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Politik

Leuchten gegen Antisemitismus

Kathleen Schuster ft
2. Dezember 2016

Antisemitische Vorfälle, szenisch beschrieben, lassen jetzt in aller Öffentlichkeit aufhorchen. Von einer Kunstaktion in Köln berichtet Kathleen Schuster.

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Deutschland Amadeu Antonio Stiftung Anti-Semitismus in Deutschland
Bild: DW/K. Schuster

30 Minuten dauert es, um die antisemitischen Zwischenfälle in Deutschland der letzten Zeit aufzuzählen. Oder besser gesagt - gerade mal 126 davon. 30 Minuten dauert die Diashow in Köln, bei der in kurzen Sätzen, Dia für Dia, Szenen beschrieben werden, die zeigen, welchem alltäglichen Hass Menschen jüdischen Glaubens ausgesetzt sind.

Rund 1000 Fälle von Antisemitismus hat es allein im vergangenen Jahr in Deutschland gegeben, so die Amadeu-Antonio-Stiftung. Die in Berlin ansässige Nichtregierungsorganisation zeichnet nicht nur für Kampagnen gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus verantwortlich, sondern führt seit 2002 auch Buch über antisemitische Vorfälle.   

"Zwei Frauen verweigern in der Straßenbahn einer jungen Studentin einen Sitzplatz, als sie den Davidstern an ihrer Halskette entdecken. Berlin, 6. April 2016." So und so ähnlich lesen sich die Ereignisse, die die Stiftung registriert und per Diashow auf ein bekanntes Kölner Museum projiziert hat. Und es verfehlt seine Wirkung nicht: Abgelenkt von dem unerwarteten, hellen Licht, dreht ein Fahrradfahrer kurz den Kopf und liest, während sein Fahrrad weiterrollt. Passanten bemerken die Menschentraube, die sich vor der Wand versammelt hat. Sie bleiben stehen, schauen nach oben. Die wenigsten allerdings schauen sich die komplette 30-minütige Diashow an.

"Keine Überraschung"

Viele der Zuschauer sind auf irgendeine Weise mit den Vorfällen verbunden. So wie Angelika Scherb, die für einen Ortsverein der SPD aktiv ist. Die hohe Zahl der kriminellen Handlungen gegen Juden überrascht sie nicht. Sie weiß, dass es Antisemitismus in Deutschland noch immer gibt - zum einen, weil sie die Statistiken kennt, zum anderen, weil sie selbst jüdische Wurzeln hat und in der Vergangenheit bereits Drohmails bekam, weil sie für israelische Positionen eingetreten war. "Viele Menschen glauben, Antisemitismus sei ein Phänomen aus der Vergangenheit. Sie denken, dass das alles vorbei sei und wir ja jetzt in einer toleranten Gesellschaft wären", sagt sie der DW.

Deutschland Amadeu Antonio Stiftung Anti-Semitismus in Deutschland
Weggucken unmöglich: Dia-Projektion in KölnBild: DW/K. Schuster

1925 lebten rund 560.000 Bürger jüdischen Glaubens im Deutschen Reich. Die meisten wurden unter Hitlers Terrorregime ermordet. Heutzutage leben nur noch rund 100.000 Juden in Deutschland - oder anders ausgedrückt: Gerade mal 0,001 Prozent aller Menschen in Deutschland sind laut Zentralrat der Juden überhaupt nur mosaischen Glaubens.

Neue Art des Antisemitismus

Miki Hermer hat die Lichtinstallation in Köln mit initiiert und ist ihr Projektleiter. Köln ist die insgesamt fünfte und letzte Stadt in Deutschland, in der die Installation gezeigt wird.  

