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Die fetten Jahre sind vorbei

Astrid Prange9. Oktober 2015

Wie gewonnen, so zerronnen? In Lateinamerika grassiert die Angst vor einer neuen verlorenen Dekade. Auf der Jahrestagung von Weltbank und Weltwährungsfonds in Lima sucht die Region nach Rezepten gegen die Rezession.

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Armenviertel vor Hochhäusern in Sao Paulo, Brasilien (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Lateinamerika ist dabei, von einer goldenen in eine gefährliche Phase überzugehen" - das prognostiziert der Journalist Moisés Naím in der Lateinamerika-Ausgabe der Tageszeitung "El País". "Viele Menschen merken, dass ihr sozialer Aufstieg gefährdet ist und harte Arbeit nicht ausreicht, um den bescheidenen Wohlstand der vergangenen Jahre zu erhalten", schreibt er. "Deshalb kommen auf Lateinamerika gefährliche Jahre zu.“

Im peruanischen Lima treffen sich derzeit die Größen von Weltbank und Weltwährungsfonds (IWF) zu ihrer Jahrestagung. Sie bestätigen die düstere Vorhersage des Kolumnisten. Noch im Juli war man beim IWF von einem Wachstum in der Region in Höhe von 0,5 Prozent ausgegangen. Mittlerweile aber wurde die Prognose nach unten korrigiert. Für 2015 wird nun ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent erwartet.

Am schlechtesten schneiden demzufolge die Länder Venezuela, Brasilien und Ecuador ab, sie befinden sich in einer Rezession. In Chile, Mexiko, Kolumbien und im Gastgeberland Peru wächst die Wirtschaft weiter, aber deutlich langsamer. Nur Bolivien weist weiterhin stabile Zuwächse von vier Prozent auf.

Wie lange halten die Erfolge?

Dabei hätte alles so schön sein können. In den vergangenen 15 Jahren verzauberte das lateinamerikanische Wachstumsmärchen die ganze Welt. Hohe Wachstumsraten und groß angelegte Sozialprogramme machten die Region zu einer weltweiten Referenz für erfolgreiche Armutsbekämpfung.

In der peruanischen Hauptstadt Lima sollte dies auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank gebührend gefeiert werden. Schließlich hatten die Finanzinstitutionen die Region fast 50 Jahre lang gemieden - die letzte Jahrestagung auf dem Kontinent fand 1967 in Rio de Janeiro statt.

Peru Präsident Humala Ollanta begrüßt IWF-Chefin Christine Lagarde in Lima (Foto: Stephen Jaffe/Getty Images)
Perus Präsident Humala und IWF-Chefin Lagarde lächeln zwar selig, sind aber dennoch besorgt über das schwache Wachstum in der RegionBild: Getty Images/IMF/S. Jaffe

Doch nun schwächelt selbst der lateinamerikanische Wirtschaftswunderknabe Peru. Noch zwischen 2005 und 2014 verzeichnete das Gastgeberland mit rund sechs Prozent die höchsten Wachstumsraten in der Region. Nun muss es sich mit einer Prognose von 2,4 Prozent für 2015 zufrieden geben.

Die Region ist abhängig von China

Ursache für die lateinamerikanische Konjunkturschwäche ist laut IWF: China. "Wenn Chinas Wachstum weiter sinkt, wird auch das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern sinken", erklärte IWF-Chefin Christine Lagarde in Lima. Es bestehe nun die Gefahr, dass das Wachstum zu gering werden könnte, um Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

China ist in Lateinamerika mittlerweile zum entscheidenden Investor und Handelspartner aufgestiegen. Viele Länder in der Region finanzieren ihre sozialen Programme mit den Erlösen aus dem Export von Rohstoffen und Nahrungsmitteln ins bevölkerungsreiche und aufstrebende China.

Doch nun verringert dort ein Konjunkturabschwung empfindlich die Nachfrage nach Importen aus Lateinamerika. Dies wiederum löste einen Preisverfall für Rohstoffe wie Öl und Metalle und für Nahrungsmittel aus, was zusätzliche Verluste in Lateinamerika zur Folge hatte.

Damit nicht genug: Die Konjunkturschwäche führt auch zu verringerten Einnahmen der Regierungen in der Region, das macht sich in einem Rückgang oder Aufschub öffentlicher Investitionen bemerkbar. Hinzu kommt, dass viel Kapital zurück nach Europa oder in die USA fließt – ein Vorgriff auf die eventuelle Anhebung der Leitzinsen in den USA.

Lateinamerika: Entwicklung der Armut und der extremen Armut in Millionen, 1980-2014 Deutsch

Sorgenkind Brasilien

Weltbank-Chef Jim Yong Kim appellierte in Lima an die anwesenden Finanz- und Wirtschaftsminister der Region, nicht bei den Ausgaben für soziale Programme zu kürzen: "Der wirtschaftliche Abschwung darf nicht als Vorwand dienen, nicht mehr in Bildung, Gesundheit und Umverteilung zu investieren", erklärte er. Es gebe in Lateinamerika 200 Millionen Menschen, die wieder in die Armut abrutschen könnten.

Sorgenkind Nummer eins der Tagung ist Brasilien. Die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt wird in diesem Jahr vermutlich um drei Prozent schrumpfen. Und Brasiliens Finanzminister Joaquim Levy hat in Lima keine einfachen Rezepte für die verworrene politische und wirtschaftliche Krise in seinem Land parat.

Stattdessen versucht er, die Teilnehmer der Jahrestagung zu beschwichtigen: "Es handelt sich nicht um eine Krise wie in den 1980er und 1990er Jahren. Wir sind dabei, sie zu überwinden", verkündet er - und versichert, dass Investionen in den Ausbau der Infrastruktur dem Land helfen würden, dieses Ziel zu erreichen.

In Rio, wo im August 2016 die Olympische Spiele beginnen, dürfte die Ankündigung des Ministers Verwunderung hervorrufen. Erst am 5. Oktober hatte das Organisationskomitee gegenüber dem englischen Nachrichtensender BBC eingestanden, dass die Investitionen in die Infrastruktur angesichts der Wirtschaftskrise um ein Drittel gekürzt werden.