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La Vida Loca

21. Januar 2010

Zentralamerikas Maras gelten als die brutalsten Gangs der Welt. Filmemacher Christian Poveda gewann ihr Vertrauen, doch er bezahlte seine Dokumentation "La Vida Loca" mit dem Leben. Jetzt startet der Film in Deutschland.

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(Foto: AP)
Ein Mitglied der "Mara 18"Bild: AP

San Salvador, in einem der zahlreichen Armenviertel: Menschen haben sich um einen geöffneten Sarg versammelt, sie beten, sie beschwören Zusammenhalt und Rache, eine Frau klammert sich vor Gram schreiend an den aufgebarten, toten Körper. Mit dieser Szene beginnt der Film: „La Vida Loca – Die Todesgang“: Alltag in El Salvador. In den Straßen der Stadt herrscht Krieg, denn hier regieren die Maras, Zentralamerikas Jugendbanden.

(Foto: eastside comunications)
Der Tod als einzige KonstanteBild: eastside communications

Mit rund 200.000 Mitgliedern sind die Maras mittlerweile in Mittelamerika ein existenzielles Problem. Sie entstanden in den 1980er Jahren, als Hunderttausende vor den Bürgerkriegen in Mittelamerika in die USA flohen. In Los Angeles entstand die berüchtigte „Mara 18“, benannt nach der 18. Straße. Nach dem Friedensschluss in Mittelamerika wurden gefasste Bandenmitglieder von den USA wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben, wo sie weder Arbeit noch Familie fanden.


Mitglied für immer

Sie brachten die Gewalt in die Region: Sie kontrollieren ganze Landesteile, vergewaltigen, erpressen und morden und sorgen für die höchsten Mordraten der Welt. Und sie bekriegen sich gegenseitig, denn die Mitglieder der „Mara 18“ hassen die der „Mara Salvatrucha“ (ein abfälliges Wort für Salvadorianer) und andersherum. Religiöse oder ethnische Gründe für die Feindschaft gibt es nicht. Jeder Mord ist die Vergeltung für einen anderen. Ihr Motto ist „La Vida Loca“, das irre Leben, so auch der Titel von Povedas Film.

Ihr Kennzeichen sind Tätowierungen: auf dem Oberkörper, den Armen und sogar im Gesicht ist die "18" für immer eingraviert. Wer einmal Mara ist, bleibt es ein Leben lang: „Die Mara - das ist Liebe“, erklärt eines ihrer Mitglieder in dem Film: „Das ist kein Spiel, Alter. Bruderschaft ist das oberste Gesetz der Gang. Was sie dir antun, tun sie auch seinem Bruder an.“

(Foto: WIDE MANAGEMENT)
Lebte 16 Monate bei der "Mara 18": Dokumentarfilmer Christian PóvedaBild: Weltvertrieb WIDE MANAGEMENT

Menschliche Seiten

Der Film zeigt auch Menschen, die versuchen, etwas an der Situation zu ändern. Einen Aussteiger, der anderen Bandenmitgliedern die Möglichkeit bietet, in einer Bäckerei einer legalen Beschäftigung nachzugehen. Doch die Maras bestrafen Ausstieg mit dem Tod und die staatlichen Autoritäten trauen ihm nicht über den Weg. Ein anderer Jugendlicher sucht den Ausweg bei Evangelikalen, er lässt sich schließlich taufen. Ein guter Vorsatz, „der in den meisten Fällen allerdings zu nichts führt“, wie ihn der Pfarrer warnt.

16 Monate hat der Dokumentarfilmer Christian Póveda bei der „Mara 18“ gelebt und ihren Alltag gefilmt. Ihre Mitglieder heißen „Big Boy“, „Cuca“ oder „la Gallina“ und sind fast noch Kinder. Er begleitet sie mit fleischigen tiefen Stichwunden oder Schussverletzungen zum Arzt, er filmt sie beim Kiffen, beim Tätowieren oder im Knast.

Der Tod als Konstante

Inmitten dieser Brutalität zeigt Poveda aber auch eine menschliche Seite: Mütter, die sich auf dem Weg ins Gefängnis unter Tränen von ihren Kindern verabschieden, verletzte Kinderseelen. Eine Gang, die zum Familienersatz für die Jugendlichen wird. Er habe zu zeigen versucht, was passiert, wenn Teile der Gesellschaft ausgegrenzt werden, sagte Poveda noch im vergangenen Jahr in einem Fernsehinterview. „Diese Jugendlichen wurden nie integriert. Diese Gewalt und diese Parallelgesellschaft sind die Folgen einer jahrelangen, falschen Politik! Repressionen sind wirkungslos. Auch hier in Europa steigt die Jugendgewalt massiv, zum Beispiel in Frankreich. Und wenn nichts passiert, haben wir hier vielleicht in 20 Jahren ähnliche Probleme wie in El Salvador!“

(Foto: AP)
Trauermesse für den Filmemacher in San SalvadorBild: AP

Und so wird der Tod zum Roten Faden in dem Film: Auf Friedhöfen schreien sich Menschen die Trauer von der Seele. Leichen werden von Polizisten lieblos in Müllsäcke gestopft und abtransportiert. Auf jeden Mord folgt Vergeltung. Im Leben der dargestellten jungen Menschen erscheint der Tod als die einzige Konstante, die Gang als der einzige Halt.

Umso tragischer, dass Poveda den Film am Ende selbst mit dem Leben bezahlen musste: Am 2. September 2009 wurde er in El Salvador in einen Hinterhalt gelockt und ermordet, vermutlich von einem Bandenmitglied. Der Film war zu diesem Zeitpunkt bereits fertig und feierte Auszeichnungen auf Festivals rund um den Globus.

Sein Vermächtnis ist der Film: kein Unterhaltungskino, sondern eine Dokumentation, die sich an die Wurzel des unmenschlichen Hasses heran tastet und die Hoffnungslosigkeit derer zeigt, die nichts besitzen.

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Sven Töniges