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Kümmern und drohen

Sabine Kinkartz, Berlin18. September 2015

"Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenzen", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie zeigt das freundliche Gesicht Deutschlands. Für den Rest sind ihre Minister zuständig. Und die CSU.

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Bild: picture-alliance/dpa/Annegret Hilse

Halle an der Saale, es ist Freitag, 11 Uhr. Soeben ist die Bundeskanzlerin in der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, eingetroffen. Auf der Jahresversammlung geht es um "Symmetrie und Asymmetrie in Wissenschaft und Kunst". Angela Merkel wird die Festrede halten. Ein Heimspiel für die Physikerin und eine Gelegenheit, zur Abwechslung mal über etwas anderes zu sprechen, als über das alles dominierende Thema Asyl und Flüchtlinge.

Das überlässt sie anderen, beispielsweise Regierungssprecher Steffen Seibert. In Berlin wird er mit Fragen zu den geplanten Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz bombardiert. Der Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Thomas de Maizière sieht vor, dass jene Asylbewerber, für die Deutschland laut Dublin-Verordnung nicht zuständig ist, in Zukunft lediglich mit einer Rückfahrkarte und mit Reiseproviant versorgt werden sollen. Im Prinzip würde das auf alle Flüchtlinge zutreffen, die aus einem anderen EU-Land nach Deutschland einreisen - also auch auf die vielen tausend Menschen, die in den letzten beiden Wochen angekommen sind.

Weiß die Kanzlerin davon?

Der Gesetzentwurf trägt das Datum 14. September, ist also offenbar in Eile geschrieben und vom Bundesinnenministerium gerade erst zur Abstimmung an die übrigen Ministerien verschickt worden. Auf diesem Weg sickerte eine Kopie durch. Pro Asyl, Grüne und Linke protestierten umgehend. "Das Asylrecht darf nicht zum Abschieberecht werden", fordert die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke und wirft de Maizière "Ausgrenzung statt Integration" vor. Grünen-Parteichefin Simone Peter spricht von einer "Schikanierungsliste" und die Süddeutsche Zeitung kommentiert: "Wenn dieser Entwurf wirklich ernst gemeint ist, woran man am liebsten zweifeln möchte, ist er frevlerisch."

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Die Flüchtlinge lassen sich nicht aufhaltenBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Nicht wenige fragen sich, ob der Gesetzentwurf überhaupt mit der Kanzlerin abgestimmt ist. Weiß sie, was ihr Innenminister plant? Regierungssprecher Steffen Seibert zeigt sich schmallippig. "Wie es üblich ist, kommentiere ich keine Gesetzentwürfe, die derzeit in der internen Willensbildung der Bundesregierung sind", wiegelt er ab. Ähnlich formuliert es der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Tobias Plate. Er fügt noch hinzu, es handele sich um ein "living document", bei dem die "Worte nicht in Stein gemeißelt" seien.

Hoffen auf die Quote

Der Gesetzentwurf, der wohl schon im Oktober im Bundestag und im Bundesrat behandelt werden soll, richte sich auch nicht gegen die syrischen Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland einreisten, beschwichtigt Plate. Bei diesen sei das sogenannte "Selbsteintrittsrecht" ausgeübt worden. "Sie werden hier ein Asylverfahren durchführen und wenn sie Schutzgründe geltend machen, dann können sie hier dauerhaft bleiben." Sollte es in Europa aber gelingen, eine verpflichtende Quote und damit eine Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Länder durchzusetzen, dann müsse es Gesetze geben, mit denen diese Verteilung auch umgesetzt werden könne.

Eine Quote, die nach wie vor nicht in Sicht ist. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hört dennoch nicht auf, dafür zu trommeln. EU-Ländern, die sich gegen die Aufnahme von mehr Flüchtlingen sperren, droht er inzwischen auch mit Zwang. Die EU solle erwägen, notfalls auch das Instrument der Mehrheitsentscheidung anzuwenden, sagt er. Eine Formulierung, die Angela Merkel so nicht über die Lippen käme. Die Kanzlerin hat mehrfach gesagt, dass sie niemandem drohen will. Macht in dieser Bundesregierung derzeit jeder, was er will?

Verteilte Rollen in der Regierung

Fast könnte man das meinen. Vor allem mit Blick auf die Kanzlerin und die CSU. Aus der bayerischen Schwesterpartei der CDU reißt die Kritik an Merkel nicht ab: Mit ihrer Entscheidung, vor zwei Wochen die Grenze für die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge zu öffnen, sei "der Korken von der Flasche" genommen worden. Die Kanzlerin kontert die Kritik mit für ihre Verhältnisse deutlichen Worten: "Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."

Angela Merkel ist getroffen, das steht außer Frage. Auf der anderen Seite profitiert sie jedoch von der Härte der CSU. Denn so werden auch diejenigen Bürger bedient, die Sorgen und Ängste haben. Und das sind angesichts der logistischen Überforderung der Helfer vor Ort immer mehr. Wenn es aus der CSU jetzt heißt, dass "eine unbegrenzte Zuwanderung auch an Kriegsflüchtlingen einfach nicht zu stemmen" sei, und dass "der Zuzug auf ein Maß beschränkt" werden müsse, "das unsere Integrationsfähigkeit nicht übersteigt", dann hat das im politischen Kalkül der Kanzlerin durchaus eine (wenn auch versteckte) Daseinsberechtigung.

Wie geht es weiter?

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Selbst Gabriel hat ZweifelBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Denn auch Merkel weiß, dass etwas passieren muss. Es wird schon schwer genug werden, die Flüchtlinge zu integrieren, die bereits in Deutschland oder auf dem Weg dorthin sind. Wenn jetzt noch Hunderttausende aus den Flüchtlingslagern in der Türkei und im Nordirak aufbrechen, dann kommt das Land tatsächlich an seine Grenzen. Schon warnt auch der bislang sehr zuversichtliche SPD-Chef Sigmar Gabriel vor einer wachsenden Verunsicherung in Deutschland. Es dürfe keine Stimmung entstehen nach dem Motto: Für die Flüchtlinge sei Geld da, aber für die deutschen Bürger nicht, so der Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister.

Ein Thema, das am kommenden Donnerstag sicherlich eine Rolle spielen wird, wenn sich die Bundeskanzlerin und einige ihrer Minister mit den Ministerpräsidenten der Länder treffen werden. Drei Stunden sind für die Runde angesetzt, bei der es in erster Linie ums Geld gehen soll. Drei Milliarden Euro hat die Bundesregierung Ländern und Kommunen für die akute Krisenhilfe bereits zugesagt. Kaum jemand zweifelt daran, dass diese Summe bei Weitem nicht ausreichen wird.