1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Eingesperrt wider Willen

Selma Köhn, Kairo25. August 2013

Eine Ausgangssperre in vielen ägyptischen Städten soll für mehr Sicherheit sorgen, doch viele Menschen fühlen sich eingesperrt. Auch sonst kann von Normalität keine Rede sein. Wie die Ägypter trotzdem ihr Leben meistern.

https://p.dw.com/p/19Vny
Eine ältere Dame läuft an einem Marktstand in Kairo vorbei (Foto: AFP/GettyImages)
Bild: Marwan Naamani/AFP/GettyImages

"Nichts steht der Schönheit im Wege", sagt Hanan Moselhy. "Keine Revolution. Keine Muslimbrüder. Und auch keine Protestmärsche." Und deshalb kann die 36-Jährige auch nichts davon abhalten, zu ihrer wöchentlichen Maniküre und Pediküre ins Nagelstudio zu gehen. Hanan arbeitet als Personal-Managerin für ein führendes regionales Einzelhandelsunternehmen und muss stets gepflegt aussehen und top gekleidet sein. Trotz der aktuellen politischen Umstände in Ägypten arbeitet sie weiter, trifft sich mit Kollegen und Kunden in Restaurants und Cafés. Den Rest erledigt sie dann meist von zu Hause via Emails und Konferenzschaltungen. Sie ist beschäftigt und möchte es auch bleiben. Ihr Leben soll so normal wie möglich weitergehen.

Einen Strich durch die Rechnung macht ihr lediglich die Ausgangssperre. Diese hatte Generalstabschef Abdel Fatah al-Sisi verhängt, als es nach der Räumung der Protestlager der Muslimbrüder (14.08.2013) am Nahda Platz und an der Rabaa al-Adawiya Moschee zu heftigen Feuergefechten zwischen Armee und Muslimbrüdern kam. Die Ausgangssperre zwischen 21 und 6 Uhr und freitags zwischen 19 und 6 Uhr soll der Armee dabei helfen, die angespannte Lage des Landes unter Kontrolle zu bringen.

Treiben auf Ägytptens Straßen (Foto: AFP/GettyImages)
Normalerweise herrscht Leben auf Ägyptens StraßenBild: Marwan Naamani/AFP/GettyImages

Schlafen statt Feiern

"Momentan leidet mein soziales Leben enorm", sagt Hanan, die mit ihren Eltern im schicken Tagamo-Viertel am Rande Kairos wohnt. "Mit meinen Freunden kann ich mich nun nur am Wochenende tagsüber treffen. Jeden Abend zu Hause zu bleiben ist einfach nur langweilig. Deswegen lege ich mich früh ins Bett."

Ähnlich geht es Mahmoud Gomaa, der die erzwungene Zeit daheim nutzt, um sich weiterzubilden. "Ich habe angefangen, Spanisch zu lernen", sagt Mahmoud. "Ich muss mich ständig beschäftigen und bin normalerweise zwischen 6 Uhr morgens und 1 Uhr nachts immer unterwegs." Der 30-Jährige ist bei einem internationalen IT-Unternehmen als Lösungsspezialist tätig und trotz der politischen Lage des Landes voll beschäftigt. Als Ausgleich zum stressigen Job ist er es gewohnt, nach Feierabend viel Sport zu treiben, was ihm derzeit nicht möglich ist. Energisch wie er ist, überlegt er sich nun, für einige Tage an Orte zu fahren, in denen es keine Ausgangssperre gibt, wie zum Beispiel am Roten Meer.

Unsicherheit und weniger Einkommen

Die 38-Jährige Abir Hassan wohnt gemeinsam mit ihrem Ehemann und den drei Kindern in einer kleinen Seitenstraße unweit des Tahrir Platzes in Kairo. Sie und ihr Mann führen eine kleine Autowerkstatt, die sie vorübergehend schließen mussten. "Unter der aktuellen Situation leiden wir enorm", sagt Abir, die von Kopf bis Fuß verschleiert ist. "Den Tag überleben wir mit Mühe und Not. Aber so Gott will, wird es bald wieder besser werden." Derweilen arbeitet Abir als Haushaltshilfe bei reicheren Familien, um wenigstens etwas Geld zu verdienen.

Aber ihre größte Sorge ist eine andere. "Ich habe Angst um meine Kinder und meinen Mann", sagt sie. "Ich bekomme sofort Panik, wenn mein Mann einmal zu spät nach Hause kommt." Dann gehe sie ihn direkt auf den Straßen suchen, Ausgangssperre hin oder her. Anfang September fängt die Schulzeit wieder an und so wie viele andere Mütter ist auch Abir verunsichert. "Ich weiss nicht, ob ich meine Kinder zur Schule schicken kann. Ich fürchte mich vor Überfällen oder Anschlägen, die jederzeit passieren können." Die Schuld an der Misere des Landes gibt sie den Muslimbrüdern. Und trotz der Einbußen, die sie erleiden muss, ist es ihrer Meinung nach richtig, dass die Armee eine Ausgangssperre verhängt hat. Damit habe diese Gelegenheit, für Recht und Ordnung zu sorgen.

Mahmoud Gomaa (Foto: privat)
Spanisch statt Sport: Mahmoud GomaaBild: privat

Auch der Taxifahrer Hussein Ali Hussein vertraut al-Sisi. "Ich wünsche mir, dass al-Sisi Präsident wird", sagt Hussein. Sowohl aufgrund der politischen Lage, als auch durch die Ausgangssperre kann er gerarde mal ein Viertel von dem einnehmen, was er normalerweise verdient. "Ich kann kaum für unseren Haushalt aufkommen und weiß nicht mehr, was ich tun soll." Der 43-Jährige ist verheiratet und lebt mit Ehefrau und Sohn in Abedeen, im Herzen Kairos. Sie können sich kaum etwas leisten und verbringen die Abende meist vor dem Fernseher. "Die Zukunft ist so ungewiss", sagt Hussein und blickt traurig aus dem Fenster seines Taxis.