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Auf dem Prüfstand

Volker Wagener20. Februar 2007

250.000 Krippenplätze sind Familienministerin Ursula von der Leyen zu wenig. Sie will das Angebot verdreifachen und hat damit in den Unionsparteien eine Kontroverse über das Frauen- und Familienbild ausgelöst.

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Klapperstroch mit Mutter und Kind
Dass der Klapperstorch die Kinder bringt, glaubt kein Mensch - dass berufstätige Mütter 'Rabenmütter' sind, nur wenigeBild: AP

Vieles deutet auf einen organisierten Tabubruch hin. CDU und CSU - nach ihrem eigenen Verständnis Hüter des konservativen "Tafelsilbers" - erleben derzeit unruhige Zeiten. Ihr jahrzehntelang nicht ernsthaft in Frage gestelltes Familienbild steht auf dem Prüfstand. Die Forderung nach der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie gehört in beiden Parteien zum häufig wiederholten Ritual. Tatsächlich betrachten die Unionsparteien dieses Politikziel mehrheitlich als Privatsache der Betroffenen. Allzu viele staatliche Angebote der Kinderbetreuung wurden bislang als Angriffe auf das konservative Weltbild angesehen, in dem im Regelfall der Mann das Geld verdient und die Frau die Kinder versorgt - und zwar am besten zuhause, zumindest bis zum dritten Lebensjahr.

Familienministerin Ursula von der Leyen
Familienministerin Ursula von der Leyen fordert mehr Krippenplätze (Archivbild)Bild: AP

Seit Tagen tobt eine Diskussion in den Unionsparteien über eine Forderung, die ein drastisch ausgeweitetes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen für die unter Dreijährigen vorsieht. Die Forderung, die so genannten Krippenplätze bis 2013 auf 750.000 zu verdreifachen, kommt aus den eigenen Reihen. Familienministerin Ursula von der Leyen, Mutter von sieben Kindern, hält die Familien-Programmatik ihrer Partei nicht mehr für realitätsnah. "Ich hoffe, dass wenn ich in einigen Jahren zurückblicke, dass wir in Deutschland in diesen Monaten eigentlich den Beginn einer Trendwende erleben, nämlich, dass wir nicht mehr sagen, was alles mit Kindern nicht geht."

Betreuungsangebot in Ostdeutschland besser

Von der Leyen hat mit ihrer Forderung sowohl Wissenschaftler als auch Vertreter der Industrie hinter sich. Deutschland sei im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarländern besonders rückständig, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehe, heißt es. Vor allem in Westdeutschland herrscht ein akuter Mangel an Bildungs- und Betreuungsangeboten für die Ein- bis Dreijährigen. 31 Prozent der Eltern, so das Deutsche Jugendinstitut in München, wünschen sich einen Krippenplatz für die Zweijährigen und sogar 60 Prozent für die Dreijährigen.

In Ostdeutschland ist der Bedarf an Krippenplätzen geringer. Hier profitieren Eltern noch von den umfangreichen Angeboten aus DDR-Zeiten. Während in Westdeutschland weniger als 17 Prozent der Kinder zwischen 24 und 36 Monaten einen Krippenplatz haben, sind es im Osten fast 78 Prozent.

Geringe Geburtenzahlen trotz Betreuungsangeboten

Kinderkrippe
In Sachsen sinkt die Geburtenrate trotz guter Kinderbetreuungseinrichtungen (Archivbild)Bild: AP

Mehr Krippenplätze sind der Garant für mehr Geburten in Deutschland, behaupten die so genannten Modernisierer, die Frauen den Zugang zur Erwerbstätigkeit durch mehr Betreuungsangebote erleichtern wollen. Stimmt nicht, sagt hingegen Steffen Flath, CDU-Kultusminister in Sachsen. "Wir haben seit Jahren in Sachsen ein sehr gutes Angebot bei Kinderbetreuungseinrichtungen." Es habe allerdings nicht dazu geführt, dass die Geburtenzahlen hochgeschnellt sind. Vielmehr seien sie genauso zurückgegangen, wie in anderen Bundesländern auch, erläutert der CDU-Politiker. "Es sind sogar Frauen abgewandert, obwohl sie so gute Betreuungsmöglichkeiten hatten."

Nur noch 1,3 Kinder werden durchschnittlich pro Familie in Deutschland gezählt. Der Trend geht eindeutig in Richtung Einzelkind. In Frankreich - traditionell mit Kinderbetreuungsplätzen gut versorgt - sind es mehr als zwei Kinder.

Neue Form der "Rabenmütter"?

Emotional geht es bei der aktuellen Diskussion auch um die Wertschätzung von Frauen, die ihre Kleinkinder bis drei Jahre zuhause erziehen wollen und denen, die in Zukunft nach den Plänen der Ministerin ihre Sprösslinge in Krippen versorgen lassen wollen. Krippengegnerinnen, die sich ideologisch und pädagogisch mit den konservativen Wortführern innerhalb der beiden Unionsparteien im Einklang sehen, fühlen sich durch den Vorstoß der Ministerin herabgewürdigt. Das Wort von der "Rabenmutter" hat derzeit wieder Konjunktur. "Es darf nicht passieren, dass die Diskussion den Eindruck erweckt, als ob die Mütter, die zu Hause bleiben, die Rabenmütter sind", fordert die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ilse Falk. Früher wurden - im Gegensatz zur heutigen Diskussion - erwerbstätige Mütter des Öfteren als Rabenmütter bezeichnet.

Die SPD empfindet derzeit eine gewisse Genugtuung, denn die CDU-Ministerin Ursula von der Leyen vertritt ein Frauen- und Familienbild, das deutlich mehr dem der Sozialdemokraten entspricht. Was es der SPD - Partner innerhalb der großen Koalition in Berlin - deutlich einfacher macht, in diesem Politikfeld eigene Vorstellungen durchzusetzen.

Drei Milliarden Euro zusätzliche Kosten

Konkreter verläuft die Diskussion über die Frage, wie viel der Krippen-Vorstoß der Ministerin den Staat kosten wird. Experten haben rund drei Milliarden Euro zusätzliche Kosten pro Jahr errechnet. Die sollen zu je einem Drittel vom Bund, von den Ländern und den Kommunen bezahlt werden. Kinderbetreuung ist aber ausschließliche Zuständigkeit der Städte und Gemeinden. Erst wenn Bildungsangebote dazu kommen, fühlen sich auch die Bundesländer in der Verantwortung. Gänzlich außen vor bleibt der Bund. Doch ohne Berlin dürfte die Ausweitung der Krippenplätze für die verschuldeten Länder und Kommunen kaum realisierbar sein.