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Macher ohne Macht: Japans Premier Naoto Kan

17. März 2011

Japan und die Welt schauen auf Naoto Kan. Der japanische Ministerpräsident ist zum obersten Krisenmanager des Landes geworden. Alexander Freund, der Japan-Experte der Deutschen Welle, über den 64-Jährigen.

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Portrait Naoto Kan (Foto: AP)
Premier Naoto KanBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Freund, Naoto Kan ist erst seit Juni 2010 Regierungschef und steht jetzt vor einer Riesenaufgabe. Inwieweit ist er bisher seiner neuen Rolle als oberster Krisenmanager gerecht geworden?

Alexander Freund: Wir sehen diesen zierlichen Mann in seinem blauen Arbeitsoverall und die ganze Welt fragt sich: wird er seiner Aufgabe gerecht? Ich glaube, nach japanischer Einschätzung wird er seiner Aufgabe gerecht. Er hat sehr schnell reagiert, im Gegensatz zu früheren Krisen. Er hat sehr schnell die Armee in Bewegung gesetzt, das war damals beim Erdbeben 1995 in Kobe anders, da blieben Hilfslieferungen lange liegen. Er hat sich sehr schnell um Transparenz bemüht. Und er weiß, wovon er redet. Er hat Physik studiert, bevor er in die Politik eintrat. Und auch wenn er für uns vielleicht manchmal ein bisschen zögerlich wirkt, die Japaner vertrauen ihm, weil er eben für einen andern Politiktypus steht. Er ist offener, er ist direkter und er scheut sich auch nicht, verkrustete Strukturen aufbrechen zu wollen.

Nun hat das Erdbeben Japan mitten in einer schweren politischen Krise getroffen. Das Land ist hoch verschuldet. Die Opposition blockiert wichtige Reformen. Naoto Kan selbst soll kurz vor dem Rücktritt gestanden haben. Hat er überhaupt noch genügend politischen Rückhalt und Macht, um eine Katastrophe dieses Ausmaßes zu meistern; auch wenn er in der Bevölkerung gut ankommt?

Portrait Alexander Freund (Foto: DW)
Alexander FreundBild: DW

Er hat noch die Macht, weil er momentan einfach den Rückhalt der Bevölkerung genießt. Zwar ist er ist innenpolitisch schwer angeschlagen, auch in der eigenen Partei gibt es viele Neider und Gegner. Die Opposition hat versucht, ihn sturmreif zu schießen. Aber er ist ein erfahrener Krisenmanager. Das hat er im Jahr 1996 schon einmal bewiesen. Da gab es einen sehr schlimmen Skandal in der japanischen Politik, wo HIV-verseuchte Blutkonserven an Bluter, also Hämophilie-Kranke, in Japan geliefert wurden. In diesen Skandal war auch das eigene Ministerium, also sein Gesundheitsministerium, verwickelt. Er hat sich trotzdem nicht gescheut, sensible Daten an die Öffentlichkeit zu geben. Das hat ihm natürlich viel Missgunst auch von Seiten der Administration eingebracht. Aber in der Bevölkerung hat er dadurch einfach den Ruf, offen und unkonventionell Probleme anzugehen, und wenn es sein muss, auch zuzugreifen.

Transparenz war ja noch nie ein Markenzeichen japanischer Informationspolitik. In Krisenzeiten ging man immer sehr spät an die Öffentlichkeit. Ministerpräsident Kan verhält sich hier ganz anders. Er hat unter anderem Hilfe von außen angefordert und den Kraftwerksbetreiber öffentlich hart kritisiert. Wie ist das zu bewerten?

Er hat diese massive Kritik an der desolaten Informationspolitik des wirklich hoch dubiosen Betreibers Tepco zwar nicht in die Mikros der Weltöffentlichkeit gesagt, aber er hat es so laut gesagt, dass die Kollegen von der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo es unbedingt mitbekommen sollten. Er ist für japanische Verhältnisse wirklich ausfällig geworden. Er hat diese Betreibergesellschaft komplett in die Pflicht genommen und gesagt: 'Was zum Teufel ist da los?' Das ist sehr untypisch. Kan hatte beim Amtsantritt versprochen, die breite Bevölkerung bei Entscheidungen einbeziehen und sich möglichst transparent verhalten zu wollen. Natürlich ist er auf die Informationen des Betreibers angewiesen, wir alle können ja nicht in den Reaktor hinein schauen. Es sind nur noch fünfzig Mitarbeiter an den Reaktoren, die dort den letzten Kampf ausfechten. Aber was der Premierminister erfährt, dass gibt Kan offenbar weiter und er versucht natürlich, zu beruhigen, andere sagen, zu beschwichtigen. Aber Kan will alles versuchen, um eine Panik zu vermeiden. Insofern ist es meiner Meinung nach ein anderer Politikstil. Er agiert wirklich transparenter, auch wenn das von westlicher Seite aus vielleicht etwas anders gesehen wird.

Interview: Ralf Bosen
Redaktion: Martin Muno