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Kölner Karneval: Immer noch Männersache?

Silke Wünsch
8. Februar 2024

Warum spielt im Kölner Karneval ein Mann eine Jungfrau? Was ist eine Tanzmarie - und was hat sie mit dem 30-jährigen Krieg zu tun? Und seit wann dürfen Frauen im Rosenmontagszug mitgehen? Wir klären auf.

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Prinz Karneval 1884, umgeben von seinem Gefolge in prächtigen Kostümen.
Prinz Karneval und sein Gefolge 1884. Bis heute eine rein männliche AngelegenheitBild: Festkomitee Kölner Karneval

Seit jeher wird in Köln der Karneval gefeiert. Früher ging es rau zu, ungeordnet, anarchisch, und so anstößig, dass einflussreiche Kölner im 19. Jahrhundert beschlossen, diesen karnevalistischen "Wildwuchs" zu reglementieren.

Eine Gruppe mehrerer Herren aus der Kölner Bildungselite gründete im Jahr 1823 das "Festordnende Comité" und stellte dem neu geordneten Karneval eine Figur voran: Der "Held Karneval" sollte seinen "edlen Charakter" dem "erbärmlichen Treiben" in den Gassen entgegenstellen. Aus dem Helden Karneval wurde 1872 schließlich der "Prinz Karneval". Begleitet wurde er von zwei Figuren, die schon seit Jahrhunderten Facetten der Stadt verkörperten: der Bauer, der für die Wehrhaftigkeit der Stadt Köln steht, und die Jungfrau als Sinnbild der römischen Gründerin von Köln, Colonia Agrippina, die schützend die Hände über die Stadt legt. Der Begriff "Dreigestirn" für das Trio wurde erst 1938 zur offiziellen Bezeichnung der Kölner Karnevalsregenten. Das damalige "Festordnende Comité" nennt sich heute Festkomitee, unter seinem Dach sind etwa 120 Kölner Karnevalsgesellschaften versammelt.

Reine Männersache

Der vor 200 Jahren neu organisierte Kölner Karneval war reine Männersache. Und so wurden alle Figuren, die im Karneval eine Rolle spielten, von Männern dargestellt.

Drei Männer posieren in prächtigen Kostümen als Dreigestirn 1907 (verkleidet als Jungfrau, Prinz Karneval und Bauer), einer davon in einem Frauengewand.
Männersache: das Kölner Dreigestirn 1907 Bild: Festkomitee Kölner Karneval

Männer stellten sich als Marktweiber oder Putzfrauen verkleidet auf die Bühne und hielten zotige Reden. Die Jungfrau an der Seite des Karnevalsprinzen war ein Mann in Frauenkleidern, und auch die Tanzmariechen (Erste Tänzerinnen einer Tanzgruppe, Anm. d. Red.) waren Männer. Die "Mariechen" stehen für die Marketenderinnen, also die Frauen, die schon im 30-jährigen Krieg (1618-1648) die Soldatenheere begleiteten und "unterhielten". Dem männlichen Tanzmariechen, damals noch im langen Rock, wurde ein Tanzoffizier zur Seite gestellt. Mehr lustig als elegant anzusehen, tippelten die Paare bei den großen Veranstaltungen auf der Bühne herum.

"Kampf gegen das Transvestitentum"

Das gefiel den Nationalsozialisten, die seit 1933 an der Macht waren, ganz und gar nicht. Grell geschminkte Männer in Frauenkleidern - das war viel zu nah dran an der Homosexualität - und die wurde unter dem Naziregime verfolgt und bestraft. So kam es, dass die Karnevalsvereine angewiesen wurden, im "Kampf gegen das Transvestitentum" nur noch Frauen als Tanzmariechen einzusetzen.


Männer in rot-weißer Uniform auf einer Bühne, im Vordergrund trägt ein Tanzoffizier das Funkenmariechen auf den Schultern.
Nachdem die Tanzmarie weiblich wurde, wurden die Tänze eleganter und akrobatischerBild: Silke Wünsch/DW

Die Karnevalsgesellschaften fügten sich dem Druck des Regimes. Schließlich hatten etliche Karnevalisten gute Beziehungen zu den Nazis und wollten sich nicht unbeliebt machen. So durften ab 1936 nur noch gemischte Tanzpaare auftreten, obgleich unter vorgehaltener Hand die Überzeugung herrschte, dass Frauen diesem Job körperlich nicht gewachsen seien. Zudem seien die Witze auf den Veranstaltungen viel zu derb und anstößig für weibliche Gemüter, fürchtete man damals.

Die Herren irrten sich. Die Damen hatten Ausstrahlung, tanzten die Männer in Grund und Boden und trugen auch sonst keine psychischen Schäden davon. Das war offenbar so nett anzusehen, dass es auch nach dem Ende der Nazi-Ära dabei blieb. Egal ob Tanzmarie, Funkenmariechen, Regimentstochter, Gardemädchen oder Marketenderin: Der Posten der Ersten Tänzerin sollte fortan nur noch an eine Frau gehen.

