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Lieferdienste in Zeiten von COVID-19

26. März 2020

Das Coronavirus legt das Leben in Städten weltweit lahm - bis hin zu Ausgangssperren. Die Menschen bleiben notgedrungen in ihren Wohnungen, viele bestellen sich ihr Essen. Die Fahrer liefern - und warnen vor Risiken.

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Fahrer eines Lieferdienstes in München
Fahrer eines Lieferdienstes in MünchenBild: imago images/Ralph Peters

Aus Angst vor der Ansteckung mit dem Coronavirus bleiben immer mehr Berliner zu Hause in selbstgewählter Isolation. Unterdessen fährt Martin von Restaurant zu Restaurant. Er arbeitet für den internetbasierten Lieferdienst Lieferando und bringt das Essen von den Restaurants in die Wohnungen der Kunden.

Macht er sich Sorgen wegen einer möglichen Ansteckung? "Nicht sehr", sagt er. "Ich bin ja jung." Dennoch trägt er ein Halstuch um Mund und Nase gewickelt, als Vorsichtsmaßnahme. Schließlich weiß er nicht, wie schlimm es noch werden kann.

Neue Hygiene-Standards

Lieferdienste haben auf die jüngste Entwicklung mit neuen Hygiene-Vorschriften reagiert, aber auch mit Anreizen für Kunden, Lieferfahrer und Restaurants, die die Lieferdienste weiter nutzen sollen.

Takeaway.com, die Muttergesellschaft von Lieferando, Marktführer für netzbasierte Lieferdienste in Deutschland, reagierte auf den Corona-Ausbruch mit einer Erklärung für Kunden und Mitarbeiter. Die Firma propagiert "kontaktlose Lieferungen": Die Kunden zahlen bargeldlos im Voraus, die Fahrer stellen die Lieferung vor der Haus- oder Wohnungstür der Kunden ab und treten dann zurück - in sicherem Abstand. Das Vorgehen ist jedoch nicht bindend, und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes konnte man sich auf der Lieferando-Webseite weiter für Barzahlung entscheiden.

Ganz kontaktlos funktionieren die Essenslieferungen meist nicht
Ganz kontaktlos funktionieren die Essenslieferungen meist nichtBild: picture-alliance/Bildagentur-online/Joko

Internationale Lieferdienste wie Grubhub oder UberEats, die zusammen mehr als 50 Prozent des US-Marktes beherrschen, berechnen unabhängigen Restaurants vorläufig keine Liefergebühren mehr. Die beiden Firmen bieten in ihren Apps keine kontaktlose Lieferung an, schlagen aber vor, dass Kunden einen Hinweis an den Fahrer hinterlassen sollen, wenn sie die Bestellung vor der Tür abstellen sollen.

Italienische Lieferfahrer am Ende ihrer Leistungsfähigkeit

Ob diese Lieferkette hält, ist aber offen. In Italien sieht es nicht so aus. Dort sind zur Zeit mehr Menschen mit COVID-19 infiziert als in jedem anderen Land der Welt. Die Regierung hat die Schließung nicht lebenswichtiger Unternehmen beschlossen; Restaurants dürfen jedoch weiter für die Kunden von Lieferdiensten kochen. Damit werden die Fahrer der Dienste für Restaurants und Kunden immer wichtiger. Aber die Kuriere - Radfahrer und Autofahrer - kritisieren dieses Vorgehen als ungesund für die Kunden und für sie selbst.

Deutschland | Lieferando| Fahrradkurier
Bild: picture alliance/dpa

"Lieferdienste können gar nicht für die Sicherheit des Systems garantieren", sagt Angelo Avelli von Deliverance Milan, eine Lieferfahrer-Genossenschaft im schwer getroffenen Mailand. Er weist darauf hin, dass die größten Lieferdienste in Italien - Deliveroo, UberEats, Just Eat und Glovo - als Drittplattformen fungieren, die keinerlei persönlichen Kontakt zu ihren Fahrern haben - und so gut wie keinen Einfluss auf deren Hygieneverhalten.

UberEats, eine Tocherfirma von Uber, bietet den Fahrern einen kleinen Zuschuss für den Kauf von Hand-Desinfektionsmitteln und Schutzmasken. "Wo sollen wir die denn herbekommen?", fragt Avelli. "Im Augenblick ist es völlig unmöglich, diese Dinge zu kaufen."

