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Politik

Grüne Hochburg Heidelberg

Elizabeth Schumacher
28. August 2017

In Heidelberg sind die Grünen beliebt wie kaum anderswo in Deutschland. Die Bürger der Stadt sind das ideale Zielpublikum: Sie sind gebildet, kosmopolitisch und wohlhabend. Doch kämpfen muss die Partei auch dort.

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Deutschland Schloss Heidelberg
Bild: Imago/imagebroker/M. Lange

"Wenn man so viel besitzt, kann man nach höheren Idealen streben". Die Frau, die ihre kleine Tochter im Kinderwagen durch die Straßen der malerischen Altstadt von Heidelberg schiebt, ist selbstbewusst. Ja, Heidelberg habe einen Ruf als Hochburg der Grünen. Im Kleinen zeigt sich das einige Schritte weiter: An einer Straßenecke verteilt eine junge Frau gewissenhaft ihren Müll auf vier verschiedene Recycling-Container.

Kosmopolitisch, gut ausgebildet, bewusst alternativ, idealistisch und wohlhabend - mit diesen Worten lassen sich die Bürger Heidelbergs ebenso präzise beschreiben wie typische Wähler der Grünen.

Heidelberg und andere Städte im Südwesten der Republik wie Freiburg und Tübingen sind stolz darauf, politisch "grüne" Städte zu sein. Alle drei liegen im wohlhabenden Baden-Württemberg, wo Winfried Kretschmann 2011 zum ersten grünen Ministerpräsident gewählt wurde. Die Unterstützung blieb hoch, 2016 wurde er in seinem Amt bestätigt.

Auch vier Wochen vor der Bundestagswahl sieht es für die Grünen in Heidelberg und den anderen Städten gut aus: Rund 20 Prozent der Bürger wollen der Partei Umfragen zufolge ihre Stimme geben - das ist mehr als das Doppelte des nationalen Durchschnitts. Der liegt derzeit bei rund acht Prozent.

Heidelberg Kunstaustellung
Die Träume der Anderen: Grüne bei der Eröffnung einer Fotoausstellung in HeidelbergBild: DW/E. Schumacher

Darfur interessanter als Duisburg

"Das ist eine Stadt, die offen für Dialog offen ist. Es ist egal, woher du kommst. Es zählt nur, wohin wir gehen", sagt Franziska Brantner, die für Heidelberg als Abgeordnete der Grünen im Bundestag sitzt. Und obwohl die Gründen als die Partei gelten, die sich womöglich mehr für die verfolgten Bewohner im sudanesischen Darfur als für von Arbeitslosigkeit geplagte Städte im Ruhrgebiet oder in Ostdeutschland interessiert, wirkt Brantners Enthusiasmus aufrichtig.

An diesem Tag eröffnet die junge Abgeordnete eine Ausstellung von Fotografien aus dem Iran. Das Publikum in der Ausstellung ist bunt gemischt, vertreten sind die verschiedensten Altersgruppen und Hautfarben. Nach Brantners Einleitung stellen die Besucher dem iranischen Kurator Fragen zu den Fotos. Die handeln überwiegenden von jungen Frauen aus seinem Heimatland und von ihren Träumen von der Zukunft.

Heidelberg Speed Dating
Wähler von morgen: "Speed-Dating" an einer Heidelberger SchuleBild: DW/E. Schumacher

"Speed Dating" in der Schule

Dieses authentische und zugleich leicht paternalistische Interesse und Engagement ist typisch für den Charakter und die Politik der Heidelberger Grünen. Einen Tag nach dem Zwischenstopp bei der Ausstellungseröffnung trifft sich Brantner mit ihren Konkurrenten aus den anderen großen politischen Parteien des Wahlbezirks zu einem "Speed ​​Dating", einer Veranstaltung in einer Heidelberger Schule. Nach dem katastrophalen Abschneiden bei den Bundestagswahlen 2013, als die Grünen mit Forderungen nach einer Steuererhöhung ihre eigene Klientel abschreckten, konzentriert sich die Partei nun auf die nächste Generation. Zu ihren Themen gehören etwa die Förderung von Bildungsalternativen und die Korrektur des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen.

