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Lachen über Stalin: "The Death of Stalin"

Jochen Kürten
28. März 2018

In Russland ist der Film verboten, in Deutschland kommt die Satire über Stalins Tod und die Nachfolgeschlacht jetzt in die Kinos. Das deutsche Publikum darf sich freuen - und sich ein paar Fragen stellen.

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Filmstill aus dem Film "Death of Stalin" mit Schukow-Darsteller
General Schukow (Jason Isaacs) übernimmt energisch die MachtBild: Concorde Filmverleih

Bereits die Eröffnungssequenz ist grandios und bringt den Schrecken der Stalin-Ära auf den Punkt. Ein Symphonie-Orchester gibt ein klassisches Konzert, Josef Stalin ist zugeschaltet, hört mit und ist angetan. Nach Ende der Aufführung ruft Stalin den Konzerthausleiter an und verlangt nach einem Mitschnitt. Doch oh weh, man hat vergessen, das Konzert auf Schallplatte mitzuschneiden. Was also tun?

Überstürzt versuchen die Manager des Hauses das Publikum, das den Saal zum Teil bereits verlassen hat, zum Bleiben aufzufordern. Das Konzert muss komplett, von der ersten Note an, noch einmal eingespielt werden. Und zwar mit dem gleichen Klang im Haus. Das geht nur, indem die halbleeren Zuschauerreihen mit Passanten von der Straße aufgefüllt werden. Dirigent und Pianistin müssen überredet werden, ein ganzes symphonisches Konzert ein zweites Mal zu spielen - mit Mitschnitt diesmal.

Einen Diktator provoziert man nicht...

Nur so kann gewährleistet werden, dass Stalin möglichst rasch ein echtes Tondokument erhält. Andernfalls… ja, was würde andernfalls passieren? 

Wir befinden uns im Jahr 1953, die Herrschaft des Diktators Stalin fordert jeden Tag Opfer. Wer nicht hundertprozentig auf Linie ist, der wird verhaftet, verschleppt, ermordet. Das will keiner riskieren, auch nicht die verwirrten Zuschauer und Musiker im Konzertsaal. Einen Diktator provoziert man nicht…

Filmstill  aus "The Death of Stalin" mit sechs Darstellern des inneren Machtzirkels im Kreml.
Auf dem Boden liegt der gefallene Diktator - der innere Machtzirkel beäugt sich gegenseitigBild: picture-alliance/dpa/Concorde Filmverleih GmbH

"The Death of Stalin" ist eine bitterböse Politsatire über eine der brutalsten Schreckensherrschaften des 20. Jahrhunderts. Ein Kinofilm, der auf historisch verbürgten Fakten basiert, diese nur leicht verändert darstellt und so Historie und Komik, Geschichte und Groteske grandios zusammenfließen lässt.

Verantwortlich für den Film ist - neben Autoren, Produzenten und großartigem Schauspielerensemble - der schottische Regisseur Armando Iannucci: "Je mehr man über diese wahren Ereignisse herausfindet, umso mehr erscheinen sie als Farce." Iannucci ist ein Spezialist in Sachen Politsatiren, unter anderem war er verantwortlich für die mit mehreren Emmys ausgezeichnete Serie "Veep" über den Alltag einer US-Vizepräsidentin.

Regisseur Iannucci: "Zuschauer erhalten Zugang zur Geschichte."

Ihm sei es nicht nur um eine überdrehte Komödie mit albernen Späßen gegangen, sagt der Regisseur: "Ich glaube, bei Komödien gilt: Je mehr authentische Ereignisse und Details man einbauen kann, umso lustiger wird es." Und umso eher würden sich die Zuschauer fragen, ob das tatsächlich passiert ist - und sich die Antwort geben: "Ja, das könnte tatsächlich passiert sein. Die Zuschauer erhalten auf diese Weise einen Zugang zur Geschichte."

Still aus "The Death of Stalin" mit zwei Darstellern.
Lawrenti Beria (Simon Russell Beale, l.) ist 1953 der mächtigste Mann, Georgi Malenkow (Jeffrey Tambor) eine MarionetteBild: picture-alliance/dpa/Concorde Filmverleih GmbH

"The Death of Stalin" schildert nach der Eingangssequenz vor allem die Stunden und Tage nach Stalins Schlaganfall Anfang März 1953. Wer übernimmt die Macht nach seinem Tod? Wie geht man mit Stalins Erbe um? Setzen sich die Falken oder die Tauben im Kreml durch - und was geschieht dann mit der jeweiligen Gegenseite?