Viele Lieferdienste bieten darüber hinaus finanzielle Hilfe für erkrankte Mitarbeiter. UberEats bietet 14 Tage Lohnfortzahlung für "Fahrer und Lieferpersonal, die positiv auf COVID-19 getestet wurden oder von einer Gesundheitsbehörde unter Quarantäne gestellt wurden".

"Sushi ist kein Menschenrecht!"

Den Vertretungen der italienischen Lieferfahrer geht das nicht weit genug. Deliverance Milan organisiert zusammen mit ähnlichen Genossenschaften in Rom und Bologna eine Kampagne unter dem Motto "Sushi ist kein Menschenrecht!" Sie fordern, dass die Regierung die Auslieferung von nicht-essentiellen Essensbestellungen stoppt und es möglich macht, dass die Fahrer stattdessen ein Grundeinkommen beziehen, das dem von anderen Arbeitnehmern entspricht, die wegen der Krise ihren Job verloren haben - etwa 600 Euro.

Ermano Steri, Mitbesitzer der Bottega Nr. 6, bereitet eine Lieferung vor
Ermano Steri, Mitbesitzer der Bottega Nr. 6, bereitet eine Lieferung vorBild: DW/A. Essif

Die Genossenschaften diskutieren auch Streiks, aber Avelli gibt zu, dass ein Streik unter den derzeitigen Umständen schwierig zu organisieren wäre. "Wenn wir nicht arbeiten oder einkaufen, stehen wir alle unter Quarantäne", sagt er und fügt hinzu, dass eine Protestaktion illegal wäre. Vorläufig wollen sie mit einer Online-Informationskampagne Druck auf die Regierung machen.

"Die Firmen erzählen eine andere Geschichte", sagt Avelli. "Sie stellen die Fahrer als Helden dar, die Glück und Freude zu den Menschen in Quarantäne bringen, aber das ist verrückt. Weil es sehr gefährlich für alle ist."

Ist geliefertes Essen sicher?

Überall auf der Welt ist es das Gleiche. Brittany Smith aus Chicago arbeitet seit einer Woche von ihrer Wohnung aus und hat in dieser Zeit zwei- oder dreimal Essen beim Lieferdienst bestellt. "Am Anfang haben wir noch selbst gekocht", sagt sie lachend. "Aber dann wurden wir zu faul dazu."

Über ihr Smartphone bekam sie Angebote für gebührenfreie Lieferungen von UberEats und DoorDash, zusammen mit der Zusicherung, dass die Firmen "Vorsichtsmaßnahmen" gegen das Coronavirus ergreifen würden. Smith entschied sich für die kontaktlose Lieferung, doch durch ein Missverständnis in der Kommunikation sah sie sich an der Wohnungstür plötzlich dem Lieferfahrer gegenüber, der - soweit sie sehen konnte - keinerlei Schutzkleidung trug. "Ich war besorgt", sagt sie. Aber einen Grund zur Panik sieht sie nicht.

Die Meinung der Expertin

Auf die Frage, ob Restaurantlieferungen in Zeiten einer Pandemie sicher sein, gibt Karin Mölling, Virologin am Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik eine klare Antwort: "Es ist auf jeden Fall besser als zu verhungern." Sie erklärt weiter: "Die Möglichkeit, dass sich ein Virus an irgendeine Oberfläche heftet, gibt es immer; aber ich glaube nicht, dass es Grund zur Panik gibt." Und sie weist darauf hin, dass Menschen in selbstgewählter Isolation, die für sich selbst kochen, vorher einkaufen müssen und dabei auch in Kontakt mit dem Virus kommen können.

Die einzige Möglichkeit

Für kleine Restaurants in Europa und den USA stellt das Angebot der Lieferung oft die einzige Möglichkeit dar, überhaupt im Geschäft zu bleiben. Ermano Steri, Mitbesitzer der "Bodega Nr. 6" in Berlin, sagt, dass er nie über Lieferangebote nachgedacht habe, bis die Coronakrise in Deutschland ankam. Die Besitzer des kleinen italienischen Restaurants hinken ein wenig hinter der Konkurrenz her, aber sie haben sich inzwischen als Anbieter bei Lieferando registrieren lassen. Einstweilen liefern sie ihre Bestellungen mit einem Kleinwagen selbst aus.

"Wir tun alles, um die nächsten Wochen oder Monate geschäftlich zu überleben", sagt Steri. "Wir können nicht einfach warten, bis alles wieder wird wie zuvor."