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"Schutzverantwortung sollte greifen"

Sven Pöhle14. Juni 2013

Bei der Schutzverantwortung gehe es darum, Regime dazu zu bewegen, das Völkerrecht zu achten, sagt Edward Luck. Der frühere UN-Sondergesandte erklärt das Konzept und warum es in Syrien bislang nicht greift.

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Edward Luck, ehemaliger UN-Sondergesandter für Schutzverantwortung (Foto: STAN HONDA/AFP/Getty Images)
Bild: Stan Honda/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Worum handelt es sich bei der Schutzverantwortung, der sogenannten Responsibility to Protect?

Edward C. Luck: Die Schutzverantwortung ist ein Konzept, auf das sich die Staaten der Welt auf dem UN-Weltgipfels im Jahr 2005 geeinigt haben. Dort hat man festgelegt, dass man die Zivilbevölkerung der Welt vor Genozid, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschheit schützen will. Dazu hat man einige Mechanismen abgesteckt, beginnend mit diplomatischen Verhandlungen und humanitärer Hilfe bis hin zu wirtschaftlichen Sanktionen oder militärischen Maßnahmen. Diese sollen angewendet werden, falls Staaten es nicht schaffen, ihre Bevölkerung ausreichend zu schützen.

Es gab ja bereits zuvor humanitäre Interventionen. Was ist das neue an der Schutzverantwortung?

Die humanitäre Intervention wurde oft unilateral genutzt, indem ein Staat einfach in einem anderen intervenierte. Die Schutzverantwortung ist eine Alternative dazu. Sie funktioniert multilateral und nutzt die internationalen Institutionen sowie das Völkerrecht. Der wichtigste Aspekt der Schutzverantwortung ist die Prävention. Sie soll Staatsoberhäuptern und bewaffneten Gruppen bewusst machen, dass es internationale gesetzliche Bestimmungen gibt und dass sie, falls sie diese nicht einhalten, vor Gericht für ihre Verbrechen verantwortlich gemacht werden können.

Ändert die Schutzverantwortung das Völkerrecht?

Wir haben das Völkerrecht mit der Schutzverantwortung nicht neu erfunden. Die Schutzverantwortung bezieht sich darauf. Als vereinbartes Konzept gibt sie der Staatengemeinschaft eine Fülle von Instrumenten, um existierendes Völkerrecht umzusetzen. Diese Mittel hat es im vergangenen Jahrhundert nicht gegeben: Wir hatten den Holocaust, die Killing Fields in Kambodscha, den Völkermord in Ruanda oder das Massaker von Srebrenica. Das 20. Jahrhundert wurde von diesen Kriegsgräueln geprägt und wir wollen nicht, dass sich dies im 21. Jahrhundert wiederholt.

Wer entscheidet darüber, ob und wann die Schutzverantwortung zum Einsatz kommt?
Präventive Maßnahmen können durch den UN-Generalsekretär oder die Generalsekretäre der großen regionalen Organisationen getroffen werden. Zwangsmaßnahmen, wie der Einsatz militärischer Gewalt, benötigen die Autorisierung des Sicherheitsrats. Dies ist bislang nur im Falle Libyens geschehen.

Kritiker der Schutzverantwortung sagen, dass das Konzept im libyschen Sand stecken geblieben ist. Ist es inzwischen wirkungslos?

Die militärische Intervention in Libyen ist umstritten. Ich glaube aber, dass das Mandat zum Schutz der Bevölkerung notwendig war und dass durch den Einsatz zehntausende Leben gerettet wurden. Es stimmt aber, dass einige westliche Staaten das Mandat erweitern und einen Regimewechsel erzwingen wollten. Bei der Schutzverantwortung geht es um die Frage, ob ein Regime das Völkerrecht achtet und nicht darum, wer an der Spitze eines Regimes steht. Ein Regimewechsel – selbst wenn er in Libyen notwendig gewesen wäre - war von der Resolution des Sicherheitsrats nicht gedeckt.

Warum findet die Schutzverantwortung in Syrien keine Anwendung? Über 90.000 Tote sollten doch ein gutes Argument für ein Eingreifen der Staatengemeinschaft sein.

Die Schutzverantwortung ist ein Prinzip und kein taktisches Mittel. Sie befasst sich mit Werten, muss sich aber an den Gegebenheiten der realen Welt messen: an geopolitischen, strategischen und an Sicherheitsinteressen. Es gibt Fälle, und Syrien ist leider einer, in denen der internationale Druck auf Staaten nicht hoch genug ist. Länder, die diesen Druck ausüben könnten, haben andere Prioritäten als den humanitären Aspekt der Schutzverantwortung. Das Problem ist, dass wir weder die Kriegsparteien in Syrien überzeugen können, das Völkerecht zu achten, noch effektive Mittel haben, um sie dazu zu zwingen. Denn der Sicherheitsrat kommt in der Frage von Sanktionen oder einer militärischen Intervention nicht zu einem einstimmigen Urteil.

Dennoch: Die Schutzverantwortung sollte für Syrien greifen. Was als friedlicher Protest begann ist inzwischen ein Bürgerkrieg geworden, der immer stärker von Glaubensgegensätzen geprägt ist. Das könnte zu immer schlimmeren Kriegsverbrechen und Racheakten führen. Das Leid der Zivilbevölkerung ist entsetzlich. Derzeit passieren unvorstellbare Gräuel, die auch den verwundbarsten Teil der Gesellschaft treffen: Kinder, Frauen und die Älteren.

Wir haben eine Regierung, die willens ist, die eigene Bevölkerung abzuschlachten. Auf der Gegenseite haben wir eine militärische Opposition, die ebenfalls das Völkerrecht ignoriert. Das ist eine komplizierte Situation und die Schutzverantwortung ist kein Allheilmittel dafür. Aber wir haben theoretisch immer noch die Chance, durch Präsenz in Syrien die allerschlimmsten Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Dies könnte durch UN-Friedenstruppen, internationale Polizeitruppen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus aller Welt geschehen.

Der US-Geheimdienst hat offenbar Beweise dafür, dass Assad Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Ändert das etwas bezüglich der Schutzverantwortung?

Der Einsatz von Chemiewaffen wäre ein Kriegsverbrechen. Aber alle Opfer in Syrien sind inakzeptabel und letztlich müssen diejenigen, die sie einsetzen ebenso wie alle anderen Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden. Denn eins dürfen wir nicht vergessen: Andere Regime schauen sehr genau auf Syrien. Wenn dort Kriegsverbrecher ohne Strafe davon kommen, wäre dies ein sehr schlechtes Vorbild.

Edward C. Luck ist Professor für Internationale Beziehungen und Dekan an der Joan B. Kroc School of Peace Studies an der Universität von San Diego. Von 2008 bis 2012 war er Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung.

Das Gespräch führte Sven Pöhle