Warum die Jungfrau auch heute noch ein Mann ist

Anders erging es der Figur der Jungfrau im Kölner Dreigestirn. Von jeher war diese Rolle männlich besetzt. Doch auch hier setzten sich die Nazis gegen die Tradition durch: 1938 und 1939 waren es Paula Zapf und Else Horion, die als erste und einzige Frauen in der Geschichte des Kölner Dreigestirns diese Rolle übernahmen. 1940 gab es wegen des Karnevalsverbots im Zweiten Weltkrieg nur noch ein inoffizielles Dreigestirn, aber auch hier mit einer weiblichen Jungfrau, Elfriede Figge. Das Trio trat nur einmal auf: heimlich, mit ein paar Karnevalisten, auf der Kegelbahn einer Kneipe.

Erst 1949 gab es wieder einen Rosenmontagszug sowie ein Dreigestirn. In der Rolle der Jungfrau war wieder ein Mann: weil es erstens an die alte Tradition knüpfte und man zweitens mit Regeln, die die Nazis eingeführt haben, nichts mehr zu tun haben wollte.

Dass die Jungfrau im Dreigestirn bis in alle Ewigkeit von einem Mann dargestellt wird, ist übrigens nicht in Stein gemeißelt: In der Satzung des Festkomitees steht, dass das Dreigestirn aus einer seiner Gesellschaften stammen muss. Unter denen sind auch reine Damengesellschaften. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis auch ein Kölner Dreigestirn weiblicher wird.

"Der Zug wird zu lang, wenn Frauen mitgehen"

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der organisierte Karneval weitestgehend Männersache. Im Rosenmontagszug hatten Frauen bis in die 1970er-Jahre so gut wie nichts zu suchen.

Die Argumente waren absurd: der Zug werde zu lang, wenn Frauen mitgehen. Frauen könnten sich an umherfliegenden Kamellen und anderen Wurfgeschossen verletzen, zudem seien Frauen nicht so trinkfest wie Männer. Auch seien sie im alkoholisierten Zustand viel unangenehmer als betrunkene Männer. Und schließlich hieß es noch, dass in den Kleiderkammern des Festkomitees nur Kostüme in Herrengrößen vorhanden seien.

So durften nur die Tanzmariechen und die weiblichen Musiker der Karnevalskapellen im Rosenmontagszug mitgehen. Ausnahmen wurden allerdings für die Prominenz gemacht; so schmückte man sich 1950 etwa mit der damals berühmten Schauspielerin Magda Schneider.

Eine Gruppe Frauen in Minikleidern und mit weißem Kopfputz schreitet durch die Menschenmenge am Rand des Zuges.
Premiere im Rosenmontagszug 1978: eine der ersten Frauengruppen im ZugBild: Festkomitee Kölner Karneval

Erst 1978 durften Frauengruppen dann im Zug mitgehen. Der damalige Zugleiter ließ Proteste der Traditionalisten an sich abprallen und sorgte dafür, dass der weibliche Anteil im Rosenmontagszug schnell wuchs. Waren 1978 noch 400 Frauen dabei, waren es vier Jahre später schon 1700.

"Frauenstimmen klingen komisch, wenn sie Kölsch singen"

Auch die Karnevalsmusik wird von männlichen Künstlern dominiert - bis heute. Unter den zehn beliebtesten Kölner Bands im Karneval gibt es keine mit weiblicher Beteiligung. Dabei gibt es kölsche Karnevalssängerinnen, die seit Jahrzehnten im Geschäft sind, jedoch angeblich nicht so gut sind wie die Männer. Die Begründungen dafür sind teils hanebüchen: Frauenstimmen würden nicht gut klingen, wenn sie in kölscher Mundart singen, heißt es etwa. Zudem könne man nicht so gut mitsingen, weil weibliche Stimmen zu hoch seien.

Eine Sängerin steht auf der Bühne und feuert ihr Publikum an.
Sängerin Nici Kempermann ist eine der emanzipierten jungen Frauen im Kölner KarnevalBild: Horst Galuschka/dpa/picture alliance

Allerdings treten mittlerweile immer mehr selbstbewusste junge Musikerinnen auf den Plan. Und sie zeigen den männlichen Kollegen, dass auch sie es drauf haben, einen Saal zum Kochen zu bringen. Doch leicht haben sie es nicht - die Macht der alten Gewohnheiten reicht selbst bis in die Damengesellschaften, auf deren Buchungslisten selten eine Künstlerin steht.

Deshalb kämpfen einige junge Musikerinnen für mehr Sichtbarkeit. Rückhalt bekommen sie vor allem von alternativen Karnevalsvereinen, die mit daran arbeiten, den traditionellen Kölner Karneval ins Hier und Jetzt zu holen und dessen Zukunft weiblicher zu gestalten.