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Libyen blickt nach vorn

Kersten Knipp13. Dezember 2012

Der ehemalige libysche Premier Al-Mahmudi muss sich seit dieser Woche vor Gericht verantworten. Die meisten Libyer beschäftigt das nur am Rande. Viel mehr interessieren sie sich für die Zukunft ihres Landes.

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Ein Libyer formt das Siegeszeichen (Foto: DW)
Bild: DW/G.Anderson

Vielleicht ist es ein Zeichen, wie weit die Libyer auf ihrem Weg zurück zur Normalität bereits fortgeschritten sind: Der am Montag eröffnete Prozess gegen Baghdadi al-Mahmudi, den letzten Premier unter Muammar al-Gaddafi, stieß in der Öffentlichkeit auf nur wenig Interesse. Die Zeitungen berichteten kaum über den Fall. Fast schien es, als nähmen sie ihn gar nicht wahr.

Im September 2011 war Mahmudi von Libyen nach Tunesien geflohen, wurde beim Grenzübertritt allerdings von tunesischen Beamten verhaftet. Einem Gesuch der neuen libyschen Regierung entsprechend, lieferte Tunesien den Politiker Mitte 2012 an das Nachbarland aus. Die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte wiegen schwer: Anordnung von Massenvergewaltigungen, Mord und Entführungen während des Bürgerkriegs, zudem Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Ex-Premier Baghdadi al-Mahmudi (Foto: Reuters)
Vor Gericht: Ex-Premier Baghdadi al-MahmudiBild: Reuters

Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit

Der Prozess, erklärt der libysche Politikwissenschaftler Ali Algibeshi, habe für die Libyer vor allem symbolische Bedeutung. Doch mehr als für die Abrechnung mit der Vergangenheit spiele der Prozess im Hinblick auf das künftige Libyen eine Rolle. Er zeige, welche Art von Staat die Bürger wünschten: "Die, die dem Regime dienten und für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, werden zur Rechenschaft gezogen. Das zeigt, dass die Libyer nicht auf Rache aus sind. Stattdessen geht es um Gerechtigkeit - gegenüber den Opfern wie auch den Tätern."

Ohnehin konzentrierten sich die Libyer mehr auf die Zukunft als auf die Vergangenheit. Ideologische Grabenkämpfe wie in den beiden Nachbarländern Tunesien und Ägypten blieben den Bürgern erspart. Den Grund dafür sieht Algibeshi vor allem darin, dass der politische Diskurs unter Gaddafi nicht gepflegt, sondern im Gegenteil systematisch unterdrückt wurde. Anders als in den beiden Nachbarländern habe sich in Libyen keine politische Kultur entfalten können - aus dem einfachen Grund, dass Gaddafi sie nicht zuließ. Das sei nachträglich insofern positiv, als die Libyer weltanschaulich nicht gespalten seien. "Die fehlenden Traditionen dürften die Libyer auch dazu bewegen, ihr Land nun neu zu gestalten." Insofern seien die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung gut. Wenn es dennoch einen Fehler gegeben habe, dann den, dass die Bürger nach dem Krieg zu wenig Zeit gehabt hätten, sich an die neue Freiheit zu gewöhnen. "Darum hätte man mit dem Start des politischen Programms vielleicht noch etwas warten sollen. Das hätte die Lage noch weiter entspannt."

Libyscher Nationalkongress (Foto: picture alliance)
Demokratisch legitimiert: der libysche NationalkongressBild: picture-alliance/dpa

Keine religiöse Spaltung

Der geordnete Übergang zur Demokratie liege auch daran, dass die Libyer in religiöser Hinsicht kaum gespalten seien, erklärt Nahost-Experte Gerd Emil Lieser von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Lieser, der auch mit dem Aufbau der libyschen Zivilgesellschaft befasst ist, sieht den religiös konservativen Charakter der Bevölkerung als entscheidende Grundlage für den vergleichsweise friedlichen Übergang in die neue Zeit. "Er bewirkt, dass man über die Religion gar nicht diskutiert. In diesem Punkt ist man sich einig. Stattdessen geht es um die Gestaltung der Gesellschaft: Föderalismus, dezentrale Strukturen, die Frage nach der Einbindung der politischen Strukturen - das sind die Themen, die die Menschen beschäftigen."

Lieser selbst fördert den Aufbau zivilgesellschaftlicher Instanzen: Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, freie Bildungsträger. Engagement und Begeisterung für solche Einrichtungen seien groß, berichtet er. Dies sei umso erstaunlicher, als die Libyer kaum auf entsprechende Traditionen zurückgreifen könnten. "Alles, was es an Strukturen gab, ist zerstört. Die Leute greifen auf Dinge zurück, die Ende der 60er Jahre entstanden sind. Und zwischendurch war nichts."

Kompromissfähigkeit gefordert

Zudem, erklärt Algibeshi, wüssten die meisten seiner Landsleute, was für sie auf dem Spiel stehe. Krieg und Rückkehr zur Diktatur wollten sie unbedingt vermeiden. Zwar sei allen klar gewesen, dass nach dem Sturz Gaddafis ein Machtvakuum entstehe, in dessen Folge es auch zu Spannungen komme. "Und alle wussten, dass das Kompromisse von allen Seiten fordern würde." Zwar sei das Land auch wegen der vielen nicht gesicherten Waffen längst noch nicht sicher. "Aber so schlimm, wie es gelegentlich von außen dargestellt wird, ist es auch nicht."

Demonstranten zeigen Plakat gegen bewaffenete Milizen in Bengasi (Foto: DW)
Libyer demonstrieren für die Abgabe von WaffenBild: DW

Libyen ist auf dem Weg in die Zukunft. Die Vergangenheit spielt nur noch eine kleine Rolle, wie das geringe Interesse an dem Prozess gegen den ehemaligen Premierminister Al-Mahmudi zeigt. Mehr als um die Diktatur von gestern kümmern sich die Libyer um den Rechtsstaat von morgen.