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Lettland: Ethnische Russen bleiben

27. Juli 2006

Die Nachricht, es gebe ein neues russisches Repatriierungs-Programm, hat in Lettland kaum für Aufregung gesorgt. Diejenigen, die wirklich nach Russland zurückkehren wollten, haben dies längst getan.

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Altstadt von RigaBild: transit-Archiv

Den Höhepunkt erreichte die Auswanderung der Russen aus Lettland in den 90er Jahren. 1992 siedelten in die Russische Föderation 30.000 Menschen um. Zehn Jahre später waren es nur noch 1.300 und letztes Jahr nur noch etwa 600. Derzeit verlassen jeden Monat nur noch vereinzelt Menschen das Land. Vor allem sind es Staatsbürger Russlands und Rentner, die Verwandte in ihrer historischen Heimat haben.

Illusionen verflogen

Aber warum möchten die Menschen nicht mehr auswandern? Gründe dafür gibt es mehrere. Der wichtigste ist, dass die Illusion, Russland warte auf die Einwanderer, längst verflogen sind. Sich ein neues Leben in Russland aufzubauen ist meist schwieriger, als es von Lettland aus erscheint. Die Menschen werden mit Gleichgültigkeit und Bürokratie konfrontiert und auf dem Lande sogar oftmals von der ansässigen Bevölkerung als Feinde betrachtet. Die russischen Letten glauben nicht, dass Putins Programm in der Lage ist, den Umgang mit den Einwanderern zu ändern. Das Programm sei Fiktion, denn Millionen Übersiedler können in Russland keinen legalen Status erhalten, meinen viele russische Letten.

Irland interessanter als Russland

Der weitere Grund dafür, warum die Menschen aus Lettland nicht nach Russland auswandern wollen, ist rein materieller Natur. Der Mindestlohn in Lettland ist zwar mit rund 100 Dollar der niedrigste innerhalb der EU, aber in Russland erreicht der Mindestlohn nur 30 Dollar. Die durchschnittliche Rente in Lettland beträgt etwa 140 Dollar, in Russland weniger als 100 Dollar.

Wenn man schon auswandern will, dann wohl eher nach Irland, wo bereits mehr als 30.000 Letten arbeiten. Dort verdienen sie zwischen 1.000 und 3.000 Euro pro Monat. Das Leben ist dort einfacher als in Russland - einfacher als in Krasnojarsk oder Chabarowsk. Dorthin kann man keinen Letten mit Versprechen oder Geldleistungen locken.

EU interessanter

Hinzukommt, dass bald auch Nicht-EU-Bürger, die in der EU leben, so wie lettische Staatsbürger ohne ein Visum durch ganz Europa werden reisen dürfen. Auch werden sie innerhalb der EU arbeiten dürfen. Das eröffnet vor allem jungen Menschen neue Möglichkeiten, also genau denjenigen, auf die das russische Rückkehrer-Programm abzielt. Der Professor des Baltischen russischen Instituts in Riga, Artur Prieditis, sieht dies an seinen Studenten und Absolventen: "Junge Russen fahren in den Westen, um zu arbeiten oder zu studieren. Dabei sind die neuen Informations-Möglichkeiten hilfreich."

Fernost nicht verlockend

Die jungen Menschen selbst sagen, die Aussicht, in eine entfernte russische Provinz überzusiedeln, sei nicht verlockend. Eine Studentin stellte fest, niemand ihrer Kommilitonen werde nach Fernost gehen, bestenfalls nach Moskau oder St. Petersburg, aber eher in den Westen.

Aber auch Rentner sind von einer Rückkehr nach Russland nicht begeistert. Ein 65jähriger Mann sagte, er werde nicht auswandern, weil er in Lettland eine Rente beziehe, von der er normal lebe.

Gegenseitige Akzeptanz

Der dritte Grund ist, dass die meisten russischen Letten ein geregeltes und stabiles Leben führen. Viele Russen haben sich an die Bedingungen in Lettland gewöhnt. Hinzukommt, dass Professor Prieditis zufolge immer mehr Letten die während der Sowjetzeit eingewanderten Russen akzeptieren würden: "Die Letten haben sich mit der Präsenz der Russen abgefunden und die Russen haben sich mit der Politik der Letten abgefunden. Jeder hat seinen Platz gefunden."

Dem stimmt einer der Vorsitzenden des Vereinigten Kongresses der russischen Gemeinden Lettlands, Michail Tjacin, zu. Seiner Meinung nach muss man eine andere Lösung für die Probleme der im Ausland lebenden Russen finden: "Man muss nicht auswandern, sondern vor Ort die Probleme lösen. Und Russland muss anders vorgehen, seine Landsleute im Ausland unterstützen, so wie es viele entwickelte Länder machen."

Aleksej Romanow, Riga
DW-RADIO/Russisch, 24.7.2006, Fokus Ost-Südost