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Lynchjustiz in Afrika

Theresa Krinninger 4. Mai 2016

Diebe werden gesteinigt, Einbrecher totgeprügelt: In vielen Ländern Afrikas nehmen Bürger das Gesetz in die eigenen Hände. Die Gewalt wächst - denn der Polizei traut niemand.

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Lynchjustiz in Burundi (Foto: Getty Images/AFP/A. Vincento)
Bild: Getty Images/AFP/A. Vincento

DW-Korrespondent Eric Ponda dachte, er müsse sterben. Im vergangenen Jahr ist er nach einem Reporter-Einsatz auf dem Weg nach Hause. Plötzlich gibt sein Auto den Geist auf. Ponda will an den Straßenrand fahren, da taucht ein Fußgänger auf. Der Wagen streift ihn am linken Bein. Eric Ponda hält sofort an. Dann bricht die Gewalt aus.

"Menschen kamen wütend aus ihren Häusern gestürmt. Sie haben mich geschlagen und meine Ausrüstung aus dem Auto geklaut." Doch dann kommt ein Polizeiwagen vorbei. "Das war meine Rettung. Wenn die Polizei nicht vorbeigefahren wäre, hätten sie mein Auto und vielleicht auch mich angezündet", sagt der DW-Korrespondent. Er zeigt den Angriff auf sich an - ohne Erfolg. "Du kannst ja nicht beweisen, wer es getan hat", sagt Ponda. In der Region um Mombasa passierten solche Angriffe ständig, sagt er.

Mehr als 500 Tote pro Jahr

2011 hat die kenianische Polizei erstmals die Kategorie "Lynchjustiz" in ihre Kriminalstatistik aufgenommen. Die Beamten verzeichneten 543 Opfer. In Uganda starben 2014 582 Menschen durch Lynchmorde. Das waren im Schnitt 1,6 Fälle pro Tag. In Malawi haben Mobs nach Angaben der Vereinten Nationen in den vergangenen Monaten 16 Menschen auf grausame Weise umgebracht.

In Südafrika nennt man es "Kette anlegen", wenn wütende Bürger dem mutmaßlichen Übeltäter einen mit Benzin gefüllten Autoreifen umhängen und ihn bei lebendigem Leib verbrennen. Solche Fälle passieren jedes Jahr mehrmals.

Selbst Politiker können in Gefahr geraten. Im April zerrte eine wütende Menge den Parlamentsabgeordneten Bukalo Saraki auf einen Marktplatz von Nigerias Hauptstadt Abuja. Die Menschen rissen ihm die Kleider vom Leib und beschmierten ihn mit demütigenden Parolen. Grund für den Übergriff: Soziale Medien hatten behauptet, der Senator habe sich illegal bereichert.

Ein Polizist kniet vor einem mutmaßlichen Täter und schützt ihn vor einer wütenden Menge (Foto: picture-allianc/dpa/K. Ludbrook)
Oft kommt die Polizei zu spät, um mutmaßliche Täter vor dem Lynchen zu schützenBild: picture-allianc/dpa/K. Ludbrook

"Kollektives Bestrafen stärkt Gemeinschaftsgefühl"

Warum werden normale Bürger plötzlich zu Mördern? Die Kriminologin Gail Super von der Universität Kapstadt gibt sozialen Problemen und der Schere zwischen Arm und Reich die Schuld. "Besonders in armen und informellen Siedlungen, also dort wo Diebstahl eine große existenzielle Bedrohung ist, kommen Lynchmorde häufiger vor", so Super. "Man darf auch nicht vergessen, dass kollektives Bestrafen das Gemeinschaftsgefühl stärkt", sagt die Forscherin im Gespräch mit der DW. Die Menschen wollten mit den Mob-Attacken zeigen, dass ihre Gemeinschaft Kriminalität nicht toleriere.

Viele Menschen in Afrika halten Lynchjustiz für ein effektiveres Mittel der Kriminalitätsbekämpfung als ihre eigene Polizei. In einer ganzen Reihe von Ländern fehlt es der an Personal. Zum Beispiel Nigeria: Medienberichten zufolge beschwerte sich der nigerianische Polizeichef Solomon Arase kürzlich darüber, dass es im Bundesstaat Niger weniger als 8000 Polizisten gebe. Das ist etwa ein Polizist auf 494 Einwohner.

Zudem gilt die Polizei in den meisten Ländern Afrikas als korrupt und demotiviert. "Viele Menschen vertrauen der Polizei nicht und bezweifeln, dass die Beamten etwas gegen die hohe Kriminalität tun können", sagt Lizette Lancaster im DW-Interview. Sie leitet die Forschungsgruppe "Kriminalität und Recht" am Institut für Sicherheitsstudien in Südafrika.

Rechtsfreie Räume

Besonders unüberschaubar sei die Lage in den Großstädten. "Die Polizei kommt oft zu spät, wenn etwa eine andere Gruppe das Opfer gefunden hat. Die Menschen leben dort in einem rechtsfreien Raum", sagt Lancaster. Neben der Polizei fehlten dort auch traditionelle Autoritäten, die für Recht und Ordnung sorgten.

DW-Korrespondent Eric Ponda hat nach seinem Erlebnis auch kein gutes Bild mehr von der Polizei. Zwar habe sie durch ihre Anwesenheit den Mob aufgelöst, aber weiter nichts unternommen. "Am Ende kann es dir passieren, dass du alles verlierst, deinen Besitz, dein Auto und auch noch dein Leben", sagt Ponda. Er fährt weiter durch Mombasa - aber jetzt nur noch mit einem flauen Gefühl im Magen.