Die Gründe für Ignoranz und Selbstgefälligkeit gegenüber Antisemitismus sehen die Macher vor allem in der einstigen Teilung von Ost- und Westdeutschland. "Ich sehe, dass sich der Anti-Semitismus einfach nur wandelt und neue Ventile und neue Wege sucht und findet", sagt Hermer der DW. 2013 registrierte die Polizei 1300 antisemitische Straftaten, darunter Sachbeschädigung, Belästigungen, physische Gewalt. Im Jahr davor waren es sogar rund 1600, hier spielte der Gaza-Konflikt noch eine Rolle, im Zuge dessen die Gewalt gegen Juden noch einmal stärker geworden war. Dies zeigte: Antisemitismus ist in Deutschland oft auch mit einer Anti-Israel-Haltung verbunden. Ein Trend, der gerade in der Linksextremen-Szene zunimmt, beobachtet Bastian Satthoff, Student aus Köln. Oft würde nicht nur die israelische Regierung kritisiert, sondern es würden auch antisemitische Klischees bedient. Viele junge Leute würden das wohl nicht mal realisieren, so Satthoff: "Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen die beispielsweise Israel vorwerfen grundsätzlich Kinder zu töten, was ich auch als Anti-Semitismus bewerten würde, weil es eben speziell das israelische Militär ist, dem das immer wieder vorgeworfen wird", so Satthoff. Kritik an den Militärangehörigen anderer Konfliktparteien registriere er dagegen kaum. 

Europaweites Phänomen

"Ziehen Juden in Deutschland heutzutage aus der Vergangenheit des Dritten Reiches ihren Vorteil?" Unter anderem das wollte die Friedrich-Ebert-Stiftung vor nicht langer Zeit in Deutschland bei einer Umfrage wissen. Ein Viertel der Befragten stimmten der These zu. 40 Prozent der Befragten gaben immerhin an, es "gut verstehen zu können", wenn jemand aufgrund der israelischen Politik etwas gegen Juden habe.

Diese Zahlen sprechen die gleiche Sprache wie die Ergebnisse einer Umfrage von 2013, die die Europäische Agentur für Grundrechte in Auftrag gegeben hatte. Mehr als ein Drittel der Juden in Deutschland hatten zu diesem Zeitpunkt schon einmal Belästigungen erlebt. In Ungarn waren es sogar 43 Prozent, in Belgien 38. 10 Prozent in Deutschland gaben zudem an, am Arbeitsplatz diskriminiert zu werden, rund 8 Prozent berichteten von Vorurteilen ihnen oder ihren Kindern gegenüber in Schule und Sportvereinen. 60 bis 80 Prozent hatten sich nicht getraut, diese Vorfälle der Polizei zu melden. 20 Prozent gaben an, aus Sicherheitsgründen jüdische Feste oder Einrichtungen bewusst nicht zu besuchen.  

Deutschland Amadeu Antonio Stiftung Anti-Semitismus in Deutschland
Ein Knopf mit dem Mosaik der früheren Kölner SynagogeBild: DW/K. Schuster

Gedenken zum Abschluss   

 Zurück in Köln: Nachdem die Diashow beendet ist, gibt es noch eine Gedenkveranstaltung für jene Juden, die während des Holocaust ums Leben kamen. Zwölf Besucher kommen, die meisten waren auch schon bei der Diashow. Sie besuchen verschiedene jüdische Einrichtungen. Zum Beispiel die alte Synagoge, die die Nazis am 9. November 1938 niederbrannten. Alle Teilnehmer der Gedenkveranstaltung erhalten einen Anstecker, auf dem das Mosaik abgebildet ist, das einst die Synagoge zierte. Immer mal wieder drängen sich Passanten an der kleinen Gruppe vorbei, sie achten nicht darauf, dass die Teilnehmer Rosen niederlegen.

Im Vergleich zu der Lichtinstallation eine Stunde zuvor ist dies ein vollkommen unauffälliges Gedenken. Dass relativ wenige Teilnehmer zu der Gedenkveranstaltung mitgekommen sind, sieht Angelika Scherb aber nicht als einen Makel. "Für mich war die Veranstaltung ein Erfolg, da die Botschaft klar rüber gebracht wurde. Solche Veranstaltungen werden sicherlich bald schon wiederholt werden"