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Rettet die roten Eichhörnchen

Greg Norman
7. November 2017

Das rote Eichhörnchen ist in Großbritannien heimisch und vom Aussterben bedroht. Sein grauer Artgenosse wurde einst importiert und breitet sich mehr und mehr aus. Darf man es deshalb ausrotten oder nicht?

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Ein rotes Eichhörnchen in einer Lebendfalle
Bild: DW/G. Norman

Wenn man wissen will, welchen Wert die Farbe des Fells für ein Eichhörnchen in Großbritannien hat, muss man nur einen Morgen mit Craig Shuttleworth auf der Pirsch verbringen.

Wir sind in der üppig bewaldeten Gegend um Penrhyn Castle in Westen von Wales unterwegs. Nach einer knappen Stunde finden wir ein graues Eichhörnchen, das in einem kleinen Drahtkäfig hockt, angelockt von Futter.

Mit wenigen, schnellen Handgriffen landet es in einem großen Plastiksack. Dreimal bekommt es einen großen Holzscheit auf den Kopf. Dann ist das Tier tot.

Kurze Zeit später und keinen Kilometer weiter, finden wir ein rotes Eichhörnchen in derselben Situation. Ihm passiert nichts, wir lassen es frei. Das Tier verschwindet in den Bäumen.

Ein graues Eichhörnchen liegt tot auf dem Waldboden
Opfer oder Täter? Invasive Grauhörnchen boten die einheimischen roten Exemplare aus. Dafür werden sie oft getötet.Bild: DW/G. Norman

Craig Shuttleworth tut, was er tut, aus einem bestimmten Grund. Er ist der Vorsitzende des "Red Squirrels Trust Wales", einer Organisation, die sich, wie etliche andere auch, dem Schutz der heimischen Art verschrieben hat. In dieser Funktion bringt Shuttleworth immer wieder graue Exemplare um, damit die roten überleben können. Diese sind als einheimische Art anerkannt und stehen durch den "Wildlife and Countryside Act" von 1981 unter Schutz. Ihre grauen Verwandten dagegen sind eine anerkannte invasive Art nach IUCN-Definition.

Sciurus carolinensis, umgangssprachlich das Grauhörnchen, ist heimisch in Nordamerika und wurde in Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Die Landbesitzer der viktorianischen Zeit sahen sie als widerstandsfähig, zahm und exotisch an. Letzteres sind sie heute bei weitem nicht mehr. Aus einer Handvoll ausgesetzter Exemplare sind zwischen drei und fünf Millionen geworden, die den roten Hörnchen das Leben schwer machen.

Deshalb sieht man die roten Eichhörnchen auch immer seltener. Sciurus vulgaris, das Eichhörnchen also, befindet sich seit langem in einer Abwärtsspirale vom allgegenwärtigen zum raren Anblick in den Wäldern. Kaum mehr als 140.000 Tiere verbleiben noch in Schottland, Nordirland, einigen Ecken von Wales, Nordost- und Nordwest-England und der Isle of Wight. Genau diese Entwicklung und wie man sie umkehren soll, spaltet Wales seit mehr als 50 Jahren.

Eine Eichhörnchenfalle, Drahtkäftig mit Sämereien
Grauhörnchen sind ein Problem, weil sie ihren roten Artgenossen das Futter wegfressen, größer, stärker und schlauer sind.Bild: DW/G. Norman

Stärker, schlauer

Das graue Hörnchen soll auch ziemlich was auf dem Kerbholz haben. Es ist nicht nur ein ungeliebter Einwanderer. Ihm wird auch vorgeworfen, an Bäumen schwere Schäden zu verursachen. Als besonders schwerwiegend für seine Reputation als Öko-Bösewicht gilt aber die Verdrängung seines kleineren Verwandten.

"Das Graue bedeutet zwei besonders große Probleme für das Rote: Die Grauen sind stärker, schlauer und widerstandsfähiger als die Roten", sagt Professor Julian Chantrey von der "University of Liverpool". Auch er hat viel Zeit mit der Erforschung der roten Populationen verbracht, vor allem nahe Formby an der Nordwest-Küste Englands.

