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Kurdenkonflikt eskaliert

Başak Özay22. August 2012

Die jüngsten Terroranschläge in der Südosttürkei haben das NATO-Land erneut in den Mittelpunkt der internationalen Öffentlichkeit gerückt - und damit auch den Kurdenkonflikt. Die Türkei vermutet die PKK als Täter.

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Kurden in Syrien demonstrieren gegen Bashar al-Assad (Foto: AP)
Bild: AP

Die Bombenexplosionen in der Provinzhauptstadt Gaziantep am Montag (20.08.2012) mit neun Toten und mehr als 60 Verletzten sind der vorläufige Höhepunkt im blutigen Konflikt des türkischen Staates mit den Kurden, in dem seit 1984 mehr als 40.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Der von der militanten kurdischen Separatistenorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) begonnene Kampf um einen unabhängigen kurdischen Staat auf türkischem Territorium flammt nach vorübergehender Ruhe erneut auf. Doch ob die von der EU als "Terrororganisation" eingestufte PKK tatsächlich hinter den Anschlägen in Gaziantep steckt, ist noch offen. Die Verantwortung für die Bombenanschläge übernahm die PKK jedenfalls nicht.

Die Provinz Gaziantep an der türkisch-syrischen Grenze ist ein Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Syrien. Als ein Zentrum des Kampfes galt die Provinz Gaziantep bislang nicht. Hier leben kurdisch- sowie arabischstämmige türkische Staatsbürger, die nunmehr eine Antwort auf die Frage nach den Drahtziehern der Anschläge suchen. Dass die PKK zunächst massiv beschuldigt wurde, liegt an den Kämpfen der letzten Monate, bei denen jeden Tag viele Soldaten und PKK-Kämpfer umkamen.

Ein Feuerwehrmann vor einem brennenden Bus (Foto: dapd)
Bombenanschlag in Gaziantep forderte neun TodesopferBild: dapd

"Das ist nicht das Grundmuster der PKK"

Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Friedensforscher am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, warnt vor zu schnellen Schuldzuweisungen: "Die PKK hat bestritten, etwas mit diesem Attentat zu tun zu haben. Das muss nicht stimmen, aber es muss auch nicht bedeuten, dass es gelogen ist. Man muss erst die Untersuchungen abwarten."

Auch Udo Steinbach vom Zentrum für Nah- und Mittelost-Studien an der Philipps-Universität Marburg befürwortet eine vorsichtige Herangehensweise. Ein Anschlag gegen die Zivilbevölkerung gehöre "nicht zum Grundmuster der PKK". Vielmehr konzentriere sich die PKK auf Aktionen gegen die Sicherheitskräfte: "Folglich wird man danach fragen müssen, ob es die PKK war oder ob nicht andere Organisationen oder Kräfte in Frage kommen." Steinbach vertritt auch die Auffassung, dass es nicht falsch wäre, den Blick nach Syrien zu richten.

Spannungen zwischen Syrien und der Türkei wachsen

Das Nachbarland Syrien befindet sich seit mehr als einem Jahr in einem Bürgerkrieg. Tausende syrische Flüchtlinge sind in die Türkei geflohen, die die oppositionellen Kräfte gegen das Assad-Regime unterstützt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich deutlich vom syrischen Diktator distanziert. Er fordert beharrlich den Rücktritt Assads. Steinbach weist darauf hin, dass die Spannungen zwischen Ankara und Damaskus erheblich gewachsen seien. Eine Unterstützung der PKK durch das syrische Regime sei nicht auszuschließen: "Es kann sein, dass in Gaziantep ein Zusammenspiel zwischen Damaskus und PKK stattgefunden hat."

Portrait von Recep Tayyip Erdogan (Foto: Reuters)
Fordert seit längerem Assads Rücktritt: Recep Tayyip ErdoganBild: REUTERS

Konfliktforscher Hippler glaubt, dass die Sicherheitslage in der Türkei durch die Entwicklungen in Syrien bedroht sei. Er spricht von zwei Sicherheitsproblemen der Türkei: "Es gibt eine Verschärfung des Kampfes zwischen kurdischen Rebellen und türkischen Sicherheitskräften. Es gibt aber auch wegen des Konflikts zum Nachbarland Syrien immer größer werdende Sicherheitsprobleme. Es gibt Probleme mit den syrischen Flüchtlingen ebenso wie mit der syrischen Opposition auf der türkischen Seite. Die Verknüpfung der Probleme wird die Sicherheitslage in der Türkei weiterhin verschärfen."

Syrien und der Kurdenkonflikt

Kurden gibt es in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran. Der Norden Syriens ist kurdisches Gebiet. Hippler sagt, dass sich im Zuge des Aufstandes gegen die Diktatur in Damaskus auch die Rolle der Kurden in Syrien gründlich verändern könnte.

Türkische Panzer an der Türkisch-irakischen Grenze (Foto: dpa)
Die türkische Armee ist im ständigen Einsatz gegen kurdische KämpferBild: picture alliance / dpa

In einigen Städten in Nordsyrien sollen die Kurden die Kontrolle übernommen haben. Darauf reagierte die türkische Regierung scharf. Der Vizechef der türkischen Regierungspartei AKP, Ömer Celik, erklärte, wenn die syrischen Kurden als Teil der Opposition gegen Assad mit der PKK zusammenarbeiteten, werde die Türkei reagieren.

Steinbach verweist auf die mögliche weitere Vertiefung des Kurdenkonflikts in der Türkei im Zuge der Entwicklungen in Syrien ebenso wie im Irak: "Das kurdische Problem in der Türkei ist noch nicht gelöst. Der kurdische Teil des Irak spielt gewisserweise eine Doppelrolle. Auf der einen Seite nähert man sich der Türkei an, auf der anderen Seite schaut man mit Interesse auf das syrische Kurdistan hinüber. Da entsteht ein größerer kurdischer Raum an der türkischen Grenze. Ich glaube das wird in Ankara sehr sorgfältig verfolgt."

"Das Problem soll politisch gelöst werden"

"Das Problem besteht darin, dass niemand in der Welt im Moment eine Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien hat, das gilt auch für die Türkei", sagt Hippler. Beide Experten meinen, da die Türkei das Syrienproblem nicht lösen könne, sollte sie am besten versuchen, den inneren Konflikt mit den Kurden beizulegen. Das aber sei nur durch politische Schritte möglich.

"Da kann man nur an den türkischen Regierungschef Erdogan appellieren, dass er endlich mutige Schritte unternimmt", sagt Steinbach. Der erste Schritt sei eine neue türkische Identität zu schaffen, die alle religiösen und ethnischen Minderheiten erfasst. Außerdem solle auf die Kurden zugegangen werden, um die Demokratie zu festigen. Hippler auf der anderen Seite weist auf die bislang nicht ermöglichte politische und gesellschaftliche Teilnahme der Kurden hin und fordert, der kurdischen Kultur und ihren Politikern den Raum zu geben, der ihnen zustehe.