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Liberalisierung für mehr Wachstum

Andreas Noll17. Februar 2015

Mehr Sonntagsarbeit und Konkurrenz in geschützten Berufen. Das französische Parlament stimmt über ein Wachstums- und Beschäftigungsgesetz ab. Mit der "Loi Macron" könnte sich entscheiden, ob das Land reformierbar ist.

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Nationalversammlung in Frankreich - Foto: Yoan Valat (EPA)
Bild: picture-alliance/dpa/Yoan Valat

Der große Wurf soll es sein, aber einer, der mit kleinen Schritten erreicht wird. Schon der Weg zur "Loi Macron" war lang und steinig. Tagelang wurde in der Nationalversammlung diskutiert. Es gab mehr als 2800 Änderungsanträge für das Gesetzespaket, das am Dienstag beschlossen werden soll. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, nach dem die Reform benannt ist, dürfte dann ein Stein vom Herzen fallen. Auch die Partner in der Europäischen Union haben lange auf eine große Reform von Staatspräsident François Hollande gewartet.

Anders als die Radikalreform des Arbeitsmarktes durch die Hartz-Gesetze in Deutschland beinhaltet die "Loi Macron" aber keine radikalen Änderungen für weite Teile der Gesellschaft. Weder die 35-Stunden-Woche noch der Kündigungsschutz oder der Mindestlohn werden in Frankreich angetastet. Stattdessen setzt die Regierung mit mehr als 100 Einzelmaßnahmen auf kleine Liberalisierungsschübe - in Branchen, die zum Teil noch Privilegien aus der Revolutionszeit genießen. Ob Notare, Anwälte oder Gerichtsvollzieher: Vertreter geschützter Berufe müssen in Zukunft mit mehr Konkurrenz rechnen. Diese Öffnung und die Ausweitung der Sonntagsarbeit sollen der am Boden liegenden französischen Wirtschaft neue Wachstumsimpulse verleihen. Denn auch im dritten Jahr von Hollandes Präsidentschaft leidet Frankreich unter einer Rekordarbeitslosigkeit.

Ein Linker soll liberale Reformen durchsetzen

Mit welcher Mehrheit der erst 37 Jahre alte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron sein mehr als 200 Artikel umfassendes Gesetzespaket durchs Parlament bringen kann, zählt zu den spannenden Fragen der Reform, den der linke Flügel der sozialistischen Regierungspartei heftig kritisiert. Mit der Entscheidung für die "Loi Macron" sind Präsident und Regierung ein hohes Risiko eingegangen. Zwar liegen entsprechende Pläne für ein Aufbrechen des verkrusteten Arbeitsmarkts schon seit Jahren in den Schubladen der Ministerien, aber Vorstöße für umfassende Arbeitsmarkt- und Sozialreformen sind in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert. Ob Jacques Chirac in den 1980er Jahren, Alain Juppé in den 1990er Jahren oder Dominique de Villepin nach der Jahrtausendwende - keiner der drei konservativen Premierminister konnte sich am Ende gegen den Widerstand der Straße durchsetzen.

Porträt Emmanuel Macron - Foto: Jacky Naegelen (Reuters)
Früher Investmentbanker, heute linker Reformer: Wirtschaftsminister Emmanuel MacronBild: Reuters/J. Naegelen

Sogar der reformfreudige Vorgänger von François Hollande, der Konservative Nicolas Sarkozy, ließ Empfehlungen einer von ihm einberufenen Kommission schnell in der Schublade verschwinden. Dass genau sieben Jahre nach der Übergabe dieses Expertenberichts an Sarkozy nun einige Vorschläge doch noch Gesetzeskraft erlangen könnten, ist dabei kein Zufall. Der heutige sozialistische Wirtschaftsminister arbeitete damals für den Vorsitzenden der Reformkommission. Die Wahl von Emmanuel Macron zum Wirtschaftsminister im vergangenen Sommer galt Beobachtern denn auch als deutliches Signal für eine mutigere Reformpolitik in Paris. Und die Chancen stehen gut, dass der 37-Jährige sein Ziel erreicht.

Reform nach dem Konsensprinzip

Zwar ist die Kritik bei Gewerkschaften und Berufsverbänden groß, aber eine Massenbewegung aus dem Volk hat sich bislang nicht gebildet. Zum einen sorgt die große Zahl an Einzelmaßnahmen dafür, dass sich die Kritiker an vielen Fronten verkämpfen. Zum anderen wagt die Regierung keine radikalen Schritte und legt Wert auf soziale Ausgleichsmaßnahmen.

Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut Ludwigsburg - Foto: dfi
Frankreich-Experte Seidendorf: "Großer Schritt, keine Revolution"Bild: dfi

"Wenn man das Beispiel der Sonntagsarbeit anschaut", so Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, "wird es flächendeckend ermöglicht, sonntags die Läden zu öffnen, sonntags zur Arbeit zu gehen, andererseits aber kann die Sonntagsarbeit erst nach betriebsinternen Vereinbarungen stattfinden, bei denen der Betriebsrat ein Mitspracherecht hat". Auch die Abgeordneten hatten im Laufe der Beratungen einen für französische Verhältnisse großen Einfluss auf das Gesetz - sogar ein eigener Parlamentsausschuss wurde dafür eingerichtet.

Handlungsdruck bleibt groß

Seidendorf sieht in der "Loi Macron" einen "großen Schritt", aber keine "französische Revolution". Es blieben in Frankreich viele Bereiche mit Reformbaustellen, konstatiert der deutsche Wissenschaftler. "Die Verwaltungslast ist noch sehr hoch, Frankreich hat weiterhin ein komplexes Steuersystem, das vereinfacht werden könnte, und in der Liberalisierung des Arbeitsmarktes könnte auch noch viel geschehen."

Gut möglich allerdings, dass Hollande und und sein Regierungschef Manuel Valls, die durch ihre umsichtige Reaktion auf die Pariser Terroranschläge in der Bevölkerung an Zustimmung gewonnen haben, von weiteren großen Projekten erst einmal absehen. Zumal nach der parlamentarischen Abstimmung über das Beschäftigungsgesetz für die Regierung die Arbeit noch weitergeht. Viele Gesetzesartikel verlangen nämlich Ausführungsanordnungen durch die Regierung, deren genaue Ausformulierung wiederum jeweils neuen politischen Streit entfachen dürfte. "Im Paket", so formuliert es Frankreich-Experte Seidendorf, "ist genug Material, um den Rest der Amtszeit von Hollande mit Ausführungen und Umsetzungen zu füllen".