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Abschied vom Mann mit der Schlabberhose

24. Mai 2019

Torhüter Gabor Kiraly gibt im Alter von 43 Jahren sein Karriereende bekannt. Hinter dem Ungarn liegt eine lange Laufbahn, die von seinen Leistungen genauso geprägt wurde wie von seiner Marotte, Jogginghose zu tragen.

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Tag der Jogginghose - Torwart Gábor Király
Bild: Getty Images/Bongarts/M. Hitij

Wenn in Zürich die alljährliche Gala der FIFA steigt, bei der die besten Spieler, unter anderem der Weltfußballer und der Welttorhüter des Jahres gekürt werden, dann fiel dort noch nie der Name Gabor Kiraly. Warum auch? Der Ungar ist ein guter Torhüter, zweifelsohne. Doch von seiner Qualität gab und gibt es im europäischen Fußball Dutzende - Kiraly ist das, was man gemeinhin als guten, soliden Durchschnittsprofi bezeichnet. Nie drang der Ungar in Sphären vor, die Kollegen wie Kahn, Buffon, Casillas oder Neuer, allesamt mehrfache Welttorhüter des Jahres, erreichten. Nie wurde er, im Gegensatz zu den Genannten, als einer bezeichnet, der das Torhüterspiel revolutioniert habe. Nie stemmte er die großen Trophäen des Klub- und Nationalmannschaftsfußballs in den Konfettihimmel einer Finalnacht. Nie spielte Kiraly für die ganz großen Klubs aus Barcelona, Madrid, Turin, Manchester oder München.

Fußballer der aussterbenden Art

Und trotzdem klingt es nicht abwegig, wenn man in Anbetracht des jüngst verkündeten Karriereendes Kiralys davon spricht, dass ein einzigartiger, vielleicht so nie da gewesener und nie wieder kommender Fußballprofi, ein sogenannter "ganz Großer" aufhört. Kiraly war und ist das auf eine andere Art und Weise, als die Kollegen Welttorhüter. Der Ungar überzeugte stets als einer, der im stereotypen Fußballgeschäft etwas anderes verkörperte, als die meisten seiner Zunft. Als Freund der klaren Worte, als humorvoller Charakter, als eine echte Marke und nicht zuletzt als "der Mann mit der Jogginghose" wurde Kiraly in der Bundesliga bekannt, wurde zum Publikumsliebling bei Hertha BSC und schließlich deutschlandweit zur Kultfigur.

Fußball Bundesliga Gabor Kiraly Hertha BSC
Kiraly im Abschiedsspiels bei Hertha BSC im Jahr 2017Bild: Imago Images/M. Koch

In Kiraly, dem Torhüter, der in seine Schlabberhose aussah, als wäre er zwei Minuten zuvor von der Couch aufgestanden, sah das Publikum einen Normalsterblichen im abgezockten Milllionengeschäft Profifußball. Die Menschen sahen in dem Ungarn "einen von ihnen", einen der aussah, wie jedermann, einen der sprach wie jedermann und der dadurch eine Nähe ausstrahlte, wie es im Fußball wohl nur selten vorkommt. Kiraly war im schnelllebigen Fußballgeschäft die personifizierte Projektionsfläche von Fußballromantik und begeisterte dadurch Millionen.

"Ich bedanke mich beim Fußball, der mir alles beigebracht und mich zu einem besseren Menschen gemacht hat. Ich habe jeden Tag ehrenvoll gekämpft", schrieb der 43-Jährige Ungar jüngst auf seiner Website und verkündete damit das Ende seiner langen Karriere. Sicher wird Kiraly diese Worte mit Kalkül gewählt haben, aber sicher kommen sie bei ihm auch aus dem Bauch heraus. Diese Worte gehen über die üblichen Phrasen von Fußballern weit hinaus - auch im Moment des Abschieds ist Kiraly anders, als die meisten seiner Kollegen. Ein letztes Mal tritt Gabor Kiraly damit öffentlichkeitswirksam als das in Erscheinung was er ist: Ein echter Volkstribun des Fußballs und nicht eben nur in der Rolle eines solchen. Frei interpretiert darf man annehmen, dass Kiraly in seinen Abschiedsworten mit "Fußball" die Menschen, das Publikum, den Teamgeist meint. Sicher auch die Privliegien, die er als Profi genoss, aber sicher nicht an erster Stelle. Besonders in Deutschland genießt der Ungar sehr großes Ansehen und besonders hier ist dieses auch entstanden. 

Seit 1994 Immer dabei  

Tag der Jogginghose - Torwart Gábor Király
Kiralys Markenzeichen: die JogginghoseBild: picture-alliance/augenklick/firo sportfoto

1997 kommt der in Deutschland völlig unbekannte Kiraly vom Klub Haladás Szombathely aus seiner Heimatstadt an der österreichischen Grenze ganz im Westen Ungarns zum Bundesligisten Hertha BSC. Dort wird der zum Zeitpunkt des Wechsels 21 Jahre alte Torhüter schnell zum Stammkeeper und Publikumsliebling. Seine Marotte, in Spielen stets eine weite, graue Schlabberjogginghose zu tragen wird schnell zum Kult unter den Hertha-Fans und ganz schnell auch in der gesamten Bundesliga. Kiraly - den Namen kennt in Deutschland schon bald jeder Fußballinteressierte, genauso wie seine graue Schlabberhose, die er seit 1994 als Talisman und Markenzeichen trägt. "Unser Zeugwart bei Haladas hatte die schwarzen Hosen vergessen und nur noch eine lange graue Hose dabei. Die habe ich angezogen. Damit habe ich danach neun Spiele in Serie gewonnen und sie im Tor nicht wieder ausgezogen", erklärte Kiraly einst die Geburtsstunde der Hose, die ihn seine ganze Karriere über begleiten sollte. 

