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Literaturkritiker Reich-Ranicki tot

18. September 2013

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Das meldete der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher auf Twitter. Reich-Ranicki galt als Deutschlands "Literaturpapst".

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Reich-Ranicki spricht am Holocaust-Gedenktag 2012 im Bundestag (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

"Wir trauern alle. Noch vor 2 Stunden habe ich ihn besucht.", schrieb Schirrmacher in einem Tweet. Marcel Reich wurde am 2. Juni 1920 in Polen geboren. Mit seinen Eltern zog er im Alter von neun Jahren nach Berlin. Bereits als Schüler entdeckte er seine Liebe zur Literatur. Im März 2013 hatte der seit längerem gesundheitlich angeschlagene Reich-Ranicki seine Krebserkrankung öffentlich gemacht.

1938 wurde Reich-Ranicki in Hitler-Deutschland aufgrund seiner jüdischen Abstammung verhaftet und nach Polen ausgewiesen. Ab Ende 1940 lebe er zwangsweise im Warschauer Ghetto, in dessen Verwaltung er als Übersetzer tätig war. Zugleich war er Mitarbeiter des Ghetto-Untergrundarchivs und nahm Anfang 1943 an einer Widerstandsaktion der Jüdischen Kampforganisation teil.

Tod eines Jahrhundertzeugen

Im Februar 1943, kurz vor der Auflösung des Ghettos, gelang ihm mit seiner Frau Teofila, die er im Juli 1942 geheiratet hatte, die Flucht. Beide überlebten den Holocaust im Untergrund. Reich-Ranickis Eltern und Bruder wurden dagegen von den Nazis ermordet, sein Schwiegervater nahm sich im Januar 1940 das Leben und auch die Schwiegermutter überlebte den Genozid nicht.

Am 27. Januar 2012 hatte Marcel Reich-Ranicki seinen letzten großen öffentlichen Auftritt: Er sprach bei der Holocaust-Gedenkstunde im Deutschen Bundestag (Artikelbild). Sein persönliches Schicksal während der Nazi-Zeit beschrieb er in seiner Biographie "Geschichte eines Lebens".

Die Literaturkritiker der ZDF-Sendung "Das literarische Quartett": Von links) die Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek, Ulrich Greiner und Marcel Reich-Ranicki. (Archivbild von 1991, dpa)
Das "Literarische Quartett", rechts Reich-RanickiBild: picture-alliance/dpa

Nach Jahren als Redakteur in Polen siedelte Reich-Ranicki 1958 nach Deutschland über. Erst ab dieser Zeit benutzte er seinen Doppelnamen. Von 1960 an arbeitete er für die Wochenzeitung "DIE ZEIT" und erwarb sich als scharfzüngiger Literaturkritiker einen international geachteten Namen. Später schrieb er für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Seine Popularität konnte er durch die Leitung der ZDF-Büchersendung "Das Literarische Quartett", die sich durch eine lebhafte und kontroverse Diskussionskultur auszeichnete, noch steigern.

Bis ins hohe Alter gab der wortgewaltige "MRR" in der Literaturszene den Ton an. Bis zuletzt veröffentlichte er Kolumnen in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Legendär wurden seine öffentlichen Kontroversen mit prominenten Schriftstellern wie Günter Grass oder Martin Walser. Im Oktober 2008 entfachte er eine Debatte über das Niveau im deutschen Fernsehen, als er im ZDF vor laufenden Kameras den Deutschen Fernsehpreis ablehnte und den "täglichen Blödsinn" im TV kritisierte.

In Belin äußerten sich Politiker aller Parteien betroffen über den Tod des Literaturkritikers. Bundespräsident Joachim Gauck erklärte, mit Reich-Ranicki verliere die deutsche Literatur ihren leidenschaftlichsten Streiter und ihren entschiedensten Anwalt. Reich-Ranickis Leben spiegele eindrücklich deutsche und europäische Geschichte. "Er, den die Deutschen einst aus ihrer Mitte vertrieben haben und vernichten wollten, besaß die Größe, ihnen nach der Barbarei neue Zugänge zu ihrer Kultur zu eröffnen", betonte Gauck.

mm/wl (dpa, afp, rtr)