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Den Westen erobern

Jefferson Chase (mho) 6. September 2007

Deutschlands neue Linkspartei hat inzwischen schon mehr als 60.000 Mitglieder. Aber im Westen fehlt es noch immer an Unterstützung. DW-WORLD.DE hat die Parteibasis in Berlin gefragt, wie sie das ändern möchte.

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Ein Ahänger der Linkspartei schwenkt eine große rote Flagge.
Die Fahne der im Juni gegründeten Partei "Die Linke"Bild: AP

An einem nasskalten Abend stehen Klemens Domning und Kaspar Scholemann rauchend vor einer Schule und hoffen auf den guten Ausgang einer Diskussionsrunde. Es geht um den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die Veranstaltung findet im Westberliner Bezirk Wedding statt, einem Teil Berlins, in dem die Linkspartei ihre Basis ausbauen will.

"Es geht darum, sich besser in einer Gegend zu verankern, also mehr Mitglieder in Westdeutschland zu gewinnen," sagt der 27-jährige Student Scholemann. "Die Meinungen, welche Sektoren der Gesellschaft wir ansprechen sollten, gehen allerdings auseinander. Manche favorisieren das bürgerliche oder ökologische Lager, andere denken, wir sollten uns für die Fragen des Sozialstaats stark machen."

Quo vadis ?

Oskar Lafontaine und Lothar Bisky unterhalten sich auf einem Parteitag.
Oskar Lafontaine, links, und Lothar Bisky unterhalten sichBild: AP

Nach den vorangegangenen Erfolgen bei Bundestags- und Landtagswahlen kommt für die Linken die Frage auf, ob sie sich als Partei, die für ihre kompromisslosen Ansichten bekannt ist, überhaupt auf die unvermeidbaren Kompromisse des Regierens einlassen kann oder sogar muss.

"Man muss den Weg des Kompromisses und des Pragmatismus gehen," sagt Domning, ein freier Journalist von Mitte fünfzig. "Aber man sollte sich auch nicht zu billig verkaufen. Man muß seinen Prinzipien treu bleiben und lernen Nein zu sagen."

"Man muß nicht an der Macht sein, um seinen Forderungen Gewicht verleihen zu können", fügt Scholeman an. "Ich glaube, dass eine Koalition mit der SPD, bei ihrer Politik der drastischen Kürzungen im Sozialsystem, sehr schwer sein würde. Deshalb glaube ich, dass die Linke in absehbarer Zukunft in der Opposition bleiben sollte."

Eine neue Form der Leibeigenschaft ?

In der Aula der Schule hören rund 50 Leute den drei Diskutierenden zu, die Deutschlands Beteiligung an der ISAF-Mission in Afghanistan für aussichtslos und deshalb kontraproduktiv halten. Diese Haltung richtet sich direkt gegen die SPD-Politik. Genau wie das Beharren der Linkspartei, die Reformen am Sozialsystem zurück zu nehmen, die unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder begonnen und durch die große Koalition fortgesetzt worden sind.

Diese Kürzungen, sagen Mitglieder der Linkspartei, haben das deutsche Sozialsystem aus der Bahn geworfen. "Ich möchte, dass in Zeiten der Globalisierung, wenn Menschen dazu gezwungen sind, zu skandalösen Löhnen zu arbeiten, dass die soziale Fairness zurückkehrt," sagt Domning. "Das ist doch sonst eine neue Form der Leibeigenschaft."

"Der Staat muss wieder eine aktive Rolle einnehmen und aufhören, sich von den Lobbyisten abhängig zu machen," meint Domning weiter. "Man lernt die Sozialhilfeempfänger nicht am Buffettisch kennen. Wir aber lernen sie kennen und wir wollen benachteiligten Menschen ermöglichen, wieder an der Gesellschaft teilzuhaben."

Konservative profitieren

Delegierte der Linkspartei heben Stimmzettel.
Delegierte der neuen Partei "Die Linke" stimmen in Berlin auf dem Gründungsparteitag der Partei ab.Bild: PA/dpa

Für die meisten Westdeutschen bleibt die Linkspartei ein Organ der Ostdeutschen, die von den Folgen der Wende frustriert sind. Aber viele erwarten auch, dass die Partei zunehmend Mittellose aus den westdeutschen Bundesländern anspricht und damit Wähler vom linken Rand der SPD abschöpft. "Die Partei wird auf ihrem Kurs bleiben und sich selbst als linke Alternative in der Debatte um den Wohlfahrtsstaat darstellen," sagt Oskar Niedermayer, Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. "Sie werden weiterhin alle anderen Parteien als neoliberal deklarieren."

Ironischerweise hat der Aufstieg der Linkspartei den Konservativen eine zeitweilige Atempause verschafft. "Die CDU/CSU profitiert kurzzeitig von dem Fakt, dass sich die SPD einem möglichen Koalitionspartner verschließt", sagt Niedermayer. "Das wird sich aber wahrscheinlich noch ändern."

In der Aula in Berlin-Wedding nickt das Publikum bestätigend, als einer der Redner die Äußerung des ehemaligen SPD-Verteidigungsministers verspottet, das militärische Engagement in Afghanistan sei grundlegend für Deutschlands nationale Sicherheit. Hier denkt keiner darüber nach, das Kriegsbeil mit den Sozialdemokraten zu begraben. Und für die Basis der Linkspartei ist diese Situation ganz ausgezeichnet.