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Lauf, Mutti lauf!

Marcus Bösch30. September 2002

Einer der Höhepunkte im "goldenen Marathon-Herbst" war der Berlin-Marathon. Die "Fit-for-Fun"-Gesellschaft ist durchtrainiert und bereit - für die nächsten Läufe.

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Marathon, inzwischen ein MassensportBild: AP

September 490 v. Chr. Ein einsamer Bote rennt durch Griechenland. Die glorreiche Kunde vom Triumph über die Perser soll der arme Mann schnellstmöglich nach Athen tragen. Sein Chef, Feldherr Miltiades, hat es ihm aufgetragen. Und nun läuft und läuft und läuft er – 40 staubige Kilometer.

"Freu Dich"

An einem Sonntag im September – knapp 2500 Jahre später – rennen und rollen 48.599 Menschen durch Berlin. Nicht weil es ihnen jemand befohlen hätte. Sie laufen völlig freiwillig. Tausende von "Freizeit-Marathonis", dicht gedrängt und hochmotiviert, schinden sich, motivieren sich und freuen sich. Eine Million Besucher freuen sich mit, stehen am Wegesrand und jubeln. "Quäl Dich", rufen sie oder "Lauf Mutti, lauf!". Der Einzelhandel freut sich auch: "Erheblicher Kaufkraftzufluß" wird erwartet und die Geschäfte bleiben geöffnet. "Ganz Berlin freut sich", konstatiert Sportsenator Klaus Böger.

Mit neuem Teilnehmerrekord ist der 29. Berlin-Marathon aufgerückt. Aufgerückt in die Event-Liga der ganz Großen. Nur noch New York und London dienen als adäquater Vergleichsmaßstab. Berlin, die Hauptstadt des Marathon- Booms? Überall in Deutschland wird in diesen Herbst tüchtig gelaufen: in Köln (6.10), in Frankfurt (27.10) und in München (13.10). Der "goldene Marathon-Herbst" steht uns bevor – ganz wetterunabhängig. Denn Marathon-Laufen kann man schließlich auch im Regen: Trendbewußte Läufer schreckt das nicht ab.

Marathon in Hamburg mit Dieter Baumann
Dieter Baumann, vorne Mitte, rennt inmitten von Mitläufern beim Start zum "Hansaplast-Marathon" am Sonntag, 21. April 2002 in Hamburg. Rund 20.000 Läufer, Inline-Skater und Rollstuhlfahrer nehmen an diesem Wettbewerb in der Hansestadt teil.Bild: AP

Verplemperte Freizeit?

Von einer Handvoll belächelter Asketen hat sich die Marathon-Bewegung zum Breitensportspektakel gemausert. In Kleinanzeigen und Internetforen wird inzwischen gar um die begehrten Startplätze gefeilscht. Nach Wanderwelle, Joggingbewegung und Power-Walk wird jetzt Marathon gelaufen. Statt die Freizeit zu verplempern, werden Ernährungspläne und Lauftabellen aufgestellt. Statt unmotiviert herumzuhängen wird der innere Schweinehund überwunden. Weil Laufen ja so einfach ist. Und sehr gesund.

Idol Joschka

Vorgemacht hat es allen der Joschka. Denn der Bundesaußenminister hat irgendwann angefangen zu laufen. Erst ein bisschen und dann richtig. "Zu sich selbst" ist er, nach eigenen Angaben, gelaufen. Und den einen oder anderen Marathon hat er auch absolviert – natürlich erfolgreich. Und weil er das alles so gut hingekriegt hat, wurde er flugs zum Idol der "Fit-for-Fun"-Gesellschaft gekürt. Einer Gesellschaft auf der Suche nach Respekt, Anerkennung und neuen Grenzen. Diesen Herbst in Berlin und anderswo...

Joschka Fischer
Aussenminister Joschka FischerBild: AP

Der Bote des Miltiades brach übrigens am Ziel tot zusammen. Aber vermutlich fehlten ihm nur die ernährungstaktischen Kohlenhydrate am Abend vor dem Lauf.