1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lost in Translation

Christoph Hasselbach12. September 2008

Unsere wöchentliche Kolumne "Mail aus..." kommt von unserem neuen Korrespondenten in Brüssel, Christoph Hasselbach. Direkt zu Beginn seiner Zeit dort musste er zusammen mit seiner Frau eine Grundsatzentscheidung treffen.

https://p.dw.com/p/FGxU
"Männeken Pis" in Brüssel (4.5.1995)
Die Brunnenfigur "Männeken Pis" in der belgischen Hauptstadt BrüsselBild: picture-alliance / dpa

Guten Morgen, bonjour, goede morgen oder good morning? Was soll unser sechsjähriger Sohn sagen, wenn er den Lehrer begrüßt? Brüssel hat ein reichhaltiges Schulangebot. Die Einschulung war damit Gelegenheit, die sprachliche Grundsatzentscheidung zu treffen. Naheliegend bei einer deutschen Kindergartenvergangenheit und deutschen Eltern ist natürlich die deutsche Schule. Andererseits: Ist es nicht eine einmalige Gelegenheit für ein Kind, von Beginn seiner Schulzeit an eine neue Sprache zu lernen? Aus diesem Grund haben wir uns schließlich für eine ganz normale frankophone belgische Schule entschieden.

Es kommt also der erste Schultag. Sohnemann schaut sich um, hört zu, ist verwirrt, will mit uns zurück. Doch das geht natürlich nicht. Wenigstens gibt’s keine Tränen. Während er in der Schule ist, überkommen meine Frau und mich Gewissensbisse. Hätten wir ihm das nicht ersparen sollen? Doch meine Frau bringt ihm nachmittags beim Abholen eine heimlich nach Belgien eingeschleuste Schultüte mit, von der er zwar wusste, dessen Existenz er aber völlig vergessen hat. Er ist überglücklich – und erst mal versöhnt.

Wir fragen ihn später, wie es war. Er scheint sich doch ziemlich einsam gefühlt zu haben. Keiner hat ihn verstanden, er hat die anderen nicht verstanden. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl für mich wäre, wenn ich von einem Tag auf den anderen in einer, sagen wir, russischsprachigen Umgebung arbeiten müsste?

Kinder in einer Schulklasse
Wenn die Eltern umziehen, müssen sich auch die Kinder auf eine neue Umgebung und manchmal eine neue Sprache einstellenBild: picture-alliance/dpa

Da die Lehrerin über die Schwierigkeiten unseres Sohnes informiert ist, hat sie ihm schließlich einen Aufkleber auf das T-Shirt geheftet. Darauf steht neben dem Namen ein Achtung-Verkehrsschild und das Wort Allemand. Mit anderen Worten: Vorsicht, ein Deutscher! Wie soll man das denn verstehen? Kehrt die deutsche Besatzungszeit durch einen Sechsjährigen zurück? Die Zweideutigkeit haben wir ihm natürlich nicht erklärt.

Am zweiten Tag ist es ähnlich problematisch mit der Einsamkeit. Der Schulleiter erzählt hinterher, unser Sohn sei in der Mittagspause zu ihm ins Büro gekommen. Er habe ihm – auf deutsch natürlich – lange vom Atomium erzählt, zu dem wir am ersten Nachmittag in Brüssel gefahren sind, und von einem roten Briefkasten. Befragt, warum er dem Schulleiter das alles erklärt habe, sagt unser Sohn dann: "Na ja, wenn er mich mal nach Hause bringen muss, weiß er, wo ich wohne." Wirklich, ein tolles Kompliment an die Verlässlichkeit seiner Eltern!

Die Mittagspause findet auch einen Tag später unter vier Augen mit dem Schulleiter statt.

Aber nach einer Woche Schule läuft’s schon viel besser. Eine ganze Reihe französischer Vokabeln hat der Junge intus, vor allem die Aussprache kann sich hören lassen.

Und am ersten Wochenende in Brüssel erklärt er mir, wie er das Wort Maman gelernt hat. "Ich habe einfach gelauscht", sagt er mir wörtlich, "und da ist ein Mädchen zu seiner Mama gerannt und hat ‚Maman, Maman’ gerufen, und da wusste ich, dass Mama auf französisch Maman heißt."

Ich muss denken: Genau, so macht man das. Wahrscheinlich müssen wir uns um ihn keine großen Sorgen machen, jedenfalls nicht in dieser Hinsicht.