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Liebesglück trotz Krieg

Kerstin Schweighöfer6. November 2008

Liebe lässt sich nicht verordnen. Genauso wenig lässt sie sich verbieten, auch wenn Amouren zwischen Besatzern und Besetzten, so wie in den Niederlanden während des Zweiten Weltkriegs, unerwünscht sind.

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Inmitten einer Hausruine tanzen Leute um ein Hochzeitspaar herum.
In guten wie in schlechten Zeiten: Liebesbeziehungen geben Trost und Halt während des KriegsBild: Nationaal Bevrijdingsmuseum (NL)
Ein Exponat der Ausstellung zeigt eine Anzeige, die für den Heiratsmarkt wirbt.
Eine Heiratsmarkt-Anzeige aus der AusstellungBild: Nationaal Bevrijdingsmuseum (NL)

Dass die Liebe immer wieder Hindernisse überwindet, zeigt eine aktuelle Ausstellung im niederländischen Befreiungsmuseum in Groesbeek. Dort wird das Thema anhand dokumentierter Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Niederländern während des Zweiten Weltkriegs aufgegriffen. Die Niederlande waren bis 1945 von Nazi-Deutschland besetzt.

Hochzeitskleid aus Fallschirmseide Stolz und ein bisschen wehmütig betracht Lilly van Angeren ein vergilbtes Jugendfoto von ihr. Es steht in einer Vitrine im Befreiungsmuseum von Groesbeek - als Teil der Ausstellung "Liebe in Zeiten von Krieg". 16 oder 17 Jahre muss sie damals gewesen sein, ein bildhübsches Mädchen mit funkelnden dunklen Augen und langen schwarzen Locken.

"Eigentlich sehe ich ja immer noch ganz gut aus", witzelt die heute 84-Jährige. "Je älter der Wein, desto besser", meint sie. Die Ausstellung zeigt anhand von Fotos, Dokumenten, Briefen und Filmaufnahmen, wie der Zweite Weltkrieg das Liebesleben einer ganzen Generation beeinflusst hat. Ein Hochzeitskleid aus Fallschirmseide ist zu sehen, kleine Zettelchen mit heimlichen Liebesschwüren. Auch die Musik ist passend: Das Lied "We will meet again" von der britischen Sängerin Vera Lynn ist zu hören.

Engel an einem schrecklichen Ort

Ein Soldat sitzt mit zwei jungen Frauen auf seinem Motorrad.
Die Ausstellung dokumentiert die Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und NiederländernBild: Nationaal Bevrijdingsmuseum (NL)

Lilly van Angeren ist gebürtige Deutsche, doch das Deutschsprechen hat sie verlernt, seit Kriegsende lebt sie in den Niederlanden. 1943 war sie als Angehörige der Sinti im Zigeunerlager Ausschwitz-Birkenau gelandet. Dort hatte sie sich in einen Mithäftling verliebt - einen jungen Medizinstudenten aus Warschau, blond, mit prächtigen blauen Augen. Zbyszek hieß er und konnte deutsch sprechen. Lilly nannte ihn schon bald Engel, er nannte sie Lillchen. Schmetterlinge im Bauch, sagt sie, das geht auch an einem der schrecklichsten Orte der Welt.

Wann immer es ging, trafen sich die beiden Verliebten an ihrem geheimen Ort, einer Bank hinter den Baracken: "Man konnte von da aus direkt in das Crematorium schauen, aber wir machten die Augen zu oder hatten nur Augen für uns, dann sahen wir das nicht. Und während wir uns leidenschaftlich küssten, schlugen die Flammen meterhoch in den Himmel", erinnert sich van Angeren.

Dank Engel, davon ist van Angeren überzeugt, konnte sie überleben. Denn Liebe macht stark. "Kopf hoch", habe Engel immer wieder zu ihr gesagt. Ein Jahr lang gaben sie einander Trost und Halt, dann wurden sie getrennt.

Befreite Liebe

Lilly van Angerens Geschichte ist nur eine von vielen, die in der Ausstellung erzählt werden. Auch die befreite Liebe ist ein Thema – sprich: die Liebe zwischen Niederländerinnen und alliierten Soldaten. Schätzungen zufolge sind rund 8000 Babies aus solchen Beziehungen entstanden. Für mehr als drei Mal so viel Nachwuchs sorgten die deutschen Soldaten während der fünfjährigen Besatzungszeit.

Weitere Infos zur Niederlande

"30.000 Babies waren das Resultat der Beziehungen zwischen Deutschen und niederländischen Frauen", sagt die Ausstellungskuratorin Marleen van Dam. Als "Moffenhure" oder "Deutsche Matraze" mussten sich die Frauen beschimpfen lassen, die sich mit Deutschen einließen. Von "horizontaler Kollaboration" war die Rede. Nach Kriegsende wurden diese Frauen an den Pranger gestellt und öffentlich kahlgeschoren: Dabei, so betont Kuratorin van Dam, könne sich niemand gegen Liebe wehren, sie lasse sich nicht verbieten.

Dass sich das schönste aller Gefühle auch in finstersten Zeiten nicht unterdrücken lässt, beweisen auch die Liebesgeschichten im Versteck, zwischen Menschen, die jahrelang auf kleinstem Raum untertauchen mussten. Oder die hohe Zahl der Ehen, die im KZ geschlossen wurden. Im niederländischen Durchgangslager Westerbork waren es 239.

Ein dunkel gekleidetes Hochzeitspaar tauscht verliebte Blicke aus.
Verliebte Blicke in den 1940er-JahrenBild: Nationaal Bevrijdingsmuseum (NL)

Wiedersehen nach 60 Jahren

Lilly van Angeren hat ihren Engel nie heiraten können. Nach Kriegsende suchte sie zwei Jahre vergeblich nach ihm. Dann beschloss sie, nach vorne zu schauen. Van Angeren heiratete einen Niederländer und bekam vier Kinder.

Es waren ihre Enkelkinder, die 60 Jahre später für ein Wiedersehen mit Zbyszek sorgten: Ein holländisches Fernsehprogramm stöberte ihn in Australien auf, wo auch er eine Familie gegründet hatte. So wie van Angeren hatte auch er nach langem Suchen aufgegeben:

"Es war so vertraut, als hätten wir uns nie aus den Augen verloren", erzählt sie. Dabei hatte sie ihn anfangs kaum wiedererkannt: "Engel, was bist du alt geworden!" rief van Angeren bei dem Wiedersehen.

Inzwischen schicken sich die beiden wieder Briefe und tauschen Fotos von Kindern und den Enkelkindern aus. Manchmal bedauert es van Angeren schon, dass sie sich erst wiedersehen konnten, nachdem jeder ein eigenes Leben aufgebaut hatte: Aber, so sagt sie, das sei eben Schicksal - und das Schicksal gebe nicht auf alles eine Antwort: "Das Schicksal ist stumm."

Die Ausstellung ist noch bis September 2009 im Befreiungsmuseum im niederländischen Groesbeek zu sehen.