In der Bundesliga-Saison 1998/99 avanciert Kiraly zum statistisch besten Torhüter der Liga, vereitelt die meisten Großchancen von allen und steht mit der Hertha am Saisonende auf Rang drei - Champions League. In Berlin ist Kiraly über Jahre eine feste sportliche Größe und wird von den Hertha-Fans stets frenetisch gefeiert. 2004 verlässt Kiraly die Hertha schließlich nach sieben Jahren, 198 Spielen in der Bundesliga und zwölf Partien in der Champions League. Kiraly verschenkt am 22. Mai 2004 nach seinem letzten Heimspiel in Berlin seine graue Jogginghose unter emotionaler Anteilnahme in der Fankurve. Wer hier mehr zur Legende geworden war - ob Kiraly oder seine berühmte Hose - wurde nie abschließend geklärt. Hertha-Ausstatter Nike jedenfalls erkannte das Potenzial des Kults um die graue Schlabberhose und legte sie für jedermann käuflich in der "K1raly" genannten Kollektion auf - wer schafft so etwas, ohne zu den absoluten Weltstars des Fußballs zu gehören? 

Von Hertha über England nach München

Fußball Bundesliga Gabor Kiraly 1860 München
Kiraly - von 2009 bis 2014 im Trikot von 1860 MünchenBild: Imago Images/W. Schmitt

Die Antwort: Gabor Kiraly, der nach seinem Engagement bei der Hertha nach England geht und sich zunächst Crystal Palace und später dem FC Burnley anschließt. Sein Ruf eilt ihm voraus, der seiner Schlabberhose ohnehin. So verwundert es kaum, dass Kiraly auch in England einen ähnlichen Kultstatus erreicht, wie zuvor in Deutschland und es verwundert ebenso wenig, dass es auch dort sehr schnell geht. Fünf Jahre spielt Kiraly in England - viel länger, als er brauchte, um auch auf der Insel zur Kultfigur zu werden. 2009 schließlich geht es zurück dorthin, wo er einst als junger Torwart zur Marke geworden war, nach Deutschland - dieses Mal allerdings in die zweite Liga zu 1860 München. Als der große Niedergang der Löwen mit dem Zwangsabstieg in die 3. Liga beginnt, hat sich Kultfigur und Publikumsliebling Kiraly längst verabschiedet.

Rekordnationalspieler & ältester EM-Teilnehmer 

2014 zieht es den Ungarn nach fünf Jahren in München nocheinmal nach England, der FC Fulham wird für eine Saison die letzte Auslandsstation von Kiraly, der mit Unterbrechungen seit 1998 ungarischer Nationaltorhüter ist und am Ende seiner Länderspielkarriere mit 107 Spielen für die ungarische Auswahl deren Rekordnationalspieler sein wird. Die ganz besonderen und wohl seine schönsten Spiele mit Ungarn macht Kiraly bei der EM 2016 in Frankreich. Bei seinem ersten großen Turnier mit der Nationalmannschaft ist der Torhüter bereits über 40 Jahre alt und wird damit zum ältesten, je bei einer Europameisterschaft eingesetzten Spieler der Geschichte. Mit Anpfiff des ersten Gruppenspiels der Ungarn gegen Österreich löst Kiraly im Alter von 40 Jahren und 74 Tagen Lothar Matthäus ab, der diesen Rekord seit der EM 2000 hielt. 

UEFA EURO 2016 - Achtelfinale | Ungarn vs. Belgien | Spielszene
Kiraly in seinem vierten und letzten EM-Spiel, das gleichzeitig sein letztes Länderspiel istBild: Reuters/V. Kessler

Es schließt sich ein Kreis, denn natürlich spielen die Ungarn und ihr Torwart bei der Titelvergabe, trotz des großen Erfolgs mit dem Erreichen des Achtelfinals, keine Rolle. Und dennoch ist es in Frankreich wieder dieser Kiraly, der eine der Geschichten abseits von Titeln, Finals und großen Namen schreibt. Der ungarische Torhüter mit der Schlabberhose wird zu einem der Gesichter der EM 2016 und das so, wie er es schon seine ganze Karriere lang verstand, Aufmerksamkeit, Sympathien und - man muss das Wort ständig wiederholen - Kultstatus zu erlangen. Diese lange Karriere, die er von 2015 an bei seinem Heimatklub Haladás Szombathely ausklingen lässt, ist nun vorbei - auch hier schloss sich der Kreis. Es bleibt die Erinnerung an einen Torhüter, der auf seine ganz spezielle Art und Weise ein Großer des Fußballs und der Bundesliga wurde und das auch bleibt.

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion