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Grundrechenarten der Verständigung

Sabine Peschel24. Februar 2015

Wie kann eine globale Gesellschaft friedlich leben? Dafür braucht es vor allem eins: den Dialog. Den kann die Kultur fördern. Aber wie? Das diskutieren Politiker, Philosophen und Soziologen bei einer Tagung in Berlin.

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Konferenz des Goethe-Instituts mit dem Titel Dialog und die Erfahrung des Anderen
Der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann (links) und der Philosoph Julian Nida-RümelinBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Der Anlass, grundsätzlich über Traditionen, Voraussetzungen und Grenzen des Dialogs nachzudenken, ist fast zwingend: "Wir leben in einer Welt, die immer weniger dialogfähig ist", fasst Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, die bedrückende Lage zusammen. Eine zweitägige Konferenz des Goethe-Instituts in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Münchner Kompetenzzentrum Ethik hat deshalb international agierende Kulturvermittler, Politiker, Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler zum Thema "Dialog und die Erfahrung des Anderen" zusammengebracht.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier, einer der Redner am Eröffnungstag (23.02.2015), ist erst wenige Tage zuvor von einer Reise nach Ruanda zurückgekehrt. "Dort, wo die Menschen mit einem unvorstellbaren nationalen Trauma kämpfen, ist der Wille zur Aufarbeitung, sind Dialog und Verständigungsprozesse keine abstrakten Ziele, sondern existenziell für das Leben und Überleben."

Aussenminister Frank-Walter Steinmeier Porträt
Außenminister Frank-Walter SteinmeierBild: picture-alliance/dpa

Der Schlüssel zum Dialog

Wenn aber, wie in der Ukraine, die Friedensordnung des 20. Jahrhunderts nicht mehr zu gelten scheint, wenn Konflikte religiös überformt werden, neue, nichtstaatliche Akteure wie die Terrorbanden von ISIS oder Boko Haram auftreten, lassen sich auch dann noch im interkulturellen Dialog neue Ordnungsmodelle für eine aus den Fugen geratene Welt entwickeln? Willy Brandt, so Steinmeier, sprach einst von der "Arbeit an der Weltvernunft". Eine neue globale Ordnung entstehe nicht am Reißbrett, sondern durch internationale Verständigung über die "Grundrechenarten" wie Friedenssicherung und die Stabilisierung von Regeln. Kultur und Bildung komme da eine wichtige Rolle zu: "Gerade in Krisenzeiten ist kulturelles Verständnis der Schlüssel zum Dialog", sagte Steinmeier.

Die Menschen einbeziehen

Zweifel an den Fortschritten der menschlichen Vernunft befallen angesichts der angespannten internationalen Lage den Münchener Philosophen Julian Nida-Rümelin, einst Kulturstaatsminister unter Kanzler Gerhard Schröder. Anders als Steinmeier betrachtet er den "sehr sympathisch daherkommenden" Dialog deshalb mit leichtem Argwohn. Besteht der Dialog darin, sich in eine andere Lebensform einzufühlen, möglicherweise eine fremde Sprache und Alltagspraktiken zu erlernen? Oder ist Verständigung erst möglich, wenn es bereits Gemeinsamkeiten und definierte Übereinkünfte gibt? Zwei Pole, zwischen denen sich der Austausch seinen Weg zur sozialen Praxis bahnen müsse. Eine Praxis, die neben dem traditionellen Austausch zwischen Nationalstaaten auf der Suche nach einem angemessenen globalen Diskurs mehr und mehr die Zivilgesellschaften einbeziehe. Die kulturelle Substanz dieses Prozesses sieht Nida-Rümelin in den Menschenrechten als Grundlage einer globalen zivilen Gesellschaft.

Julian Nida-Rümelin 13.10.2011 in Frankfurt
Der Philosoph Julian Nida-RümelinBild: picture-alliance/dpa

Verstehen - auch ohne Sprache

An den seit Jahrzehnten unbewältigten Nahost-Dialog erinnerten sehr gegensätzlich Paul Mendes-Flohr und Gabriel Motzkin, beide emeritierte Professoren der Hebräischen Universität Jerusalem. Als Experte für deutsch-jüdische Geistesgeschichte untersuchte Mendes-Flohr in diesem Zusammenhang den Begriff der Toleranz. Es reiche nicht, religiöse Identität herunterzuspielen oder gar zu ignorieren, das sei nur ein schwacher Pragmatismus. "The other must be taken seriously", der Andere müsse ernst genommen werden in einer respektvollen, menschlichen Offenheit, nur das sei dialogische Toleranz.

Auch Gabriel Motzkin will den israelischen Diskurs humanistisch, demokratisch und liberal befördern. Trotzdem ist seine Beobachtung eine ganz andere: Die Menschen verstehen sich, wenn sie müssen, zur Not sogar ohne Sprache. Aber, auch Menschen, die man oberflächlich perfekt verstehe, wie zum Beispiel die in Israel lebenden, hebräisch sprechenden Palästinenser, könne man hassen und tiefgründig eben gerade nicht verstehen. "Die Erfahrung des Anderen hat nichts mit Dialog zu tun." Tatsächliches Verständnis hänge wesentlich ab von der Empathie, vom Hineinversetzen in eine fremde Wirklichkeit.

Konferenz des Goethe-Instituts mit dem Titel Dialog und die Erfahrung des Anderen
Der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter LehmannBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Eine Frage der Identitäten

Verstehen, Verständnis, Verständigung – bei diesem Dreischritt des Dialogs kommt auch der Frage nach der kulturellen Identität große Bedeutung zu. Verständnis setzt Differenzen voraus: Kulturelle, religiöse oder regionale Zugehörigkeiten anzuerkennen, darin waren sich alle Referenten einig, kann aber nur ein erster Schritt sein. Ein Schritt auf dem Weg zur Identität als Bürger einer Weltgesellschaft.

Die Konferenz "Dialog und die Erfahrung des Anderen" findet vom 23.-24.02.2015 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt.