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Kein Kulturbonus für Straftäter

Günther Birkenstock28. März 2014

Ein Deutsch-Afghane ermordet seine Ex-Freundin. Ein Gericht berücksichtigt in seinem Urteil den kulturellen Hintergrund des Täters. Das geht nicht, sagen Kritiker und der Zentralrat der Muslime.

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DProzess - Tödliche Stiche auf Schwangere
Ralf Vogel, vorsitzender Richter im Prozess am Wiesbadener LandgerichtBild: picture-alliance/dpa

Isa S. ist in Deutschland geboren und in Deutschland aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus Afghanistan. Zwei Jahre lang war der heute 24-jährige Student mit seiner Freundin, Jolin S., einer Deutsch-Amerikanerin zusammen. Seinen Eltern verschwieg er die Beziehung, weil er vermutete, dass die seine Beziehung zu einer Nicht-Afghanin ablehnen würden. Jolin wurde schwanger und lehnte eine Abtreibung ab. Sie wollte das Kind alleine groß ziehen. Das aber hätte bedeutet, es wäre nicht islamisch erzogen worden. Im Februar 2013 erstach Isa S. seine Freundin mit mehreren Messerstichen in den Rücken.

Am 24.03.2014 sprach das Landgericht Wiesbaden das Urteil: lebenslänglich. Der Antrag aber von Staatsanwaltschaft und Nebenklägern, eine besondere Schwere der Schuld bei Isa S. festzustellen, lehnte der Richter ab. Diese Anerkennung einer besonderen Schwere hätte es verhindert, dass Isa möglicherweise vorzeitig, nach 15 Jahren Haft, entlassen werden kann. Als Begründung nennt das Gericht die "ungefestigte Persönlichkeit" des Angeklagten. Und er habe sich "aufgrund seiner kulturellen und religiösen Herkunft in einer Zwangslage befunden."

Der Angeklagte Isa S. im Gerichtssaal mit Akte vor dem Gesicht
Isa S. ermordete seine Ex-Freundin. Er wurde in Deutschland geboren und ist auch hier aufgewachsen.Bild: picture-alliance/dpa

Die Eltern von Jolin S. sind empört. Birgitta Biehl hat den Prozess, wie schon einige weitere Ehrenmord-Prozesse, beobachet. Sie ist Rechtsanwältin und zweite Vorsitzende des Vereins Peri e. V, der jungen Frauen hilft, die von Zwangsheirat bedroht sind. Auch sie kann den zweiten Teil der Urteilsbegründung nicht nachvollziehen. "Es ist ja gesagt worden, bei dem Täter handelt es sich um eine ungefestigte Persönlichkeit. Punkt. Es ist auch weiter gesagt worden, die Tat unterscheidet sich nicht so von anderen Mordfällen, dass man da die besondere Schwere der Schuld feststellen müsste. Warum dann um Himmels willen noch dieser Satz kam, verstehe ich nicht", sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle. Biehl hält die Begründung für unnötig. Und es sei fatal, dass hier ausgedrückt werde, Migranten erhielten einen "kulturellen Bonus".

Kein Religionsprivileg

"Bei den Fällen, die ich bisher beobachtet habe, ist immer sehr deutlich auf das Motiv Ehre abgehoben worden. Aber dort wurde eindeutig gesagt: Ein Ehrenmord, das allein ist schon ein niedriger Beweggrund. Hier ist es jetzt andersherum", so Birgitta Biehl.

Symbolbild Mord Ehrenmord Messer
Klare Linie beim BGH: Kulturelle und religiöse Gründe dürfen beim Urteil über Ehrenmord keine Rolle spielenBild: bilderbox

Auch der Erlanger Jura-Professor Matthias Rohe hält die Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds grundsätzlich für nicht statthaft. "Man müsste noch mal genau hinschauen, wie exakt das Gericht argumentiert hat. Es wäre sehr außergewöhnlich, wenn das Gericht sehr allgemein gesagt hätte, weil der Angeklagte afghanische Wurzeln hat, ist er in dieser Kultur verhaftet und deswegen beurteilen wir das so." Persönliche Gründe würden und müssten aber berücksichtigt werden, betont Rohe im DW-Interview. Zum Beispiel, wenn der Angeklagte vorher eine starke Kränkung erlitten habe oder befürchten würde, dass er seinen "sozialen Kontext" vollständig verliere. Dieser Druck könnte in die Beurteilung der Schuld einfließen. "Das sind subtile Abgrenzungen", erklärt der Rechtsexperte.

Andererseits sei die Gesetzgebung eindeutig im Umgang mit sogenannten Ehrenmorden. "Was nicht geht, ist, dass aus Gründen religiöser oder kultureller Zugehörigkeit jemand weniger oder mehr Strafe bekommt." Das habe der Bundesgerichtshof in einem Urteil von 2004 sehr klar gestellt. "Der Maßstab ist die Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht die Anschauung einer bestimmten Volksgruppe." Es könne und dürfe kein Kulturprivileg, kein Religionsprivileg geben, urteile das BGH. Das aber scheint beim Wiesbadener Landgericht nun der Fall gewesen zu sein.

Der Koran verbietet Mord

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek kritisiert im DW-Gespräch die kulturelle Begründung, die in das Wiesbadener Urteil eingeflossen ist. "Ich kann das nicht gutheißen, dass man hier diese Rücksichtnahme vornimmt. Ich wüsste auch nicht, dass das unser Strafgesetz so vorsieht." Er betont, dass der Zentralrat immer wieder verwundert sei, wenn von Kultur die Rede sei, die man bei Straftaten mitbedenken müsse. Sich bei Ehrenmorden auf den Islam oder die islamische Kultur zu beziehen, hält er für vollkommen "verkorkst".

Aiman Mazyek
Mazyek: Es gibt keine Rechtfertigung für Mord im IslamBild: picture-alliance/dpa

"Es gibt keinen kulturellen oder vermeintlich religiösen Rabatt, wenn es frontal gegen Menschenrechte geht und sich ein Mensch gegen das Strafgesetz vergeht." Mazyeks Haltung ist eindeutig. "Man sollte diese Taten nicht als Ehrenmorde kennzeichnen. Sie dürfen nicht in irgendwelchen religiösen Kontexte gestellt werden und sie sind in keinster Weise mit dem Islam zu begründen." Der Islam verbiete Mord aufs Schärfste, so Mazyek. Das stehe auch im Koran und sei eindeutige Lehrmeinung im Islam.