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Politik

Kurz: Es geht um Glaubwürdigkeit

12. Dezember 2016

Wegen der politischen Säuberungen in der Türkei nach dem gescheiterten Putsch sollte die EU Beitrittsverhandlungen aussetzen. Das fordert der österreichische Außenminister Sebastian Kurz im DW-Interview.

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OSZE Ministerrat in Hamburg - Sebastian Kurz, Außenminister Österreich
Bild: picture-alliance/Sven Simon

Interview Sebastian Kurz EU Türkei - MP3-Stereo

Deutsche Welle: Österreich will beim Außenministertreffen am Dienstag einem Text der EU nicht zustimmen, der weitere Gespräche mit der Türkei über einen EU-Beitritt empfiehlt. Sie treten für ein Aussetzen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein. Glauben Sie, dass Ankara sich damit beeindrucken lässt?

Sebastian Kurz: Es geht, glaube ich nicht, darum, ob Ankara beeindruckt ist oder nicht, sondern es geht darum, was richtig ist und wie wir die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union bewahren. In der Türkei werden Andersdenkende eingeschüchtert, Journalisten und Oppositionspolitiker werden eingesperrt. Es soll die Todesstrafe eingeführt werden. Wir als Europäische Union müssen darauf reagieren. Das Europäische Parlament hat zurecht eingefordert, dass die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt werden sollen. Das unterstütze ich zu 100 Prozent.

Nun finden diese Beitrittsverhandlungen de facto sowieso nicht statt. Was bringt also das zusätzliche Einfrieren, was bringt dieses Signal?

Es stimmt nicht, dass die Beitrittsverhandlungen nicht stattfinden. Es gab mehr Fortschritt bei den Beitrittsverhandlungen, mehr Dynamik als bei den Beitrittsverhandlungen mit anderen Staaten, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen. Also, insofern stimmt es einfach nicht, wenn man immer sagt, das findet eh nicht statt. Das ist unrichtig. Zum Zweiten fließt, so lange die Verhandlungen nicht eingefroren sind, Geld des europäischen Steuerzahlers in die Türkei als Annäherungs-Unterstützung. Hunderte Millionen Euro jedes Jahr. Ich weiß nicht, wie man das rechtfertigen könnte.

Österreich hat ja relativ wenige Verbündete im Ministerrat, die Niederlande und Bulgarien machen noch mit. Wie wollen Sie denn die Mehrheit auf Ihre Seite bekommen?

Ich muss die Mehrheit nicht auf meine Seite bekommen, sondern es geht um einen Beschluss der einstimmig zu fassen ist. Ich werde den Rats-Schlussfolgerungen nicht zustimmen, wenn sie weiterhin diese positive Sprache enthalten und, aus meiner Sicht, absolut nicht zur Situation in der Türkei im Moment passen. Das verändert jetzt noch nicht die Welt, aber es wäre ein klares politisches Signal. Wenn sich der Text nicht ändert, werde ich das Signal auch setzen. 

Einige Außenminister, vor allem Sozialdemokraten wie der luxemburgische Außenminister, kritisieren Sie und sagen zum Beispiel, die Österreicher wollten die Türken jetzt wieder vor Wien aufhalten. Was sagen Sie zu solchen Argumenten. Haben Sie Vorurteile gegenüber den Türken?

Nein, überhaupt nicht. Wir sehen nur, was sich tagtäglich in der Türkei abspielt. Wir sind damit ja nicht ganz allein. Das Europäische Parlament, unsere gewählten europäischen Vertreter, haben über die Parteigrenzen hinweg mit großer Mehrheit den Beschluss gefasst, die Beitrittsverhandlungen einzufrieren. Der türkische Präsident hat danach gesagt, was das Europäische Parlament will, ist irrelevant. Außerdem sei das eine Organisation, die den Terror unterstützt. Wenn jetzt die logische Konsequenz daraus ist, dass wir als Außenminister sagen, die Beitrittsverhandlungen sollen fortgesetzt werden, als ob nichts stattgefunden hätte, dann halte ich das für ein dramatisches Signal. Und was den Außenminister Luxemburgs betrifft, der kommt mir etwas sprunghaft vor, denn vor kurzer Zeit hat er noch gefordert, dass es Sanktionen gegen die Türkei geben soll. Also, ein wesentlich dramatischerer Schritt als nur die Beitrittsverhandlungen einzufrieren. 

Sebastian Kurz (30) ist Außenminister Österreichs. Der konservative ÖVP-Politiker, der sein Jura-Studium nicht abgeschlossen hat, leitete 2015 die Schließung der "Balkan-Route" ein und trug so entscheidend zur Änderung der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik bei. 2017 übernimmt er den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

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