Widerspenstiger Nachwuchs

Diese Art von Engagement verkörpern vielleicht am besten die so genannten Campus-Grünen. Die im Umfeld der Universität aktive Gruppe hält den oppositionellen Geist der Grünen hoch - und zwar so sehr, dass ihre Mitglieder sich offen weigern, sich der Linie der Mutterpartei anzupassen. Damit erweisen sie sich als wahre Erben der Gründungsprinzipien der 1980er Jahre, als die Partei eine Kultur des zivilen Ungehorsams präsentierte, sich gegen Atomwaffen engagierte und für die Legalisierung von Cannabis stritt.

"Wir sind mit einigen Richtlinien der Landesregierung nicht einverstanden - zum Beispiel den Universitätsgebühren", sagt Anja Popp. Sie und ihre Mitstreiter stehen im dichten Sommerregen und verteilen Flyer, die die Studenten animieren sollen, im September ihre Stimme abzugeben.

Jetzt, wo sie in Baden-Württemberg zusammen mit dem Junior-Partner CDU im Heimatland von Mercedes und Porsche die Regierung bilden, muss es schwierig für sie sein, sich ihrer Wurzeln zu besinnen und eine entsprechende Politik zu vertreten.

Besser in der Opposition? 

"Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass sie in der Regierung sein sollten", sagt Jörg, ein Akademiker in den 30ern, aufgewachsen in Heidelberg. "Ich wähle sie, auch wenn einige ihrer Positionen haltlos sind oder von anderen Parteien übernommen wurden. Aber ich denke, Themen wie Tierquälerei und alternative Energie sollten im Parlament besprochen werden. Trotzdem sind mir die Grünen in der Opposition lieber."

Ohnehin würde Jörg, wie viele andere Heidelberger, lieber darüber reden, wie hervorragend sich die Stadt um Flüchtlinge kümmert und welch guten Ruf sie als internationales Reiseziel hat.Es scheint, als gelte Politik in Heidelberg als unpassendes Gesprächsthema, für eine höfliche Unterhaltung nicht geeignet.Christiane Link, Leiterin der erfolgreichen, vor über 30 Jahren von mehreren Grünen gegründeten Bio-Bäckerei Mahlzahn, bestätigt diesen Eindruck. "Wir haben eine große Universität und eine sehr gebildete Bevölkerung in Heidelberg", sagt sie. In einer Industriestadt wie dem benachbarten Mannheim oder auch mitten auf dem Land wäre ihre Bäckerei wohl kaum so erfolgreich wie in Heidelberg, räumt sie ein. Doch auf die Frage nach den politischen Präferenzen ihrer Kundschaft will sie partout keine Antwort geben.

Heidelberg Fußball Weltliga
Junge Mitglieder der "Weltliga" in HeidelbergBild: DW/E. Schumacher

"Es geht um Politik“

Am treffendsten umreißt die Haltung der Heidelberger vielleicht Uwe Hollmichel: "Es geht nicht um Menschen. Es geht um Politik!"

Der Bankkaufmann Hollmichel verbringt seine Freizeit als freiwilliger Betreuer eines örtlichen Jugendsportvereins, der das Fußballturnier "Weltliga“ organisiert. Im Jahr 2015 konnte die "Weltliga“ sich rühmen, mehrere hundert Flüchtlinge in ihren Reihen zu haben. Inzwischen ist ihre Zahl wieder auf 30 oder 40 geschrumpft, da die meisten der jungen Ankömmlinge Arbeitsplätze, Praktika oder Studienplätze bekommen haben - eine erfreuliche Entwicklung, wie Hollmichel betont.

Obwohl die Grünen bei den anstehenden Wahlen zur kleinsten Oppositionsgruppe im Bundestag schrumpfen könnten, scheint es, als müssten sie sich zumindest in Baden-Württemberg keine sonderlichen Sorgen machen. Die politische Loyalität, auf die viele ältere Parteien lange bauen konnten, dürfte sie zumindest im Südwesten der Republik im September zum Erfolg führen.