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Mütterchen Russland zählt

Gerald Labitzke17. Oktober 2002

"Wie viele schöne Frauen gibt es in Russland?" Diese Frage eines bekannten sowjetischen Schlagers kann bald schon beantwortet werden: Die erste Volkszählung seit 13 Jahren ist zu Ende.

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Mit guten Beispiel voran: Präsident Wladimir PutinBild: AP

Schmissige Werbung tat not, da die Vorbehalte der Russen gegen das Projekt Volkszählung groß waren. Trotz der anonymen Befragung der Bürger ist das Misstrauen gegenüber einer staatlichen Erhebung persönlicher Daten erheblich. Viele befürchten, dass die Daten an das Finanzamt weitergegeben werden könnten. Ein verständliche Sorge in einem Land, in dem die Mehrheit falsche Angaben über das Einkommen macht oder das Leben durch Schwarzarbeit finanziert. Andere verweigern sich aus politischem Protest dem neu erwachten Interesse des russischen Staates an dem Individuum. In Kursk etwa verweigern Bürger die Zählung, weil ihre Wohnungen trotz des beginnenden Winters immer noch nicht beheizt werden.

"Werde Teil der Geschichte"

Die Volkszählung hat, wie es der offizielle Werbeslogan "Schreib Dich in die Geschichte Russlands ein" verdeutlicht, tatsächlich eine historische Dimension. Seit der letzten Volkszählung 1989 in der Sowjetunion ist ein völlig anderes Russland entstanden. Zwar sind die fundamentalen wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche augenscheinlich, aber mangels statistischer Daten bisher schwer greifbar. Weder über die genaue Einwohnerzahl, noch das Verhältnis zwischen Stadt- und Landbevölkerung kann derzeit Auskunft gegeben werden. Grund genug für die russische Regierung eine Volkszählung durchzuführen, da präzise Daten für die Modernisierungsprojekte Präsident Putins unabdingbar sind.

Seit dem 9. Oktober wurden in alle russischen Haushalte von St. Petersburg bis ins 11.000 km entfernte Wladiwostok eine halbe Million offizielle Volkszähler entsandt. Es sind meist Studenten, die an den Türen klingeln. Ausgestattet mit dem offiziellen Ausweis, einer Taschenlampe und einer Trillerpfeife, um Hilfe rufen zu können. Die Volkszähler erhalten damit einen umfassenden Eindruck des neuen Russlands. Sie kommen in die Penthäuser der neuen Reichen und in die schäbigen Gemeinschaftswohnungen, in denen mehrere Generationen auf engstem Raume hausen müssen. Und sie stellen immer wieder dieselben 16 Fragen. Neben den persönlichen Daten sollen die Einkommensquellen, die Familiengröße, das Arbeitsverhältnis, die Art der Ausbildung und die ethnische Zugehörigkeit erhoben werden.

Angst vor Kriminellen

Daneben wurden ein Telefonservice und spezielle Büros eingerichtet, in denen die Befragungen durchgeführt werden. Dadurch sollen auch die Russen von der Teilnahme an der Erhebung überzeugt werden, die befürchten, von sich als Volkszähler ausgebenden Kriminellen ausgeraubt zu werden.

Das Problem, alle Menschen einer Region zu zählen, wird vor allem auf dem Land den Volkszählern einige Mühe kosten, wenn es etwa gilt, jakutische Pelztierjäger oder tschetschenische Bergbewohner ausfindig zu machen. Es werden aber keine Kosten und Mühen gescheut. Selbst die drei Kosmonauten in der internationalen Raumstation bekamen öffentlichkeitswirksam den Erhebungsbogen zugesandt.

Positive Zwischenbilanz

Trotz aller Schwierigkeiten zog die federführende Statistikbehörde Goskomstat eine positive Zwischenbilanz. Anscheinend verweigerte sich nur eine Minderheit der Zählung. Deshalb sind die Hoffnungen der russischen Regierung groß, dass die Volkszählung verlässliche Daten über den Status quo des neuen Russlands liefern wird. Wurden zu Sowjetzeiten einige Ergebnisse schon aus politischen Gründen verschwiegen, so sollen die Ergebnisse diesmal wissenschaftlich ausgewertet und in den nächsten Jahren veröffentlicht werden. So ist zu hoffen, dass die Erkenntnisse der Volkszählung als Grundlage für wirtschaftliche und soziale Reformen genutzt werden, die Russland so dringend benötigt.