"Sie können Nahrungsmittel auf unübliche Weise verwerten. Beispielsweise fressen sie Haselnüsse und Eicheln, wenn die noch nicht reif sind, also bevor die Roten sie fressen können. Außerdem sind sie Überträger des Parapoxvirus, und der ist für 95 Prozent der Roten tödlich."

Es ist also die eingeführte Art, die man an irgendeinem Tag in irgendeinem britischen Park antreffen wird. Viele Menschen haben womöglich nie ein lebendiges rotes Eichhörnchen zu Gesicht bekommen. Persönlichkeiten bis hin zu Prinz Charles haben deshalb gefordert, die Graufelle zu sterilisieren.

"Leider sind wir sie nicht schnell genug wieder losgeworden, und nun haben wir das Problem, dass sie überall sind”, sagt Shuttleworth der DW. "Niemand hatte damals eine Vorstellung davon, welchen Schaden sie anrichten können.”

Während wir an diesem Morgen in den Wäldern unterwegs waren, kommen auf das eine gefangene rote Eichhörnchen vier graue. Alle ereilt dasselbe Schicksal. Auch wenn gefangene rote Exemplare nicht das erklärte Ziel sind, zeigt das eine doch, dass die Art noch existiert. Shuttleworth sagt, dass die meisten Eichhörnchen, die er tötet, nach einem Schlag bereits tot seien und keinen Schmerz spüren.

Portrait des Tierschützers Craig Shuttleworth
Der Jäger: Craig Shuttleworth hat tausende Grauhörnchen auf dem Gewissen. Nicht, weil es ihm Spaß macht, sondern weil die roten geschützt werden müssen.Bild: DW/G. Norman

Ohne Grau

Nur Irland, Großbritannien und Italien haben neben den roten auch graue Hörnchen. Alle drei Länder haben eine Abnahme in den roten Populationen gesehen. Und alle drei haben auch auf vielerlei Weise versucht, etwas zu ändern.

"Ich habe Tausende von denen umgebracht", sagt Shuttlesworth, als er einen weiteren, bereits steifen Kadaver hinten auf seinen Jeep wirft. "Das macht mir ganz sicher keinen Spaß."

"Niemand würde sagen, dass die grauen nicht bezaubernd und akrobatisch sind. Für viele Menschen sind sie vielleicht die einzigen Tiere, die sie je sehen. Trotzdem, wenn man das gegenrechnet, ist der Schaden, den sie verursachen, immer noch größer."

Darum ist er auch stolz darauf, dass er die Art von der Insel Anglesey vertrieben hat, vom Festland nur durch die Menai-Meerenge getrennt. Seit 2015 ist die Insel offiziell ohne Grauhörnchen. Dem Kahlschlag mit Genehmigung der Gemeinde waren Jahre der Planung vorausgegangen. Als der Einsatz losging, gab es vielleicht noch 50 Eichhörnchen. Jetzt, da die graue Konkurrenz verschwunden ist, explodieren die Zahlen der Roten regelrecht.

Nun geht es darum, die Population mit einer kleineren Gruppe Roter in der Gegend um Gwynedd zu verbinden, mit Hilfe einer "analytischen Ausrottung" der Grauhörnchen.

Blick in einen Wald, viele Bäume, grün
Tatort: Bald sollen Freiwillige auf Eichhörnchenjagd gehen. Kritiker sagen, dass Gewalt keine Lösung ist.Bild: DW/G. Norman

Verbale Entgleisungen

Wenn Shuttleworth nicht pirscht, dann bildet er Freiwillige aus. Der "Red Squirrels Trust Wales" arbeitet dazu mit einer neuen Initiative zusammen: "Red Squirrels United". Das Programm wird von den "Wildlife Trusts" koordiniert und hat insgesamt 3 Millionen Pfund (3,4 Millionen Euro) Finanzierungshilfe von der EU eingesammelt.

Die Initiative will insgesamt 5000 Freiwillige anwerben, um "die Zukunft der Eichhörnchen in Großbritannien zu sichern" - so das erklärte Ziel. Zwischen den Zeilen heißt das nichts anderes, als dass Grauhörnchen landesweit ihre Köpfe hinhalten sollen. Und damit ist nicht jeder einverstanden.

