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Lissaboner Chaostage

Jochen Faget, Lissabon10. November 2015

Das portugiesische Parlament hat Ministerpräsident Passos Coelho das Vertrauen verweigert. Wie geht es weiter? Die Parteien stehen vor einer Quadratur des Kreises. Aus Lissabon berichtet Jochen Faget.

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Parlamentsgebäude in Lissabon (Foto: DW/J.Faget)
Bild: DW/J.Faget

Nur zehn Tage dauerte die zweite Amtszeit des portugiesischen Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho. Am Dienstag war es mit der Koalitionsregierung der rechtsliberalen PSD und der eher rechtsaußen stehenden CDS-PP schon wieder vorbei. Die Sozialisten von der PS, die Kommunisten und die Linkspartei 'Bloco de Esquerda' lehnten mit ihrer Mehrheit im Parlament das Regierungsprogramm der Rechten ab und wollen eine neue Regierung bilden. Eine Regierung, die mit dem harten Sparkurs in Portugal Schluss machen soll.

Dass sich da etwas zusammenbraute, war schon am Tag nach den Wahlen vom 4. Oktober klar: Mit 107 von 230 Sitzen wurde das Regierungsbündnis zwar die stärkste politische Kraft im neuen Parlament, die Mehrheit jedoch erreichten die Parteien der Linken mit 122 Abgeordneten. Schon als Präsident Cavaco Silva traditionsgemäß Passos Coelho als Vertreter der stärksten Fraktion mit der Regierungsbildung beauftragte, war klar, dass das nicht klappen würde. Da konnte der Präsident noch so oft an die Sozialisten und die Regierung appellieren, sich irgendwie zusammenzuraufen. PS-Chef António Costa handelte statt dessen ein Duldungsabkommen mit den anderen Linksparteien aus: Weniger Austerität gegen deren Unterstützung für eine Minderheitsregierung der PS. "Eine stabile Lösung für die nächsten Jahre", versicherte Costa und wartet jetzt darauf, vom Präsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden.

Ein unmöglicher Spagat

"Sicher wäre eine Linksregierung nicht der Weltuntergang", erklärt der angesehene Wirtschaftswissenschaftler João Duque. "Aber auf Dauer wird sie Probleme bekommen." Denn die Sozialisten bekennen sich einerseits zu den Sparregeln des Euro, den sie auf keinen Fall verlassen wollen. Andererseits wollen sie besonders niedrige Löhne und Renten erhöhen und den Sozialstaat wieder ausbauen. Ein unmöglicher Spagat, meint Wirtschaftsprofessor Duque: "Ich sehe nicht, wie das ohne Steuererhöhungen gemacht werden kann."

Die schrittweise Abschaffung einst beschlossener Zusatzsteuern und -abgaben, die schnelle Erhöhung des staatlich garantierten Mindestlohns auf 600 Euro, mehr für bedürftige Rentner - all das wird Geld kosten, viel Geld, das Portugal eigentlich nicht hat. "Eine Minderheitsregierung der Sozialisten, die von den anderen Linksparteien unterstützt wird, muss sich an der Quadratur des Kreises versuchen", sagt José Maria Castro Caldas vom Zentrum für Soziale Studien (CES) der Universität Coimbra: Den Sparkurs zurückfahren, den staatlichen Gesundheitsdienst und die Erziehung ausbauen seien die Hauptziele; alles jedoch ohne das Haushaltsdefizit und die Schulden des Landes zu erhöhen. Da seien die Spielräume einer linken Regierung extrem eng. Wie sie es trotzdem schaffen will, lässt sich aus den Aussagen der Spitzenpolitiker der linken Parteien erschießen: Steuererhöhungen ja, aber nur für besonders Reiche und Unternehmen.

José Maria Castro Caldas vom Zentrum für Soziale Studien (CES) der Universität Coimbra (Foto: DW/J.Faget)
José Maria Castro Caldas: "Quadratur des Kreises"Bild: DW/J.Faget

"Die Rechnung bezahlt der kleine Mann"

"Die Erfahrung hat gezeigt, dass das nicht klappt", hält Aurora Teixeira, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Porto, dagegen. "Die Reichen bringen ihr Geld in Steuerparadiese, Unternehmen verlegen ihren Firmensitz in Niedrigsteuerländer und die Rechnung bezahlen muss der kleine Mann, der sich nicht wehren kann." Dazu komme noch ein grundsätzliches Problem: Niemand wisse, ob die Wähler der Sozialistischen Partei ihren Parteichefs überhaupt ein Mandat erteilt hätten, mit Unterstützung der Kommunisten oder des Linksblocks zu regieren.

Zumindest innerparteilich haben die Sozialisten diese Diskussion mit überwältigender Mehrheit und mit ja beantwortet. Bleibt abzuwarten, ob Portugals Präsident Cavaco Silva die Sache genauso sieht. Denn der muss jetzt entscheiden, ob er wirklich den Sozialistenchef Costa mit der Regierungsbildung beauftragt. Seine Alternative wäre, den bisherigen konservativen Ministerpräsidenten geschäftsführend im Amt zu halten, bis im Januar ein neuer Staatspräsident gewählt wird. Der könnte dann Neuwahlen ausschreiben.

Sozialistenchef António Costa (Foto: DW/J.Faget)
Der Chef der Sozialisten: António CostaBild: DW/J.Faget

Es könnte auf Neuwahlen hinauslaufen

Cavaco Silvas Wunsch, die Kommunisten und den Linksblock von der Macht fernzuhalten, ist allgemein bekannt. Noch bei der Einsetzung der jetzt gescheiterten Rechtsregierung warnte er vor Chaos und Instabilität, sollte die Linke an die Macht kommen. Sozialisten, Kommunisten und Linksblock dagegen versprechen verantwortungsvolle Politik und eine handlungsfähige Regierung für die nächsten vier Jahre, abgesichert durch Verträge zwischen den Parteien. Sowohl die Kommunisten, als auch der Linksblock haben sich schriftlich verpflichtet, eine Minderheitsregierung der Sozialisten nicht zu stürzen.

Das würden die Sozialisten mittelfristig jedoch ganz allein besorgen, findet der Wirtschaftsprofessor João Duque: "Die PS würde sich aufreiben, wenn sie eine von links geduldete Minderheitsregierung bildet." Denn eventuelle Erfolge würden Kommunisten und Linksblock für sich in Anspruch nehmen, unpopuläre Maßnahmen dagegen den Sozialisten anlasten. Das vorzeitige Ende einer Linksregierung sei also sicher, die Portugiesen müssten auf alle Fälle vor dem Ablauf der Legislaturperiode wieder an die Urnen. Dann stünden die Chancen der Rechten nicht schlecht, wieder an die Macht zu kommen. Jetzt aber muss Präsident Cavaco Silva erst einmal entscheiden, wer Portugals nächster Regierungschef wird. Und das kann einige Tage dauern.