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Lange Nacht der Entscheidung in Berlin

Sabine Kinkartz / Richard A. Fuchs / Kay-A. Scholz27. November 2013

Seit fast sieben Wochen verhandeln Union und SPD über eine gemeinsame Regierungsbildung. Am Mittwoch soll der Koalitionsvertrag stehen. In der Nacht wird nun intensiv verhandelt - seit 15 Stunden schon.

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Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel geht am 26.11.2013 in Berlin durch das Willy-Brandt-Haus. Dort finden die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD statt. Foto: Maurizio Gambarini/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Letzte Runde im Koalitionspoker

Es wird Zeit für eine Einigung. Nicht nur die Politiker sind langsam verhandlungsmüde, auch das Sicherheitspersonal ist schon etwas durcheinander. "Nein, heute kommt man nicht ins Konrad-Adenauer-Haus", sagt einer der Wachmänner, die vor den Absperrgittern stehen, zu einem Touristen. Dabei meint er eigentlich das Willy-Brandt-Haus, vor dem er steht. Seit Stunden schon tagen hier in der SPD-Zentrale die Parteispitzen von Union und SPD, die am Montag bis in die tiefe Nacht in der CDU-Zentrale verhandelt hatten.

Doch während in der vergangenen Nacht kaum etwas über mögliche Fortschritte oder Einigungen nach außen drang, gibt es an diesem Dienstag für die im Restaurant "Willy" ausharrenden Journalisten bereits am späten Nachmittag einiges zu vermelden. Der Entwurf für einen Koalitionsvertrag ist inzwischen mehrfach überarbeitet worden und die Parteichefs von CDU, CSU und SPD, Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel drücken offenbar aufs Tempo.

CDU-Chefin Angela Merkel (R) und CSU-Chef Horst Seehofer auf dem Weg in die SPD-Zentrale. Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch
Nach einem Vier-Augen-Gespräch in die SPD-Zentrale: CDU-Chefin Merkel und CSU-Chef SeehoferBild: Reuters

Die Liste der strittigen Themen wird kürzer

Einigkeit geben soll es beim Thema Pkw-Maut für Ausländer auf Autobahnen, wie sie von der CSU gefordert wird. Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw sollen einen angemessenen Beitrag zahlen, heißt es. Konkret ist von einer Vignette die Rede, die allerdings EU-rechtskonform ausgestaltet werden müsse. SPD-Fraktionsvize Elke Ferner betont aber: "Die Inländer dürfen nicht zusätzlich belastet werden."

Auch in der Frage des Mindestlohns soll ein Kompromissmodell auf dem Tisch liegen. Es sieht vor, einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 einzuführen. Für die Umsetzung soll es aber eine Übergangsfrist bis 2017 geben. Eine Einigung wird zudem beim Thema Vorratsdatenspeicherung und bei der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften angedeutet. Die von der SPD geforderte Bremse bei Managergehältern soll vom Tisch sein.

Letzte Runde im Koalitionspoker

Ministernennung soll warten

Kurz vor 18 Uhr treffen nach und nach weitere Spitzenpolitiker von Union und SPD im Willy-Brandt-Haus ein, denn nach der Sitzung der Parteichefs in der kleinen, 15-köpfigen Verhandlungsgruppe sind getrennte Sitzungen der beiden Parteien in größerer Runde angesetzt. Plötzlich macht das Gerücht die Runde, dass die SPD nach der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag erst einmal nicht bekannt geben will, welcher Sozialdemokrat für welchen Ministerposten vorgesehen ist. Lediglich die Zuschnitte der Ressorts sollen öffentlich werden und welche Partei welches Ministerium bekommt.

Während die Union angeblich schon in den nächsten Tagen ihre Minister namentlich festlegen wollte, wird die SPD ihr Mitglieder-Votum über die große Koalition abwarten. Ab dem 6. Dezember sind rund 473.000 SPD-Mitglieder dazu aufgerufen, darüber abzustimmen, ob die SPD mit der Union regieren soll, oder nicht. Das Ergebnis wird für den 14. Dezember erwartet.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bei ihrer Ankunft am Willy-Brandt-Haus. Photo: KAY NIETFELD/dpa
SPD-Generalsekretärin Nahles: "Es wird eine lange Nacht"Bild: picture-alliance/dpa

Politiker auf "standby"

Doch noch ist es nicht soweit. Noch gibt es keine Einigung über einen Koalitionsvertrag und noch besteht erheblicher Einigungsbedarf. Wie groß der ist, zeigt sich, als kurz vor 19 Uhr der Beginn der großen Verhandlungsrunde von Union und SPD verschoben wird. Eigentlich wollte die 77-köpfige Runde um 19.30 Uhr in ihre finale Sitzung gehen. Nun wollen sich nach den getrennten Beratungen erst noch einmal die Parteichefs zusammensetzen.

Die anderen sind auf "standby" und verbringen den Abend unter anderem mit Fußball-Gucken, die Stimmung wird als gut beschrieben. Die Politiker sind auf einen langen Endspurt eingestellt. "Es wird eine lange Nacht", hatte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bei ihrer Ankunft am Willy-Brandt-Haus am Mittag gesagt. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt meinte, er wisse, dass es ein zähes Ringen werde und er habe vorsichtshalber mal seine Zahnbürste eingepackt.

Einigung bei Rente und Mindestlohn

Und noch bevor die große Runde wieder zusammentritt, melden erste Agenturen gegen 22:30 Uhr, dass sich die Verhandlungspartner beim Thema Renten verständigt hätten. Beide Seiten einigten sich demnach sowohl auf Verbesserungen von Mütterrenten und Erwerbsminderungsrenten als auch auf eine Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren. Damit hätten sowohl die Unionsparteien als auch die Sozialdemokraten ihre rentenpolitischen Forderungen umgesetzt.

Eine Stunde später heißt es aus Verhandlungskreisen, dass es nun auch eine Einigung beim Thema Mindestlohn und zwar auf das Kompromissmodell 8,50 Euro ab 2015 geben soll. Allerdings können die Tarifpartner in einer Übergangszeit bis 2017 auch Abschlüsse vereinbaren, die darunter liegen.

Es geht also voran im Willy-Brandt-Haus in Berlin, wo die Nacht inzwischen eisig kalt geworden ist. Doch der Frost auf den Straßen lässt die Parteien anscheinend enger zusammenrücken. Dennoch sind noch andere wichtige Punkte wie im Bereich Staatsbürgerschaft und Finanzen offen. Und das Treffen der großen Runde, um die Beschlüsse abzusegnen, steht noch immer aus. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner stellt derweil Fotos vom Warten auf Twitter. Eva Högl von der SPD schreibt dort: "Das Warten nervt ... "