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Kultursensitive Beratung

Suzanne Cords20. Oktober 2010

"Andere Länder, andere Sitten", sagt ein Sprichwort. Das erleben auch ausländische Studierende an deutschen Unis. Dazu ist jetzt ein Buch erschienen – mit vielen Erfahrungsberichten aus zwei Jahrzehnten.

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Kultursensitive Beratung ausländischer Studierender: Bernhard Esser bei der Beratung (Foto: Ursula Weichert)
Beratung auf AugenhöheBild: Ursula Weichert

Sprechstunde in der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Köln. Unruhig rutscht der kenianische Student auf der Sesselkante hin und her. "Warum ist der Junge so nervös?", denkt Sozialpädagoge Bernhard Esser. Also fragt er nach. Nach einigem Herumdrucksen gesteht der Afrikaner, in seiner Kultur sei es ihm nicht erlaubt, auf gleicher Höhe wie der Berater auf dem Sessel zu sitzen. Das sei ein Zeichen mangelnden Respekts.

19 Jahre liegt dieses Erlebnis schon zurück. Seitdem hat Bernhard Esser als Referent für Interkulturelles und Interreligiöses viel über die unterschiedlichen Verhaltensweisen anderer Kulturen gelernt. Seine Studenten nennen ihn "Papa Afrika". "Für uns ist er längst kein Deutscher mehr, denn er kennt sich in der afrikanischen Kultur sehr gut aus", sagt der kenianische Elektrotechnikstudent Francis Odhiamba. Der 30-Jährige fühlt sich von ihm verstanden, egal ob er mit finanziellen oder seelischen Problemen in die Beratung kommt.

Wenn niemand klopft …

Gerade in den ersten Monaten haben viele ausländische Studierende an deutschen Unis mit kulturellen Problemen oder Missverständnissen zu kämpfen. Der Kenianer Frances Odhiamba erinnert sich noch gut an die einsamen Wochen, die er nach seiner Ankunft in Deutschland in einem Studentenwohnheim verbrachte. "Wenn man in Kenia neu in der Nachbarschaft ist, kommen die Leute, um einen willkommen zu heißen", erzählt er. "Also hab ich in meinem Zimmer gesessen und gewartet, dass jemand klopft. Aber das ist nie passiert."

Kultursensitive Beratung ausländischer Studierender: Bernhard Esser (Foto: Michael Borgard)
"Papa Afrika" Bernhard EsserBild: Michael Borgard

Der nächste Kulturschock kam an der Uni, als er den lockeren Umgang zwischen deutschen Studierenden und ihren Dozenten erlebte. Nie würde man in Afrika eine Respektsperson ohne ausdrückliche Aufforderung einfach ansprechen, sagt Odhiamba. Ein kulturelles Missverständnis mit Folgen: Gerade Afrikaner, aber auch Asiaten und Araber wagen es in Uni-Seminaren nicht, sich zu Wort zu melden oder gar mitzudiskutieren, erklärt Esser: "Die Studierenden denken, damit stellen sie den Dozenten bloß."

Ratgeber für Akademische Auslandsämter und Ausländerbehörden

Seit fast zwanzig Jahren ist Bernhard Esser an der KHG als Berater tätig. Seine Erlebnisse aus dieser Zeit hat er jetzt aufgeschrieben. Das Buch "Kultursensitive Beratung und Dialog" soll Professoren und Mitarbeitern in Akademischen Auslandsämtern und Ausländerbehörden helfen, die Studierenden aus fernen Ländern besser zu verstehen.

Zuhören ohne zu werten, das ist laut Esser das Geheimnis einer guten Beratung. Immer wieder gibt er seinen Schützlingen mit auf den Weg, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht gegen sie persönlich gerichtet sind, sondern Ausdruck deutscher Kultur. Zum Beispiel die direkte Art der Deutschen, Dinge auf den Punkt zu bringen, statt sich vorsichtig heranzutasten. Daran hat sich Francis Odhiamba bis heute nicht gewöhnt. "Bei uns redet man um den heißen Brei herum", sagt er. "Man würde ein Problem nie direkt beim Namen nennen."

Kultursensitive Beratung ausländischer Studierender: Afrikanische Studierende (Foto: Wittus Ngandjui)
Ein Stück Afrika in Köln ...Bild: Wittus Ngandjui

Fett – oder wohlbeleibt?

Dass manche Dinge ganz anders gemeint sind als vom Gegenüber aufgefasst, musste auch Bernhard Esser lernen. Zum Beispiel, als ein marokkanischer Student ihn in der Beratung aufsuchte und sagte: "Herr Esser, Sie sind aber fett geworden!" Der Sozialpädagoge schluckte damals seine Entrüstung herunter und fragte den Studenten, was er denn damit sagen wolle. "Sie sehen sehr gut aus", strahlte der ihn an. Wohlbeleibtheit, erfuhr Esser, ist in anderen Kulturen durchaus als Kompliment gemeint.

"Ich habe Deutschland geschafft!"

Wer andere Verhaltensweisen und Umgangsformen gewohnt ist, durchläuft das sogenannte Kulturschockmodell, erklärt Esser. Nach der ersten Euphorie, in Deutschland zu leben, kämen die Selbstzweifel und die Frage: Was mache ich eigentlich hier? Wer diese Phase überwunden habe, fühle sich dann endlich integriert. Für viele Studierende sei das nicht leicht, sagt Esser. Zumal viele Deutsche in Arbeitsgruppen nach wie vor eher auf ihre Landsleute zugehen als auf ihre ausländischen Kommilitonen.

Wenn sie all diese Schwierigkeiten in einem fremden Land meistern, so Esser, können sie wirklich stolz auf sich sein. Im Gespräch macht der Berater den Studierenden dann immer wieder deutlich, dass sie jetzt die Fähigkeit haben, sich in zwei Gesellschaften zurechtzufinden. Oder mit den Worten eines marokkanischen Studenten: "Herr Esser, es gibt kein Problem, das ich nicht schaffen werde, ich habe Deutschland geschafft!"


Autorin: Suzanne Cords
Redaktion: Svenja Üing


Bernhard Esser: Kultursensitive Beratung und Dialog. Arbeit und Begegnung mit ausländischen Studierenden. Wochenschau-Verlag. 157 Seiten. 14,80 Euro.