Iannucci, der seinen Film auf Grundlage einer französischen Graphic Novel gedreht hat, versammelt den inneren Machtzirkel des Kreml auf der Leinwand: Nikita Chruschtschow, der am Ende das Rennen machen wird, Lawrenti Beria, gefürchteter Geheimdienst-Chef, ZK-Sekretär Georgi Malenkow, Wjatscheslaw Molotow, enger Vertrauter des Diktators und später Außenminister, schließlich General Georgi Schukow, der 1945 die bedingungslose Kapitulation von Nazi-Deutschland entgegengenommen hatte, kurz vor Stalins Tod aber degradiert worden war. Und dann sind da noch Stalins Tochter und dessen Sohn. Sie alle kämpfen um die beste Ausgangsposition nach dem erwartbaren Ableben des Diktators.

Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie

"The Death of Stalin" verschweigt bei aller grotesker Szenerie und absurder Komik nicht, worum es damals, als Stalin im Sterben lag, ging: "Ich wollte, dass das Publikum daran erinnert wird, dass die Handlungen und Entscheidungen dieser Figuren verheerende Auswirkungen auf das Volk hatten", sagt der Regisseur. Er habe gewusst, dass er und sein Team sehr respektvoll mit den Fakten haben umgehen müssen: "Der Tatsache, dass Millionen Menschen getötet wurden oder verschwanden." Dieser Tatsache habe man weder aus dem Weg gehen können, "noch kann man sie in einem Witz vermitteln. Der Zuschauer muss sich dieser Tatsache in jedem Moment des Films bewusst sein."

Filmstill aus "The Death of Stalin" mit Genossen auf der Bühne.
Stalins Sohn Wassili (Mitte) erweist sich als Trunkenbold, rechts daneben Chruschtschow (Steve Buscemi) Bild: picture-alliance/dpa/Concorde Filmverleih GmbH

Und was sagt uns der Film über die Jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse heute? "'The Death of Stalin' mag vor über sechzig Jahren spielen", meint Iannucci, "aber er bietet einige ernüchternde Lektionen über die heutige politische Landschaft." Erste Gespräche über den Film habe er vor drei Jahren geführt, "als noch niemand Brexit oder Trump kommen sah". Damals habe er bewusst nach einem Thema gesucht, das "mit Diktatur zu tun hatte, mit Autoritarismus und damit, wie ein Land von einer Person terrorisiert werden kann, obwohl diese noch nicht einmal charismatisch ist, sondern einfach indem sie Konzepte wie Gruppendenken ausnutzt."

War das wohl auch ein Grund dafür, dass "The Death of Stalin" im Januar in Russland kurz vor dem angekündigten Kinostart (nach nur zwei Vorstellungen) doch noch verboten wurde? Der Film sei eine Verhöhnung und Abscheulichkeit, ein Komplott des Westens, um Russland zu destabilisieren, hieß es von Seiten des russischen Kulturministeriums. Zuvor hatten schon mehrere Duma-Abgeordnete den Film als untragbar bezeichnet und ein Verbot gefordert.

Was sagt das Filmverbot über das Russland von heute aus?

Einen Diktator, der Millionen Menschen auf dem Gewissen hat, der für millionenfache Vertreibung verantwortlich ist und flächendeckend Gulags errichtete, darf man nicht verhöhnen? Was sagt das über die heutigen Zensoren in Russland?

Filmplakat von "The Death of Stalin" mit kyrillischer Schrift in Russland.
In Russland hingen schon die Filmplakate für "The Death of Stalin"Bild: picture-alliance/Tass/Kirill Kukhmar

Sich über Diktatoren lustig zu machen, vor allem mit den Mitteln des Kinos, kann aus mehreren Gründen zu einem schwierigen künstlerischen Unterfangen werden. Natürlich ist nicht anzunehmen, dass das jetzige Verbot von "The Death of Stalin" in Russland aus Respekt vor den Opfern geschehen ist. Zumindest hat man diese Begründung aus Moskau nicht gehört.

Doch das deutsche Publikum wird sich daran erinnern, dass es nicht allzu lange her ist, dass man über Hitler, Goebbels und Co. aus verschiedenen Gründen auch nicht einfach lustige und alberne Filme machen konnte. Lachen über Hitler - das war (und ist) ein Thema, über das sich sicherlich streiten lässt.

Filme wie "Mein Führer - die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" (2007) von Dani Levy oder David Wnendts "Er ist wieder da" (2015) sind noch jüngeren Datums, Deutschland ist inzwischen bereit solche filmischen und komödiantischen Gratwanderungen zuzulassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Russland ist offenbar noch nicht so weit. Die Argumente für ein Für und Wider solcher Filme mögen verschieden sein - doch ein wenig Demut bei dieser Debatte stünde auch dem deutschen Publikum gut.

Mehr zur Stalin-Groteske im Kino in der aktuellen Ausgabe von KINO der Deutschen Welle. Darin auch Berichte über die Kinderbuchklassiker-Verfilmung "JIM KNOPF UND LUKAS DER LOKOMOTIVFÜHRER" sowie eine Erinnerung an Martin Luther King in der Filmgeschichte.