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Machtkampf im Libanon

14. Februar 2011

Sechs Jahre nach der Ermordung des libanesischen Ex-Premiers Rafik Hariri ist das Land gespalten wie selten zuvor. Viele Sunniten sehen sich nicht mehr ausreichend von der Regierung repräsentiert.

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Porträt von Nadschib Mikati (Foto: dpa)
Hat Libanons Premier Nidschab Mikati die Mehrheit der Sunniten hinter sich?Bild: picture-alliance/dpa

Am 14. Februar 2005 wurde der ehemalige Premier des Libanon, der Sunnit Rafik Hariri durch eine Autobombe getötet. Am Montag (14.02.2011) hat sich die Tat zum sechsten Mal gejährt. Noch immer ist der Mord nicht aufgeklärt, aber ein Sondertribunal in Den Haag steht kurz davor, erste Anklagen zu erheben. Berichte, dass Hisbollah-Anhänger mit auf der Anklagebank sitzen sollen, haben die innenpolitische Krise in Beirut verschärft. Die schiitische Hisbollah und ihre Verbündeten haben im Streit um den Umgang mit dem Tribunal die Regierung von Saad Hariri, dem Sohn des Ermordeten, Mitte Januar zum Rücktritt gezwungen. Als neuer Premier wurde Nadschib Mikati, ein Geschäftsmann aus Tripoli, ernannt – ein Schritt, den viele Sunniten im Libanon nicht akzeptieren, so auch Hassan Khalaf.

"Wir werden auf die Straße gehen wie die Ägypter"

Um Hassan und ihr Mann Merhi Khalaf sitzen in ihrem Wohnzimmer (Foto: Birgit Kaspar/dw)
Um Hassan und ihr Mann Merhi Khalaf in ihrem Wohnzimmer in TripoliBild: DW

In Um Hassans kleinem Wohnzimmer in der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli riecht es nach starkem Kaffee. Es ist kalt in dem kleinen Wohnzimmer der Familie Khalaf. Aus einem Wandregal lächeln der getötete Rafik Hariri sowie sein Sohn und politischer Nachfolger Saad von Porträtfotos herunter. Die Familie Khalaf verehrt die beiden sunnitischen Politiker als ihre einzigen Hoffnungsträger. Um Hassan, die einen pinkfarbenen Trainingsanzug, passende Pantoffeln und eine orange Mütze – statt eines Kopftuches – trägt, ist heute noch entsetzt über den Anschlag auf Rafik Hariri. "Wir wollen wissen, wer ihn umgebracht hat. Heute, nicht morgen!" Wenn die Täter nicht bestraft würden, dann werde man es selbst in die Hand nehmen. "Wir werden auf die Straße gehen wie die Ägypter."

Eine neue Regierung unter dem sunnitischen Geschäftsmann Mikati – denn der Ministerpräsidentenposten ist im Libanon einem Sunniten vorbehalten – kann Um Hassan nicht akzeptieren. "Wir wollen, dass Scheich Saad das Land führt. Die neue Regierung bestiehlt uns." Die 43-jährige Mutter von sechs Kindern wirft Mikati, der von einer Koalition um die Hisbollah unterstützt wird, vor, die Seiten gewechselt zu haben. Ihr Gesicht wird besonders hart, wenn sie von der Hisbollah spricht. "Ich habe Angst vor Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Er beraubt uns Sunniten unserer Rechte." Alle Sunniten, die nicht hinter Hariri stehen, bezeichnet Um Hassan als ihre Feinde. Sie würde selbst mit ihrer Schwester nicht mehr reden, wenn sie das Lager wechselte.

"Es ist Unsinn, dass die Sunniten eine Niederlage erlitten haben"

Parlamentarier Ahmed Karameh sitzt auf einem Sofa (Foto: Birgit Kaspar/dw)
Parlamentarier Ahmed KaramehBild: DW

Riesige Hariri-Poster hängen in Tripoli von Balkonen herab. Nur wenige Meter entfernt lächelt Mikati in gleicher Größe von einer Hauswand. Wie Um Hassan hält ein Teil der Tripolitaner Hariri für den einzig möglichen Sunnitenführer. Ein anderer zieht Mikati als einen Mann des Ausgleichs statt der Polarisierung vor. Der Parlamentarier Ahmed Karameh, ein Alliierter Mikatis, weist das Gerede von einem Putsch gegen Hariri zurück. "Natürlich ist Saad Hariri die Nummer 1 unter den Sunnitenführern." Aber das bedeute keinen exklusiven Führungsanspruch, so Karameh. Im Libanon habe es viele Premierminister gegeben. "Es ist Unsinn, dass die Sunniten eine Niederlage erlitten haben, nur weil Hariri nicht mehr Premier ist. So ist es nicht."

Saad Hariri hatte seinen Gegnern nach seinem erzwungenen Rücktritt "politischen Mord" vorgeworfen. Das sind Worte, die Zündstoff bergen, nachdem sein Vater 2005 tatsächlich getötet wurde. Der konservative sunnitische Scheich Mohammed Khodr verurteilt solch "aufrührerische Rhetorik". Einige Politiker versuchten dem Konflikt im Libanon ein religiöses Gesicht zu geben, sagt der 42-jährige Khodr. Als ginge es um Sunniten gegen Schiiten oder gar Sunniten gegen Sunniten. "Dabei ist dies ein rein politischer Machtkampf zwischen zwei Achsen, der pro-westlichen um Hariri und seiner Anhänger sowie der von Syrien und Iran unterstützten Koalition um die Hisbollah." Die Sunniten würden nicht von den Schiiten bedroht, sie steckten nur in einer Identitätskrise, meint Khodr. Und die liege nicht zuletzt darin begründet, dass die Sunniten unter "mumifizierten" Führern litten, wie in Ägypten.

Porträt von Scheich Mohammed Khodr (Foto: Birgit Kaspar/dw)
Scheich Mohammed Khodr, ein konservativer SunnitBild: DW

"Tief in mir sitzt eine große Angst"

Die Revolution in Ägypten inspiriert auch Hassan in Tripoli. Sie wünscht sich, hier würden die Leute auch auf die Straße gehen, um Saad Hariri wieder an die Macht zu bringen. "Wir wollen unsere Rechte wiederhaben, das Recht auf den Premier, das Recht auf politische Mitsprache", klagt die resolute Hausfrau.

Strandpromenade von Tripoli (Foto: Birgit Kaspar/dw)
An der Strandpromenade von Tripoli scheint die politische Unruhe weit wegBild: DW

Sechs Jahre nach dem Tod des nahezu unumstrittenen libanesischen Sunnitenführers Rafik Hariri ist diese konfessionelle Gemeinschaft, die rund ein Drittel der Libanesen ausmacht, gespalten. Es ist ein zusätzlicher Riss, neben den vielen anderen politischen und konfessionellen Gräben, die den Zedernstaat durchziehen. Diese zunehmende Aufspaltung stimmt den Abgeordneten Ahmed Karameh sehr nachdenklich: "Tief in mir sitzt eine große Angst, Angst vor der Zukunft dieses Landes." Das gehe vielen Leuten so, zu Recht. Die Libanesen seien sehr, sehr müde, seufzt Karameh.

Autorin: Birgit Kaspar
Redaktion: Marco Müller