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Lobbyismus in Brüssel

Christoph Hasselbach5. September 2012

Die Organisation Lobbycontrol fordert mehr Transparenz und Kontrolle für Lobbyismus in der EU. Die aktualisierte Neuauflage ihres Stadtführers "Lobbyplanet" soll Bürgern und Journalisten den Durchblick verschaffen.

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Geschäftsmänner schütteln Hände vor Europaflagge (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia

Immer mehr Politik wird in Brüssel statt in den Einzelstaaten gemacht. Woran man das sieht? An der Zahl der Brüsseler Lobbyisten, meint der liberaldemokratische britische Europa-Abgeordnete Graham Watson: "Wir haben mehr Lobbyisten als in Washington. Die haben erkannt, welche Macht hier ausgeübt wird." Die offiziellen Zahlen der EU sind fast zehn Jahre alt. Bereits damals ging man von 15.000 bis 30.000 Lobbyisten aus. Es dürften heute eher mehr geworden sein. Niemand weiß, wie viele es genau sind. Es gibt zwar inzwischen ein Lobbyregister. Aber ein Eintrag ist freiwillig. Das muss sich ändern, findet Nina Katzemich von Lobbycontrol. Sie will mehr Transparenz und Kontrolle der Lobbyisten. Dabei ist sie nicht gegen Lobbyarbeit an sich. Sie stört sich aber an einem Ungleichgewicht: "Die Lobbyisten sprechen immer von einem Markt der Interessen, auf dem alle gleichberechtigt ihre Interessen ins Gespräch bringen können. Doch so ist es nicht. Gerade in Brüssel hat das Interesse mit dem größten Budget auch einen klaren Vorteil, im Gespräch zu sein." Große Wirtschaftsverbände hätten daher ein starkes Übergewicht gegenüber Organisationen, die das Gemeinwohl im Auge haben, glaubt Katzemich.

Lobbyismus funktioniert am besten getarnt

Nina Katzemich und ihr Kollege Timo Lange haben einen Pressespaziergang kreuz und quer durchs Brüsseler Europaviertel organisiert, um zu zeigen, wo und wie Lobbyismus in der EU funktioniert. Am wirkungsvollsten ist er da, wo er nicht als Lobbyismus wahrgenommen wird, sagen die beiden Aktivisten. Manche neutral klingende Denkfabrik etwa sei eine verkappte Lobbyorganisation, bezahlt von bestimmten Firmen. Und auch die Einflussnahme auf die Europa-Abgeordneten gehe oft sehr verschlungene, indirekte Wege. Jedenfalls läuft Lobbyismus in Brüssel wie geschmiert, glaubt Lange. Das sehe man beispielsweise an dem gescheiterten Plan der Kommission, eine Ampelkennzeichnung für Lebensmittel einzuführen: "Die Lebensmittelindustrie hat eine Milliarde Euro mobilisiert, um die Lebensmittelampel zu verhindern." Und gerade in der Finanzkrise seien die Banken und ihre Lobbyorganisationen zu Hochform aufgelaufen, um eine stärkere Regulierung der Branche auszubremsen.

Vom Kommissionsposten zum Unternehmensberater

Eine besondere Form des Lobbyismus prangert Lobbycontrol auch bei der EU-Kommission an: Es entstehe ein gefährlicher Interessenskonflikt, wenn Kommissare allzu früh nach ihrer aktiven Zeit in die Wirtschaft wechselten. "Fünf von dreizehn Kommissaren aus der letzten Kommission sind in lukrative Tätigkeiten in der Privatwirtschaft gegangen", kritisiert Katzemich. Finanzstarke Lobbyisten könnten so "direkte Einsichten und Insiderwissen von der EU-Bürokratie und direkte Kontakte zu hohen Stellen der EU-Bürokratie bekommen." Nach massiver Kritik hat die Kommission beschlossen, die Karenzzeit für ehemalige Kommissare von einem auf anderthalb Jahre auszuweiten. Lobbycontrol fordert drei Jahre Auszeit und dass ein ehemaliger Kommissar nicht nur Lobbyarbeit im Bereich seines früheren Ressorts meiden müsse, sondern generell.  

Ein selbsterklärter Lobbyist

Doch wie reagieren die Lobbyisten auf die Vorwürfe? Andreas Ogrinz bekennt sich ganz offen dazu, Lobbyist zu sein, und zwar für den Bundesarbeitgeberverband Chemie. Lobbyarbeit ist für ihn legitime Interessensvertretung. Ihn stört, dass viele Kritiker einseitig seien: "Auch Umweltlobbyisten sind Lobbyisten. Das wird manchmal in der öffentlichen Debatte etwas unterbelichtet. Es sind eben nicht nur die Industrie- oder Arbeitgebervertreter, die Anliegen haben, sondern natürlich auch Umweltverände oder Menschenrechtsaktivisten." Ogrinz ist allerdings genauso wie Lobbycontrol für Offenheit in der Lobbyarbeit. Und wo liegt für ihn die moralische Grenze des Lobbyismus? "Wenn man zum Beispiel einen Abgeordneten auf eine Reise einlädt oder ihm irgendwelche geldwerten Vorteile verspricht, ist das ganz klar illegitime Einflussnahme, und das ist dann für mich kein Lobbyismus mehr. Das ist dann Korruption", sagt Ogrinz. Lobbycontrol hätte mit dieser Einstellung wahrscheinlich wenig Probleme. Die Organisation prangert vor allem versteckten Lobbyismus an. Dessen Methoden werde immer raffinierter. Die Firmenschilder an Brüsseler Bürogebäuden können jedenfalls oft nur Eingeweihte richtig deuten.

Andreas Ogrinz vom Bundesarbeitgeberverband Chemie (Foto: Christoph Hasselbach/DW)
Andreas Ogrinz vom Bundesarbeitgeberverband ChemieBild: DW
Ein Mitarbeiter von Lobbycontrol beim Brüsseler Lobby-Spaziergang (Foto: Lobbycontrol)
Ein Mitarbeiter von Lobbycontrol beim Brüsseler Lobby-SpaziergangBild: LobbyControl