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Antikörper-Spray gegen Morbus-Crohn

Gudrun Heise13. März 2015

Schlagen bestimmte Medikamente bei Morbus Crohn-Patienten an oder nicht? Dafür hat Raja Atreya ein neues Verfahren entwickelt und erhält jetzt den Paul-Ehrlich-und- Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreis.

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Raja Atreya, Internist an der Uniklinik Erlangen-Nürnberg (Foto: Universitätsklinikum Erlangen).
Bild: Universitätsklinikum Erlangen

Um Morbus Crohn und um die gezielte Behandlung dieser chronischen Darmentzündung geht es Raja Atreya bei seiner Arbeit. Der 39-jährige Mediziner und Forscher hat ein Diagnostikum entwickelt, mit dem schon vor Behandlungsbeginn festgestellt werden kann, ob Aussicht auf Erfolg besteht oder nicht.

"Seit ungefähr 15 Jahren gibt es eine zielgerichtete Therapie, aber nur etwa die Hälfte aller Patienten spricht auf die Behandlung an. Einen Prädiktor oder einen Biomarker, der darauf hinweist, ob das Medikament das Richtige für den Betroffenen ist, gibt es nicht. "Letztendlich probiert man einfach und hofft, dass es mit der Therapie klappt." Allein in Deutschland leiden etwa 300.000 Menschen unter Morbus Crohn, Tendenz steigend.

Eine Erkrankung mit hohem Leidensdruck

Morbus Crohn verläuft in akuten Schüben. "Das heißt, es ist eine chronische Erkrankung, bei der es auch mal Ruhephasen geben kann, aber es kann sich auch ganz unvermittelt wieder ein erneuter Schub ankündigen", erklärt der Juniorprofessor und Oberarzt an der Medizinischen Klinik 1 des Universitätsklinikums Erlangen. Schon in seiner Doktorarbeit hat er sich mit Morbus Crohn beschäftigt.

Die Patienten haben starke Bauchschmerzen und Krämpfe, leiden an Müdigkeit und starkem Durchfall. "Sie müssen zwanzig, oft auch bis zu dreißig Mal am Tag zur Toilette", erklärt Raja Atreya. "Sie haben nicht die Möglichkeit, den Stuhlgang zurückzuhalten, und er ist mit starkem Druck verbunden. Die Betroffenen müssen also immer schauen: Wo ist die nächstgelegene Toilette, die ich erreichen kann?" Der gesamte sogenannte gastrointestinale Trakt kann davon betroffen sein, also vom Mund bis zum After.

Vorurteile und Unwissen

Morbus Crohn (Foto: N.N.)
Bei Morbus Crohn kommt es zu Entzündungen im VerdauungstraktBild: picture-alliance/dpa/J. Mangler

Verdauung und Stuhlgang sind nicht gerade Dinge, über die Menschen gerne sprechen. Und sie sind auch nicht gerade Top-Thema unter Freunden oder gar auf Partys. Darm und Körperausscheidungen - ein Tabu. Und das bekommen Morbus Crohn-Patienten oft zu spüren. Es sei eine stigmatisierende Erkrankung und es fehle oft an Verständnis, so Atreya.

Viele seien der Meinung, ein bisschen Durchfall ist kein Grund etwa nicht zur Arbeit zu kommen, unter dem Motto: 'Ich hatte auch schon mal Durchfall'. Betroffene haben häufig längere Ausfallzeiten im Berufsleben, denn die Erkrankung verursacht die unterschiedlichsten Beschwerden. "Wegen der häufigen blutigen Durchfälle und der chronischen Entzündung haben viele Patienten auch eine Anämie, eine Blutarmut. Sie sind einfach in der Lebensqualität stark eingeschränkt. Bei schweren Verläufen können die Patienten weder privat noch beruflich an einem normalen Leben teilnehmen", weiß Atreya.

Prognose: Hilft die Therapie oder nicht?

Behandelt wird Morbus Crohn mit sogenannten TNF-Antagonisten. TNF steht dabei für Tumor-Nekrosefaktor. Das ist ein Botenstoff des Immunsystems, der entzündungsfördernd ist. Die Therapie mit den zugelassenen Antikörpern geht an die Wurzeln des Übels und zieht das krankmachende TNF quasi aus dem Verkehr. Die Behandlung ist mit bis zu 30.000 Euro pro Jahr nicht nur sehr teuer, sie schlägt nicht bei jedem Patienten an. Die Hälfte der an Morbus Crohn Erkrankten profitiert nicht von dieser Behandlung. Das kann dank des neuen Diagnostikums nun schon prognostiziert werden, bevor die Therapie überhaupt begonnen wird.

