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Lifestyle

"Mode wird politisch, wenn Kleidung zur Uniform wird"

Jan Tomes
24. November 2016

Lidewij Edelkoort ist eine der wichtigsten Trendforscherinnen im Bereich Mode auf der ganzen Welt. Trotzdem meint sie: "Mode ist tot". Wie Gier und Rechtspopulismus die Branche kaputt machen, erklärt sie im DW-Interview.

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DW euromaxx Lidewij Edelkoort
Bild: Thirza Schaap

Die niederländische Trendforscherin Lidewij Edelkoort sagt seit Jahrzehnten die Zukunft voraus - und dabei liegt sie nur sehr selten falsch. Ihre Trendbücher werden in der Modeindustrie wie Bibeln gehandelt. Mit ihrem Studio Trend Union arbeitete sie mit Marken wie Coca-Cola, L'Oréal oder Siemens. Das TIME Magazine hat sie im Jahr 2003 auf die Liste der 25 einflussreichsten Modemenschen gesetzt. 

Im November stellte sie in Seminaren kommende Trends und das von ihr für 2017 gegründete Masterprogramm für Textilien an der Parson's School of Design in New York vor. DW-Redakteur Jan Tomes traf Lidewij Edelkoort in Berlin zum Gespräch.

DW: Als Sie im Januar Berlin besuchten, haben Sie darauf bestanden, dass die "Emanzipation von allem" einer der größten Trends im Jahr 2016 werden würde - und zwar nicht nur in der Mode.

Lidewij Edelkoort: Und ich denke, ich hatte Recht. Natürlich ist noch eine Menge zu tun, aber die Präsidentschaftswahl in den USA hat die Frauenrechte wieder ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Weibliche Emanzipation erlebt gerade eine Wiedergeburt. Ich beobachte, wie sogar viele ehemalige Suffragetten wieder aufstehen, kämpfen und runde Tische organisieren. Gloria Steinem und Annie Leibovitz haben gerade erst ihre große Ausstellung mit Frauenportraits eröffnet - und sie werden damit auf Welttournee gehen.

Aber es geht nicht nur um Frauen. Viel wichtiger ist der Wandel der Männer. Es gibt eine neue Generation von Männern, die sich um ihre Babys kümmern. Sie verhalten sich nicht mehr so sehr wie Übermenschen, wie das noch die Generation vor ihnen tat. Sie wollen in einer friedlichen Welt leben, sie kümmern sich um zukünftige Generationen und haben keine Angst mehr vor Frauen. In diesem Wandel sind Männer weicher geworden. Das sieht man auch auf dem Laufsteg: Sie tragen weichere Farben, weichere Anzüge. Das wiederum verwirrt die Frauen, denn sie wissen nicht, wie sie auf diese Männer reagieren sollen.

Nun wurde Trump als neuer US-Präsident gewählt und viele Menschen sagen schon jetzt voraus, dass er die Welt verändern wird.

Ja, ich hatte gehofft, dass Hillary gewinnen würde und uns Raum zum Atmen für ein paar mehr Jahre lassen würde. Aber wir werden diesen Raum zum Atmen nicht haben. Ich habe schon im Sommer vorausgesehen, dass Trump gewählt werden würde.

Und Ihre Intuition war wieder richtig!

Er gewann die Nominierung zu schnell und war dann nicht mehr aufzuhalten. Ich denke, er ist Teil einer größeren, weltweiten Bewegung, die den Faschismus wiederbeleben will. Politiker in den Niederlanden, aus denen ich komme, und aus vielen anderen europäischen Ländern, nutzen eine sehr schmutzige Sprache mit vielen Kraftausdrücken und die Massen scheinen diese politische Inkorrektheit zu mögen. Diesen Sommer las ich ein Buch über den deutschen Faschismus der 1930er Jahre und fast jede Seite hat mich an die Rhetorik von heute in Frankreich und Großbritannien erinnert. Wir als Spezies lernen einfach nicht.

Bildcombo Geert Wilders und Donald Trump
Der niederländische Politiker Geert Wilders und der designierte Präsident der USA Donald Trump: Laut Edelkoort sind beide Teil einer faschistischen Bewegung.Bild: picture-alliance/dpa/EPA/J. Warnand Getty Images/S. D. Davis

Faschismus wird ausgelöst durch Angst, Angst vor dem Verlust des Einkommens, der Selbstständigkeit, der Stimme. Die Massen leben in Angst und wollen deswegen gehorchen. Sie wollen einer stärkeren Person folgen, in Gehorsam leben - und das ist das Markenzeichen vom Faschismus. 

Wie werden Trump und seine Gefolgschaft unseren Kleidungsstil beeinflussen?

Erstmal werden alle so weitermachen wie gewohnt, wir werden den Wandel nicht gleich erkennen. In Zeiten der Angst neigt Mode zu Extravaganz. Ich denke da an das Comeback historischer Elemente im Modedesign, zum Beispiel Reifröcke, Ballonärmel und weißer Kragen. Es gibt diese Dringlichkeit, die Form zu ändern, die viel zu lang viel zu einfach war. Wir brauchen einen neuen Impuls. Theatralische Kleidung wird wichtig werden.

Heißt das, Mode ist politisch?

Ja, das kann sie sein.

Wann?

Wenn Kleidung zur Uniform wird.

Genau wie in der Welt herrscht auch in der Modeindustrie Chaos. Designer werden kurz nach ihrer Einstellung wieder gefeuert, Modefirmen gehen Pleite und selbst bekannte Namen wie Hugo Boss verlassen das Luxussegment. Was quält die Modeindustrie?