"Sie erschlagen, ist vollkommen nutzlos", sagt John Bryant. Der Tierschützer berät Organisationen darin, wie Schädlinge auf humane Weise im Zaum gehalten werden können. "Wenn Töten funktionieren würde, dann wäre es auch eine Lösung. Aber es wird nicht klappen. Wir haben Keulung nach Keulung nach Keulung erlebt. Völlig sinnlos und brutal."

Bryant sagt, das Beseitigen der Tiere, indem man ihnen den Schädel einschlägt oder sie mittels Luftgewehr erschießt, sei alles andere als human. Viel zu oft würden Muttertiere sterben und deren Nachwuchs zurückgelassen. Außerdem, sagt er, sei es falsch, über die Grauen als Baumratten zu sprechen oder ihre Verhalten mit dem Einmarsch von Barbaren gleichzusetzen. Solche Sprache wäre nicht hilfreich.

"Ich kann dieses ganze Gewese über das Einheimisch-sein nicht verstehen", sagt Bryant. "Grauhörnchen sind hier nie eingefallen, sie sind hier nicht in kleinen Booten gelandet, nachdem sie den Ozean überquert haben. Sie sind vom Menschen hergebracht worden."

Ein Baummarder im Geäst
Humane Lösung? Baummarder fressen lieber Grauhörnchen und könnten deren Bestand auf natürliche, humane Weise regulieren.Bild: picture-alliance/dpa

Freunde mit gewissen Vorzügen

Den Roten würde es ohne die Grauen sicher besser gehen. Davon ist auch Julian Chantrey überzeugt. Aber 3,4 Millionen Euro für "Red Squirrels United" sei auch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt er. Stattdessen könnte eine andere Waffe viel besser helfen, die früher heimisch und heute ebenfalls rar ist - der Baummarder.

"Was die Iren in einer Studie bewiesen haben, ist, dass wir mit dem Baummarder eine einheimische Art haben, die mit und von roten und grauen Hörnchen lebt, sich im Zweifel aber für die grauen als Beute entscheidet, weil die leichter zu fangen sind, schwerer sind und mehr Ausbeute bieten", sagt er. "Selbst, wenn sie nicht alle Grauen fangen, verringert sich deren Zahl. Und wenn es gelingt, die Grauen unter eine bestimmte Zahl zu drücken, wird auch das Parapoxvirus bei den Hörnchen aussterben."

Sowohl Eichhörnchen als auch Baummarder gibt es in Irland und Schottland in großer Zahl. Dieses Ergebnis hätte der "Vincent Wildlife Trust" (VWT) auch gern für Wales. Zwanzig Marder wurden zu diesem Zweck 2015 aus Schottland in walliser Wälder eingeführt. Sie haben erfolgreich Nachkommen gezeugt, außerdem wurden inzwischen auch weitere Tiere nachgeholt.

"Wir haben Bildaufnahmen davon, wie Baummarder graue Eichhörnchen mit in ihren Bau schleppen”, sagt David Bavin von VWT. Die Organisation führt selbst Untersuchungen zum Verhältnis von Hörnchen und Mardern durch und Bavin ist sich sicher, dass diese "zeigen werden, dass das Vorhandensein von Baummardern das Verhalten und Vorkommen von Hörnchen beeinflusst."

"Man darf keinen harten Schnitt erwarten, im Sinne von: Der Baummarder ist da, das Grauhörnchen ist weg." Denn insgesamt sind die Marder, vor allem in England, relativ selten. Außerdem lässt sich ein Jäger auch nicht einfach in einen bestehenden Lebensraum einzuschleusen. Bis ein möglicher, positiver Einfluss der Marder auf die großen Grauhörnchen-Populationen wissenschaftlich bewiesen werden kann, dauert es sicher noch einige Zeit.

Tatsächlich könnten die empfängnisverhütenden Maßnahmen, die Prinz Charles bevorzugt, dieses Ziel eher erreichen.

In der Zwischenzeit ist es offenbar aber nicht die erklärte Absicht der Freiwilligen und anderen aktiven Gruppen, die grauen Hörnchen einfach frei herumlaufen zu lassen.