Für die Entwicklung des Diagnostikums hat Atreya erst einmal wissenschaftliche Experimente im Labor gemacht. Dabei hat er untersucht, wie der Anti-TNF-Antikörper genau wirkt. Das Ergebnis: Er wirkt vor allem an den Darmzellen. Die bilden den Botenstoff TNF auf ihrer Oberfläche aus. "Wenn das entscheidend für die Wirkung des Anti-TNF-Antikörpers ist", so die Überlegung des Forschers, "kann das ja vielleicht auch ein Maß oder eine Messgröße sein, um vorauszusagen, ob ein Patient auf die Therapie ansprechen wird oder nicht."

Vielleicht gebe es ja Patienten, die viele dieser Zellen in der Darmschleimhaut haben. "Und vielleicht sprechen diese Patienten besser auf die Therapie an, weil der Antikörper einfach an mehr Zellen binden kann." Die Personen hingegen, die weniger dieser Zellen in der Darmschleimhaut haben, sprechen auch schlechter auf diese Antikörper-Therapie an. Durch diese Vorhersage verlieren Arzt und Patient keine Zeit und können früher nach alternativen Behandlungsmethoden suchen.

Eine leuchtende Idee

Darm Grafik (Foto: Fotolia/Sebastian Kaulitzki).
Vor Beginn der Therapie muss eine Darmspiegelung gemacht werdenBild: Fotolia/Sebastian Kaulitzki

Der nächste Schritt - hin zum preisgekrönten Diagnostikum - führte über eine Darmspiegelung. Die werde bei Patienten immer durchgeführt, bevor eine Therapie eingeleitet werde, erklärt Atreya. Die Idee war dann: "Wir suchen uns die Stelle in der Schleimhaut aus, die am stärksten entzündet ist. Dann führen wir einen Spray-Katheter über ein Endoskop ein und sprühen darüber den mit Fluoreszenz-Farbstoff markierten Anti-TNF-Antikörper." Die Zielmoleküle, die für den Behandlungserfolg notwendig sind, können so sichtbar gemacht werden. Insgesamt nahmen 25 Patienten an der Studie teil. Die Patienten, bei denen sich viele Zellen auf der Darmschleimhaut mit dem Antikörper-Spray färben ließen, sprachen wesentlich besser auf die Therapie an als Patienten mit wenigen Zellen.

Der Behandlungserfolg bestand unter anderem darin, dass weniger andere Medikamente verordnet werden mussten. Die Darmschleimhaut heilte in den meisten Fällen innerhalb eines Jahres ab. Die Möglichkeiten, die das neue Diagnostikum für eine individualisierte Therapie bei Morbus Crohn bietet, waren für die Jury ausschlaggebend, um Raja Atreya den Preis zuzusprechen.

Eine ideale Kombination

Schon in seiner Doktorarbeit hat Atreya sich mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen beschäftigt. Während seines Studiums habe er sich ein Freisemester genommen und sich in dieser Zeit auf die Forschung konzentriert. Dadurch habe das Studium zwar länger gedauert, aber es habe sich gelohnt. "Für mich ist es ein sehr schönes Zusammenspiel zwischen Klinik und Forschung. Ich habe auch gemerkt, dass es mir für beide Bereiche hilft." Er habe ein Forschungsprojekt durchführen wollen, das nah beim Patienten ist. "Wie ist der Wirkmechanismus von Antikörpern beim Patienten? Wie kann man etwas verbessern? Welche Prädiktoren gibt es?"

Das Interesse von Ärzten, auch Forschung zu betreiben, geht nach Ansicht Atreyas aber zurück. Es werde sogar diskutiert, ob man den forschenden Arzt überhaupt brauche. "Haben wir dafür nicht ausgebildete Biologen, die das von Grund auf gelernt haben, vielleicht besser als der Mediziner?", ist ein häufig vorgetragenes Argument. Von der Kombination aus Forschung und Medizin aber profitiert letztendlich auch der Patient. Eines dürfe man jedoch nicht vergessen, sagt der Preisträger: "Forschung ist sehr zeitintensiv. Und sie ist auch oft mit Rückschlägen verbunden. Da sagt man sich dann: Man hat viel Arbeit in ein Projekt gesteckt, aber am Ende nichts in der Hand." In der Hand hat Raja Atreya jetzt aber auf jeden Fall ein neues Diagnostikum und den Paul Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreis.