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Noch lange keine Ruhe

Günther Birkenstock12. Juni 2012

In Libyen nutzen mehrere Gruppierungen das Machtvakuum an der Spitze des Staates für Terroranschläge und zur Begleichung alter Rechnungen. Vier potentielle Konfliktherde bedrohen das Land.

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Zerstörte Straßen in Libyen (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

In Bengasi, Al-Kufra und Al-Sintan kam es bereits zu gewaltsamen Zwischenfällen, Auseinandersetzungen im Touareg-Gebiet im Nordwesten könnten vielleicht bald hinzukommen. Die vier Orte stellen die libysche Regierung vor große Herausforderungen.

In der östlichen Metropole Bengasi starb ein ehemaliger Oberst der Behörde für Innere Sicherheit an den Folgen eines Sprengstoffanschlags. Ein Sprengsatz hatte Muftah al-Urfi vor einigen Tagen schwer verletzt, als er eine Moschee verlassen hatte. Außerdem waren in den vergangenen Tagen in Bengasi bereits die US-Vertretung und ein Konvoi der britischen Botschaft angegriffen worden.

Anschlag auf das Auto des britischen Botschafters in Bengasi (Foto: REUTERS)
Anschlag auf das Auto des britischen Botschafters in BengasiBild: Reuters

Bedrohte Minderheit in Kufra

Lokale Medien berichteten zudem über ein Wiederaufflammen der Kämpfe in der im Südosten Libyens gelegenen Oasenstadt Al-Kufra. Bei Gefechten zwischen Milizen und Stammeskämpfern der schwarzafrikanischen Minderheit der Toubou waren dort mindestens 17 Menschen getötet worden. Menschenrechtler hatten schon im April die Vereinten Nationen aufgefordert, sich stärker für den Schutz der Toubou einzusetzen. Im Februar und März dieses Jahres waren nach ihren Angaben mehr als 100 Angehörige der Volksgruppe getötet worden. Ein weiterer Konflikt ereignete sich nahe der westlibyschen Stadt Al-Sintan. Dort haben sich am Dienstag (12.06.2012) ehemalige Rebellen Gefechte mit Bewohnern eines angrenzenden Bezirkes geliefert. Zwei Kämpfer wurden getötet.

In Al-Sintan wird zudem derzeit ein Team des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) festgehalten. Die Mitarbeiter des Gerichtshofes waren dort in der vergangenen Woche von einer Miliz gefangen genommen worden. Ihnen wird Spionage vorgeworfen. Sie hätten versucht, Saif al-Islam al-Gaddafi geheime Dokumente zu übergeben. Der Sohn des früheren Diktators Muammar al-Gaddafi sitzt dort in einem Gefängnis.

Saif al-Islam Gaddafi (Foto: dapd)
In Al-Sintan inhaftiert: Saif al-Islam GaddafiBild: dapd

Libyen stellt Bedingung für die Freilassung von Melinda Taylor

Besonders die Festnahme von Melinda Taylor, der australischen Pflichtverteidigerin von Saif al-Islam, hatte international für Proteste gesorgt. Inzwischen hat die libysche Regierung eine Bedingung für die Freilassung der Juristin formuliert. Wenn Taylor den Aufenthaltsort der einstigen rechten Hand des von ihr besuchten Gaddafi-Sohns Saif al-Islam nenne, werde sie freigelassen, so die libysche Regierung.

Der Anthropogeograph und Libyen-Experte Andreas Dittmann von der Universität Gießen sieht im Gespräch mit der Deutschen Welle durchaus einen übergeordneten Zusammenhang zwischen den verschiedenen Konfliktherden, auch wenn an jedem Ort andere Täter und Motive eine Rolle spielten: "Der Zusammenhang ist die Unsicherheit im Nach-Gaddafi-Libyen. Die Gründe für Anschläge und Konflikte sind unterschiedlich, teils ethnisch, teils religiös, teils auch kriminell. Aber alle Akteure nutzen die Unsicherheit und Schwäche der libyschen Regierung, um zuzuschlagen.

Andreas Dittmann (Foto: Andreas Dittmann )
Libyen-Experte: Andreas DittmannBild: Andreas Dittmann

Alte Feindschaften in Al-Kufra

In der Analyse von Libyen-Kenner Andreas Dittmann zeigt sich, wie komplex und schwierig die Situation des Landes ist: "In Al-Kufra im Süden handelt es sich um einen lokalen Konflikt, der nur bedingt politisch ist. Auf der einen Seite stehen Milizen. Auf der anderen die lokale Bevölkerung der Toubou, die weder Berber sind, wie die Touareg, noch Araber, wie die libysche Mehrheitsregierung. Nach einer Vereinnahmung der Toubou für territoriale Expansionsziele zu Zeiten Gaddafis, hat sich hier durchgesetzt, was die libysche Bevölkerung schon immer gespalten hat: die gegenseitige Abneigung der mehr oder weniger Dunkelhäutigen und der mehr oder weniger Hellhäutigen. Hier hatten die Dunkelhäutigen, insbesondere die deutlich dunkelhäutigen Toubou, immer schon Benachteiligungen zu erleiden. Toubou und Touarag sind Erzfeinde."

Konfliktherd Kufra (Foto: DW/ Abderrahmane Ammar)
Konfliktherd KufraBild: DW

In Al-Sintan im Nordwesten gehe es hingegen um Kompetenzgerangel. "Hier gibt es eine Milizengruppe, die von revanchistischen Gedanken geleitet ist. Sie hat die Strafgerichts-Vertreter festgesetzt. Es geht aber nur peripher um die Inhaftierten. Auf der einen Seite stehen die Milizenanhänger, die eine Kollaboration und Parteinahme für ehemalige Gaddafi-Anhänger vermuten und bestrafen wollen. Und auf der anderen Seite steht eine Gruppe der Regierung, die durchsetzen will, dass sie die Herrscher sind."

Islamisten in Bengasi

Beim dritten Konflikt, Bengasi, sieht Andreas Dittmann eine vollkommen andere Situation: "Hier gab es immer schon eine islamistische Opposition. Allerdings kann der Angriff dort auf eine US-Vertretung und einen Konvoi der britischen Botschaft auch andere Gründe haben. Auch wenn die islamistische Opposition wahrscheinlich dafür verantwortlich ist."

Letztlich fehle als vierter potentieller Konfliktschwerpunkt nur noch das Touareg-Gebiet im Westen und Südwesten. "Eine Volksgruppe, die immer noch nicht wahrhaben will, dass ihr jahrelanger Beschützer Gaddafi nicht mehr da ist, der sie mit Geld und anderen Vergünstigungen ausstattete", so der Gießener Forscher.

Die Regierung habe also alle Hände voll zu tun, um das Land zusammen zu halten. Weil sie aber nach innen Stärke demonstrieren muss, verhält sie sich nach Meinung des Libyen-Experten im Fall der festgesetzten Strafgerichtshof-Mitarbeiter diplomatisch sehr ungeschickt. Die jetzige Forderung der libyschen Regierung, Anwältin Taylor brauche nur die Adresse des Gaddafi-treuen Mohammed al-Harisi nennen, um freizukommen, sei pures Machtgehabe nach dem Motto: 'Wir diktieren die Bedingungen und verhalten uns korrekt, weil unsere Forderungen erfüllbar sind'". Libyen steckt voller Pulverfässer und Gruppen, die gerne die Lunte legen würden. Derzeit sieht es nicht so aus, als ob die Übergangsregierung es schafft, das zu verhindern.

Melinda Taylor (Foto: dapd)
Anwältin Melinda TaylorBild: dapd