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Lebensnahe Entscheidung

7. Juli 2011

Der Bundestag hat mit 326 gegen 260 Stimmen die begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik beschlossen. Die Biotechnologie treibt die Politik vor sich her, meint Bernd Gräßler.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Ist es richtig, künstlich gezeugte Embryonen in der Petrischale vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf genetische Schäden zu untersuchen und gegebenenfalls zu "verwerfen", was nichts anderes heißt, als sie abzutöten?

Mit solchen Fragen tun sich die Deutschen schon wegen ihrer Geschichte schwer, vor allem wenn Begriffe wie "Selektion" ins Spiel kommen. Die gewachsene weltanschauliche, religiöse und ethische Vielfalt Deutschlands macht die Beantwortung auch nicht leichter. Die jüngste Debatte zeigt nur, wie zuvor bereits der Streit um die embryonale Stammzellforschung, welch ein schwieriges Feld die Biopolitik in Deutschland ist.

Bernd Gräßler, DW-Hauptstadtstudio Berlin (Foto: DW)
Bernd Gräßler, DW-Hauptstadtstudio BerlinBild: DW

Mit nicht allzu großer Mehrheit hat der Bundestag trotzdem den Weg frei gemacht für eine in vielen anderen Ländern bewährte Praxis. Deutsche Paare, die ein hohes Risiko haben, ein behindertes oder erbkrankes Kind in die Welt zu setzen, müssen nun nicht mehr ins Ausland fahren, um dort eine künstliche Befruchtung inklusive Gendiagnostik durchführen zu lassen. Auch hierzulande fordert man nicht mehr, dass sie sich unwissend dem Schicksal ergeben. Schon deshalb ist es eine gute Entscheidung des Parlaments, die sich weniger an möglichen zukünftigen Gefahren orientiert, als vielmehr an der derzeitigen Lebenswirklichkeit.

Denn welchen Sinn sollte es haben, die genetische Untersuchung weniger Hundert in der Petrischale gezeugter Embryonen pro Jahr zu verbieten, aber deren spätere Untersuchung im Mutterleib und die Abtreibung zu erlauben? Genau das ist die bisherige Rechtslage in Deutschland, die im vergangenen Jahr vom Bundesgerichtshof bemängelt wurde. 110.000 Abtreibungen gab es im letzten Jahr in Deutschland, nicht wenige wegen möglicher Erbkrankheiten oder Behinderungen.

Ziemlich übertrieben ist die Warnung, dass es zu einer Flut von "Designer-Babys" kommen könnte. In der bisherigen jahrelangen Praxis anderer Länder ist das nicht eingetreten, weil es technisch noch nicht möglich ist. Die künftig in Deutschland geltenden Regeln würden es auch ausschließen. Denn erlaubt ist die PID nur in staatlich zugelassenen Zentren, und das entscheidende Wort hat eine Ethikkommission.

Andere Fragen freilich bleiben: Werden künftig immer mehr Gendefekte als diejenigen definiert, die ein Verwerfen von Embryonen begründen? Und vor allem: Wie soll man reagieren, wenn der soziale Druck auf Eltern steigt, kein behindertes Kind zur Welt zu bringen?

Seit Jahren treibt die schnell voranschreitende Biotechnologie die Politik vor sich her. Daran wird sich auch künftig nichts ändern.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Hartmut Lüning