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Glaube

Kunst als Verkündigung des Unausgesprochenen

23. Juli 2021

Wir haben uns an der kirchlichen Verkündigung satt gehört und satt gesehen. Doch braucht es manchmal nicht viel, um Ohren und Augen wieder neu zu öffnen, meint der Pastoralreferent und Sakralkünstler Raoul R. M. Rossmy.

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Deutschland VERLASSEN 2021 in der Herz-Jesu-Kirche München
Bild: Raoul R. M. Rossmy/DW

Bei einem Workshop im Pastoralkurs wurde uns die Aufgabe gestellt, zu dem Thema „Ewiges Leben“ eine Kurzpredigt zu halten. Als Einstiegshilfe wurden gemeinsam Begriffe gesammelt: Himmel, Erlösung, Paradies, Friede, Ruhe, Gott… Mit Elan füllten wir eine Flipchartseite mit Wörtern. Doch sogleich bereute ich die Fülle der Antworten, denn die Workshopleitung verkündete: „All diese Wörter darf eure Predigt nicht beinhalten.“

Meiner vertrauten und nur zu gern verwendeten Worte beraubt, zeigte sich auf einmal die Starrheit meiner Verkündigung. Ohne diesen Halt verlor das Gesagte an Schärfe und Eindeutigkeit, gleichermaßen gewann es aber an neuem Reiz: Durch die Veränderung der gebrauchten Worte führte auf einmal ein ungewohnter Weg zum altbekannten Ziel. Noch nie hatte ich in einer solchen Sprache vom „Versprochenen“ erzählt.


Satt vom Bekannten und Gewohnten

Nicht nur die Worte, mit denen wir vom „Über-Ort“ sprechen, sind uns zu vertraut geworden. Wir alle kennen unzählige religiöse Bilder, haben die Motivik der christlichen Ikonographie verinnerlicht und uns dabei satt gesehen am Bekannten und Gewohnten. Genauso wie das Wort „Ewiges Leben“ nichts mehr in mir auslöst, so über-sehe ich die Bilder und Statuen in den mir vertrauten Kirchen.
Wann bin ich das letzte Mal angesichts der Grausamkeit eines Kruzifixes erschrocken?
Wann hat mich das letzte Mal die Hoffnungslosigkeit einer Pietà wirklich berührt?

Ein sakrales Kunstwerk schließt stets an unsere Sehgewohnheiten an. Und auch meine Werke zitieren den Raum, die Formensprache der jeweiligen Kirchenarchitektur und schlagen Bögen zu den bereits existierenden Figurengruppen und Bildprogrammen vor Ort. Gleichzeitig wird aber etwas Neues geschaffen, das den vorhandenen Raum umdeutet und eine Botschaft in der eigenen Formensprache vermittelt. Reine Reduktion und kontextlose Abstraktion sind für meine Form einer verkündigenden Sakralkunst dabei nicht zielführend.

Selbstverständlich geht es in der modernen sakralen Kunst nicht um historisierende Werke, sondern um etwas für sich selbst Stehendes. Aber ein reines Beschränken auf Farbe und Form verflacht aus meiner Sicht als Theologe die Aussagekraft des Werkes. Bei manchem zeitgenössischem Werk kommt es mir vor, als würden die Kunstschaffenden in ihrem Eifer neue „Worte“ zu finden nicht nur auf eine Flipchartseite von Floskeln verzichten, sondern gleich auf die gesamte Grammatik, um sich auch ja nicht zu wiederholen. Natürlich entstehen dabei teils große Werke, der Kunst stehen ja mit Farbe und Form eine Fülle wortloser Ausdrucksformen zur Verfügung, aber oft führt dies auch nur zu Banalität. Farbenspiel oder ein überinterpretiertes Symbol reichen allein noch nicht zur Verkündigung.

Unausgesprochene Botschaft

Unsere Kirchen sind voller Bilder und Symbole, die uns Menschen auf einer tiefenpsychologischen Ebene ansprechen. Diese Ur-Bilder wirken auch heute teils stärker als Worte auf das Un-Bewusste der Betrachtenden. Diese unausgesprochene Botschaft von Licht und Dunkel, Chaos und Ordnung, Tod und Leben gilt es in der vorhandenen und neu zu schaffenden Sakralkunst wiederzuentdecken. Sei es in der Predigt, durch Installationen oder in einem neuen Kunstwerk.

Wenn ein Werk mit diesen Urbildern spielt, alte Ikonographie aufgreift, dekonstruiert, fragmentiert und neu in Beziehung setzt, zeigt sich, dass wir nicht des Ur-Bildes und der Botschaft überdrüssig sind, sondern nur der vertrauten Darstellung.

Wieder-Entdeckung des Vertrauten

In meinem Werk VERLASSEN, das die Corona-Pandemie biographisch aufarbeitet, spannt sich ein ausgemergelter Körper über eine der Leinwände. Auch ohne Wunden und Nägel ist die Parallele zum Gekreuzigten offensichtlich, zitiert die altbekannte Form und ist doch in seiner Deutung offen für das heutige Leid der einsam Sterbenden. Trotz der Figürlichkeit der Darstellung wird so ein neuer Blick auf das vertraute Motiv möglich. Die Vorbeigehenden lassen sich ganz anders von diesem Korpus anrühren, obwohl er im Kirchenraum bereits mehrfach dargestellt ist. Es wird hingeschaut.

Neu-Kontextualisierung des Vorhandenen

Aber auch das bereits Vertraute wird so neu entdeckt. Die letzte Bildtafel von VERLASSEN zeigt den aufbrechenden goldenen Himmel vor schwarzem Grund. Das Heil in der Hoffnungslosigkeit, das in seiner tiefen Symbolik auch unausgesprochen von der Hoffnung kündet. Diese Tafel öffnet sich mit der goldenen Seite stets zum Kirchenraum, oder in der Herz-Jesu-Kirche in München noch konkreter zum Allerheiligsten, und verknüpft so die Botschaft der Installation mit der vorhandenen Heilsbotschaft unserer sakralen Räume.

Manchmal braucht es nicht viel, um die Ohren und Augen der Kirchenbesucher wieder zu öffnen. Ein unerwartetes Wort oder ein neuer Kontext reichen aus, um Vertrautes neu von unserem Glauben künden zu lassen und ihr Gegenüber wieder zu berühren.

 

Raoul R. M. Rossmy arbeitet als Pastoralreferent in der Erzdiözese München und Freising. In seiner Tätigkeit als Seelsorger im Pfarrverband Isarvorstadt wie auch in seinem Wirken als Sakralkünstler sucht er nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten in der Verkündigung.