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Leben mit "Sandys" Erbe

Miodrag Soric, Barrier Island, New Jersey26. November 2012

Der Zutritt für Zivilisten ist im Dorf Ortley Beach auf Barrier Island vor New Jersey streng verboten. Hurrikan "Sandy" hat hier eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Wie geht der Wiederaufbau voran?

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Ineinandergeschobene Autos auf Barrier Island (Foto: DW, Miodrag Soric)
Bild: DW/M.Soric

An der Atlantikküste etwa eineinhalb Autostunden südlich von New York scheinen ihn alle zu kennen: Polizeichef Mike Mastronardy. Er grüßt im Vorbeifahren Anwohner, die ihre Häuser wieder in Ordnung bringen. Sein Telefon klingelt unaufhörlich: Politiker, Staatsanwälte, Sicherheitskräfte, Nachbarn. Sie alle wollen wissen, ob es mit den Aufräumarbeiten vorangeht. Ich begleite den 60-Jährigen in seinem schwarzen Geländewagen bei einer Rundfahrt durch sein Revier. Dazu gehört auch die vorgelagerte Insel Barrier Island.

Aufbauarbeiten, wo Hurrikan Sandy wütete

Ende Oktober wütete Hurrikan "Sandy" auf dieser nur wenige hundert Meter breiten,  jedoch viele Kilometer langen Sandbank. Wie Spielzeuge wirbelte der Sturm Autos durch die Luft. Als ob sie aus Pappe seien, riss er Häuser aus ihren Fundamanten und schob sie entweder ins Meer oder ein paar Straßenblocks weiter. Der Wirbelsturm brach tonnenschweren Asphalt auf, so als ob eine Tafel Schokolade zerbröselt wurde. Von der einstigen Strandpromenade sind nur noch die Holzpfeiler übrig geblieben. Sie ragen wie schwarze Mahnzeichen in den blauen Himmel von New Jersey.

Zerstörtes Haus auf Barrier Island am Strand (Foto: dw, Miodrag Soric)
Drei Wochen nach Hurrikan "Sandy" sind die Folgen auf Barrier Island vor New Jersey immer noch sichtbarBild: DW/M.Soric

Wie durch ein Wunder kam beim Hurrikan zumindest hier niemand ums Leben. "Als jedoch ein örtlicher Arzt sein zerstörtes Haus sah, erschoss er sich. Er konnte den Anblick nicht ertragen", erklärt Mastronardy traurig.

Plötzlich bremst er. Bei einem seiner Kollegen, der seine Schicht absitzt, erkundigt sich der Polizeichef nach der Lage. "Alles ruhig," sagt der junge Mann. Er wärmt seine Hände an einem offenen Feuer.

Geisterstadt, wenn die Dunkelheit anbricht

Gegen 16 Uhr bricht die Dämmerung ein. Alle Anwohner müssen jetzt die Insel verlassen, aus Sicherheitsgründen. Auch fast vier Wochen nachdem "Sandy" auf die Küste traf, funktioniert das Stromnetz noch nicht. Die Sicherheitskräfte haben entlang der Straßen riesige Scheinwerfer aufgestellt. Für Energie sorgen laut brummende Generatoren. An den Kreuzungen stehen Sicherheitskräfte. Sie sollen Plünderer abschrecken.

Sandy-Opfer dürfen zurück nach Hause

Mike Mastronardy bringt mich im ehemaligen Touristenhotel "White Pearl" unter. Das ist die einzige Herberge auf der Insel, die geöffnet ist. Doch wo sonst Urlauber schlafen, hausen jetzt zwei Dutzend Hilfskräfte: Bauarbeiter, die die Straßen ausbessern; Fernmeldetechniker, die das Telefonnetz ausbessern; Elektriker, die Stromleitungen verlegen. Sie kommen aus allen Teilen der USA.

Viele Spenden

In meinem Zimmer stinkt es nach kaltem Nikotin. Das Fenster lässt sich nicht öffnen. Der Fernsehbildschirm bleibt schwarz. Zu früh zum Schlafen. Also tue ich etwas Verbotenes: Ich verlasse das Hotel. Der Ort gleicht einer Geisterstadt. Alle paar Minuten jagt ein Geländewagen der Nationalgarde vorbei, doch ich scheine sie nicht zu interessieren. Zwei Häuserblocks weiter: eine Feuerwehrwache. Davor zwei Polizisten. Sie frieren, kauen Tabak, freuen sich über die Abwechslung.

Am Morgen gibt es im Hotel kein Frühstück. Wer Essen will, muss raus auf die Straße, zu einem Saal mit einem abgerundeten Dach. Freiwillige versorgen hier Sicherheitsleute oder Aufbauhelfer kostenlos mit Kaffee, Haferschleim oder Rührei. Privatleute oder Unternehmen haben die Lebensmittel gespendet. Beim Frühstück sind sich alle einig: Der Wiederaufbau wird Monate, wenn nicht Jahre dauern.