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Lateinamerika soll mehr privates Geld investieren

Johannes Beck 2. September 2005

Infrastruktur sollte möglichst privatisiert werden, empfahl die Weltbank jahrelang vielen Entwicklungsländern. Doch reicht privates Investment wohl nicht, um Lateinamerikas Volkswirtschaften wettbewerbsfähig zu machen.

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Einen eigenen Telefonanschluss gibt es in Brasilien innerhalb einer WocheBild: AP

Wer in Brasilien heute eine neue Telefonleitung bestellt, zahlt rund 30 US-Dollar und wartet etwa eine Woche. Seit die Regierung die Telekommunikation privatisiert hat, haben die Unternehmen viel Geld investiert, um Leitungen zu verlegen und Verteilerstationen zu errichten. Wer hingegen in den 1980er Jahren zum Beispiel in Sao Paulo eine Telefonleitung bestellen wollte, musste eine Gebühr von 1200 Dollar bezahlen und selbst dann noch vier bis sieben Jahren auf seinen Anschluss warten. Alternativ konnte man eine Leitung auf dem Schwarzmarkt auch zum Preis eines Neuwagens erstehen.

Zu hohe Transportkosten

In fast allen lateinamerikanischen Staaten hat sich der Telefonbereich ähnlich stark verbessert wie in Brasilien. Weniger Fortschritte gab es beim Straßennetz, den See- und den Flughäfen. Das Eisenbahnnetz ist nach der Privatisierungswelle sogar geschrumpft. Die Folge: Hohe Transportkosten, die verhindern, dass lateinamerikanische Firmen mit Unternehmen aus Asien mithalten können.

"Lateinamerika verliert bei den Produktions- und Transportkosten. Ein Grund dafür ist die schlechte Infrastruktur. In Lateinamerika halten 55 Prozent der befragten Firmen die Infrastruktur für ein Problem. In Ostasien sind es nur 18 Prozent" sagt Marianne Fay, Ökonomin bei der Weltbank, und bezieht sich dabei auf entsprechende Umfragen zum Investitionsklima.

Asiatische Staaten haben aufgeholt

Vor 25 Jahren lag Lateinamerika vor den ostasiatischen Tiger-Staaten. Heute ist die Infrastruktur in Thailand, Südkorea oder Malaysia teilweise doppelt bis drei Mal so gut wie in Lateinamerika. Auch China steht in vielen Bereichen besser da, obwohl es ein geringeres Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf hat als der Durchschnitt in Mittel- und Südamerikas.

Marianne Fay sieht einen klaren Grund für den Rückstand Lateinamerikas. Die gesamten Investitionen - private und staatliche - seien von etwa 3,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Zeitraum 1980 bis 1985 auf 2,2 Prozent im Jahr 1996 gefallen. "Die privaten Investitionen in die Infrastruktur konnten den Rückgang der staatlichen Ausgaben nicht auffangen, der Ende der 1980er-Jahre mit den Haushaltsanpassungen gekommen war," meint Fay. "Die Hauptlektion ist, dass beide Sektoren - der staatliche und der private - sehr wichtige Rollen haben. Und solange sich nicht beide engagieren, werden die lateinamerikanischen Länder im Vergleich zu Regionen wie Asien weiter an Boden verlieren."

Damit kehrt die Weltbank ihrer bisherigen Politik, bei der sie vor allem auf den Privatsektor gesetzt hat, teilweise den Rücken. Dass nun der Staat wieder eine größere Rolle spielen soll, liegt auch an den Erfahrungen der vergangenen Jahre. In den 1990er-Jahren waren die privaten Infrastrukturprojekte in Lateinamerika deutlich angestiegen, danach bis 2003 allerdings wieder um drei Viertel gefallen.

Bessere Investitionsbedingungen schaffen

Damit private Unternehmen in Zukunft wieder mehr investieren, müsse die Politik mehr Rechtssicherheit garantieren und die Investitionsbedingungen weiter verbessern, fordern die Autoren des Weltbank-Reports, der Ende August 2005 veröffentlicht wurde. Allerdings stehen viele Lateinamerikaner privaten Projekten ablehnend gegenüber. So musste der französische Versorger Suez nach Protesten aus der Wasserversorgung der bolivianischen Großstadt El Alto aussteigen.

Dabei wären private Investitionen als Ergänzung zu den staatlichen dringend nötig. Denn um mit China und Südkorea mithalten zu können, müsste Lateinamerika vier bis sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Infrastruktur investieren, schätzt die Weltbank. Das wäre zwei bis drei Mal so viel wie bisher.