein TV oder DVD-Player und sind super überrascht, wenn sie mein Handy sehen." Javier fühlt sich im Gegensatz zu vielen seiner kubastämmigen Altergenossen immer noch als "Kubaner in Amerika." Und er will, dass die Sanktionen aufgehoben werden, auch wenn es "hart ist, mit den Castro-Brüdern zurecht zu kommen."

Javier arbeitet als Freiwilliger bei der Miami-Buchmesse und sitzt mit einem Häuflein von Kuba-Freunden bei der Lesung neuer kubanischer Literatur, bei der auch Louis Martínez-Fernández sein neues Buch vorstellt: "Die Geschichte des revolutionären Kuba" ("Revolutionary Cuba: A History").

Kein Ausverkauf Kubas

Martínez-Fernández findet die von der New York Times geführte Debatte "ziemlich oberflächlich." Es reiche nicht, zu sagen, Obama könnte es machen, er muss ja nicht mehr wiedergewählt werden und könne sich mit dieser Entscheidung in den Geschichtsbüchern verewigen. Es gebe "viele Dinge, die er eher machen könnte, die weniger kontrovers sind."

Kuba-Plakat Bild: Wulf Wilde
Freiheit, aber nicht um jeden PreisBild: DW/Wulf Wilde

Und was Martínez-Fernández auf jeden Fall vermeiden will: dass US-Inverstoren Kuba mit Investments überschwemmen und "der US-Kapitalismus auf agressive Art die kubanische Wirtschaft übernimmt."

Das beste sei es, wenn Raùl Castro und die Obama-Regierung einen Deal aushandeln würde, in dem es auch Garantien für Demokratie gebe. Doch am Wichtigsten sei, "dass Kuba nicht an die USA verkauft wird."