Gier hat die Modeindustrie unwiderruflich in Beschlag genommen. Es gibt für sie nichts Wichtigeres mehr als Leistung und die widerspricht Innovation. Da kein Ende dieser Gier in Sicht ist, nehmen die Modefirmen keine Risiken mehr in Kauf. Sie konzentrieren sich auf die kleinen Dinge, die besser zu verkaufen sind - vor allem auf Lederprodukte. So wird Mode zum Accessoire der Accessoires. Mode hat seinen Sinn verloren.

Sie schreiben in Ihrem Manifest von letztem Jahr: "Mode ist tot"

Ja, das stimmt. Die Schulen unterrichten die Studierenden an der Realität vorbei, sie tun so, als ginge es noch immer darum, ein Catwalk-Stardesigner zu werden. Dabei geht es um Kooperation, um Teamarbeit. Heute teilen junge Leute ihre Kleidung und recyclen sie. Aber die Modeschulen scheinen das nicht zu verstehen. 

Außerdem verändert sich die Qualität der Textilindustrie. Designer beschweren sich, sie könnten keine Mode mehr machen, sondern nur noch Kleidung. Den Konsumenten liegt nichts mehr daran, sich herauszuputzen. Dieses alte System funktioniert einfach nicht mehr. Wir brauchen neue Regeln und wir müssen den Inhalt verändern.

Was wollen die Leute denn heute tragen?

Shirts sind sehr wichtig, weil sie sowohl weiblich als auch männlich sind. Hoodies (Kapuzenpullover, Anm. d. Red.) interessieren die jungen Designer und Konsumenten. Hosen in vielen neuen Formen sind auch wieder relevant. Die Leute wollen sich in Schichten kleiden. Ein Material wie Samt wird viel nachgefragt und Looks, die an Wandteppiche erinnern, werden stark im Kommen sein. Auch nomadische Kleidung ist sehr beliebt, sie gibt uns die Freiheit, einfach aus der Tür zu treten und aufzubrechen.

Lidewij Edelkoort, Trendforscherin Niederlande
Zahlreiche Preisträgerin Lidewij Edelkoort: hier bei der Verleihung des Prinz Bernahrd Kulturfonds-Preises durch die niederländische Prinzessin Maxima im Jahr 2012.Bild: picture-alliance/dpa

Oberflächlich sieht es so aus, als wäre die Modeindustrie stärker als je zuvor. Es reicht der Blick in ein Modemagazin, um jeden Monat hunderte neuer Kollektionen, Modelinien und Produkte zu entdecken.

Viele der Modemagazine stecken in Schwierigkeiten. Und ich muss sagen: zu Recht, denn es gibt keine Modernisierungen in diesem Feld. Sie denken, ihre Leser wären Idioten, die nicht imstande sind, das Internet zu nutzen. Die Magazine versuchen, das Online-Shopping nachzuahmen, aber du kannst bei ihnen nicht einfach auf einen Button klicken und Sachen bestellen.

Ihre Inhalte sind unglaublich langweilig und immer gleich - hier Mode, da Einrichtung, hier Beauty und dort Reise. Warum gibt es keinen Austausch zwischen Mode und Lifestyle? Vor Jahrzehnten haben Magazine wie die British Vogue ihren Lesern interessante Artikel über aktuelle Ereignisse beschert und sogar Designer damit beeinflusst. heute sind die Seiten voll von meistens dummen Prominenten, die nichts zu sagen haben.

Und selbst wenn die Modewelt reichhaltig erscheint, zeigen die Magazine eigentlich nur Werbung. Die Redakteure können nur bestimmte Marken ablichten und deswegen sehen ihre Bilder aus wie Werbephotos. Sie nutzen dieselben Models, dieselben Photographen, und darüber gibt es keine Informationen.

Sie haben oft gesagt, dass sich Mode verändern muss. Kann es einen Wandel im schnelllebigen Modesektor geben?

Ich bin sehr froh zu sehen, dass neue Studierende an Design-Schulen in Europa und den USA nicht zu großen Modelabeln gehen wollen. In Frankreich gibt es viele neue Namen im mittleren Preissegment. Sie sind sehr erfolgreich. "Erschwinglicher Luxus" sozusagen. In ihren Preisen liegt eine gewisse Wahrhaftigkeit, denn jeder kann ein Stück des Kuchens abbekommen. 

In der Parson's School of Design in New York haben Sie einen neuen Masterstudiengang im Bereich Textilien aufgebaut, der nächstes Jahr eröffnen wird. Ist das Ihre persönliche Rebellion gegen Mode?

Ja, das kann man so sagen. Meine Vision ist, dass junge Leute neu über Textilien nachdenken und neue Ideen vermitteln. Ich kann mir das Leben nicht ohne Textilien vorstellen. Sie sind eine der wichtigsten Antriebskräfte für Innovation. Und jetzt gibt es sogar neue Maschinen wie 3D-Drucker.

Dann denken Sie also, dass Hightech die Zukunft der Mode ist?

Wir versuchen, Silicon Valley und Hudson Valley zu verbinden - Technologie und Natur. Ich denke an computerisiertes Garn, das Schallwellen von sich gibt, an Licht, das Medizin in sich tragen kann, das die Farbe ändern oder sich in ein Musikinstrument verwandeln kann. Wir bauen Solarzellen in Produkte ein und entwickeln eine Mechanik, die heilen oder Gifte absorbieren kann. Wir wissen schon jetzt, wie wir neue Textilien mithilfe von Biotechnologie herstellen können.

Trotzdem müssen wir zuerst zurück auf Null. Wir gucken uns an, wie unsere Vorfahren gearbeitet haben. Diese uralten Techniken verbinden wir dann mit den avantgardistischen Möglichkeiten von Heute. Es ist sehr aufregend!