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Land der Modemuffel?

21. Januar 2010

Berliner Fashion Week: Stilsichere Modeprofis verschönern dieser Tage die Hauptstadt. Doch wie sieht es mit dem deutschen Normalbürger aus? Jan Bruck mit einer sehr persönlichen Bestandsaufnahme.

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Ein älterer Mann im karierten, kurzärmeligen Hemd trägt Shorts, weiße Socken und Sandalen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ ZB

Oft denke ich mir beim grausigen Anblick von Birkenstocks und Adiletten auf unseren Straßen: Haben wir Deutschen denn keine Spiegel zuhause? Damit wäre vielleicht auch unser wenig schmeichelhafte Ruf bei den europäischen Nachbarn zu erklären: Kaum modisch interessiert, optisch ein Desaster. Franzosen und Italienern fällt zum Kleidungsstil der Deutschen meist nur eins ein: weiße Frottee-Socken in Sandalen. Wir sind vielleicht das Land der Dichter und Denker - aber bestimmt nicht das der Designer und Dandys.

Spieglein, Spieglein

Models präsentieren bei der Fashion Week in Berlin 2009 UGG-Boots. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Gegenüber zahlreichen ästhetischen Beleidigungen aus Baumwolle und anderen Materialien sind unsere Augen unempfindlich. Nehmen wir beispielsweise diesen unsäglichen Trend, der sich auch diesen Winter hartnäckig auf den Beinen hält: braune Fellstiefel, auch Ugg-Boots genannt. Ich kann sie nicht mehr sehen. Überall laufen einem die klobigen Monstrositäten über den Weg. Dabei hat selbst US-Sängerin Britney Spears, die regelmäßig die Hitlisten der schlecht gekleidetsten Promis anführt, sie schon längst in die Mottenkiste verbannt.

Schlabberlook? Ja, bitte!

Unauffällig, praktisch und bequem, das sind die Qualitäten, auf die Deutsche bei der Kleidung achten. "Modisch und trendig? Nein, wir mögen’s grau und beständig!" Man könnte ja die Blicke auf sich ziehen oder in der Masse unangenehm auffallen. Diese Angst vor dem Aus-der-Reihe-Tanzen ist typisch Deutsch und gerade in Sachen Mode finde ich sie sehr bedauerlich.

Einige Refugien für deutsche Modebegeisterte gibt es natürlich schon, allen voran die Szeneviertel in Berlin, Hamburg, Köln und München. Wenn ich dort durch die Straßen laufe, sehe ich knallige Prints, asymmetrische Schnitte und schräge Frisuren. Mehr davon!

Mit Ausnahme dieser Fashion-Biotope können es deutsche Städte aber kaum mit Modemekkas wie Paris oder Mailand aufnehmen. Das hat natürlich auch historische Gründe. Während Paris zum Ausklang des 19. Jahrhunderts zum intellektuellen und künstlerischen Zentrum Europas aufstieg, war Berlin unter Kaiser Wilhelm I. noch eine rußige Industriestadt. Eine Entschuldigung für das schlechte Abschneiden der Deutschen im europäischen Modevergleich kann das aber nicht sein.

Experimentierfreudige Londoner

Modemesse Bread & Butter (Foto: dpa)
Zur Mode gehört auch Mut zum Farbexperiment - auch wenn es daneben gehtBild: picture-alliance / dpa

Neben Paris und Mailand darf natürlich London in der Trias der europäischen Modestädte nicht fehlen. Wer schon einmal in einem Underground-Zug saß, während die Jungen, Schönen und Reichen der Londoner City nach Feierabend durch die Türen strömen, weiß wovon ich rede. Hier ein peppiger Faltenrock, dort eine extrem schmale Samtkrawatte: Solche Menschen möchte ich im Büro am Schreibtisch gegenüber sehen. Das Auge arbeitet schließlich mit.

Die Londoner kombinieren und probieren einfach frech drauf los: das alte Blümchenkleid von Mama zusammen mit der überdimensionierten Sonnenbrille, die gelbe Strumpfhose mit der Handtasche im Leopardenmuster. Zum Sinn für Mode gehört auch der Mut zum Wagnis und zur Irritation. Warum können wir das nicht auch, frage ich mich? Schließlich haben wir ja in Zeiten der Globalisierung die gleichen Klamotten von H&M und anderen Modeketten zur Verfügung.

Tokio Hotel auf dem Laufsteg

Tokio Hotel (Foto: AP)
Mit beknackter Frisur und viel Make-up zur Stilikone: Tokio Hotel-Frontmann Bill KaulitzBild: AP

Dass Deutschland immer noch ein modisches Entwicklungsland ist, zeigt auch der Mangel an guten Vorbildern. Erfolgreiche deutsche Bands wie "Juni", "Silbermond" oder "Wir sind Helden" würden mir in einer Gruppe von Erstsemestern in der Uni-Mensa kaum auffallen. Popstars sehen für mich anders aus. Einzige Ausnahme sind die Teenie-Rocker "Tokio Hotel". Mit jeder Menge Kajal, beknackten Frisuren und schrillen Lederoutfits ist ihr Frontmann Bill Kaulitz zur Stilikone vieler deutscher Teenager avanciert. Die Mischung aus Tina-Turner-Gedächtnisfrisur und Motorrad-Montur finde ich persönlich zwar unerträglich, aber wenigstens traut der Junge sich was.

Das scheint auch dem internationalen Modezirkus zu gefallen:

Jüngst lief Kaulitz als schwarzer Rock-Engel in Lack und Leder bei der Fashion Week in Mailand über den Laufsteg und begeisterte das Publikum. Der neue Star am deutschen Modehimmel: Ein Teenie-Schwarm, der auf schwarzen Nagellack und Schnürstiefel steht. Im Vergleich zu Tennissocken und Sandalen ist das - finde ich - eine enorme Steigerung.

Autor: Jan Bruck

Redaktion: Conny Paul