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Machtkampf im Parlament der Ukraine

13. Juli 2006

Das "orange Bündnis" ist gescheitert. Droht das Ende der Reformen in Kiew? Was wird aus dem europäischen Integrationskurs des Landes? Fokus Ost-Südost mit Reaktionen und Analysen zur Lage in der Ukraine.

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Oberster Rat der Ukraine - der "orange Koalition" folgte die "Anti-Krisen-Koalition"Bild: Markian Ostaptschuk

Die Führer der ukrainischen Parlamentsfraktionen der Partei der Regionen, der Sozialistischen Partei und der Kommunisten haben am 7. Juli überraschend einen Vertrag über die Bildung einer Regierungskoalition unterzeichnet. Am Vorabend hatten sie Sozialistenchef Oleksandr Moros zum Parlamentsvorsitzenden gewählt. Die Partner nennen ihren Zusammenschluss "Anti-Krisen-Koalition", die, so die Sozialisten, für Vertreter aller Parlamentsfraktionen offen sei. Als Kandidaten für das Amt des Premierministers stellten die Koalitionspartner den Chef der Regionen-Partei, Wiktor Janukowytsch, auf. Die Sozialisten hatten zuvor offiziell den Austritt aus der Ende Juni gebildeten Koalition mit dem Block Julija Tymoschenko und dem Bündnis Unsere Ukraine verkündet.

Präsident Wiktor Juschtschenko erklärte inzwischen, die demokratischen Kräfte sollten nicht in die Opposition gehen. Sie sollten ihren Einfluss im Parlament maximal aufrechterhalten. Die "Anti-Krisen-Koalition" sei nicht legitim, weil vorgegebene Fristen bei der Bildung dieser Koalition nicht eingehalten worden seien. Zugleich wies er die Nominierung von Wiktor Janukowytsch für das Amt des Premierministers zurück.

Parlamentsauflösung und Neuwahlen?

Präsident Juschtschenko teilte weiter mit, er sei bereit, das Parlament aufzulösen, falls es den politischen Kräften im Obersten Rat nicht gelinge, sich zu einigen. Nach einem Treffen mit dem Parlamentsvorsitzenden Moros sagte er, er sei zu einem solchen Schritt bereit, wenn die Verfassung verletzt würde oder die Verhandlungen zwischen den politischen Kräften ergebnislos blieben. Juristen meinen, als Grund für eine Auflösung des Parlaments könnte die nicht fristgerechte Bildung einer Regierung dienen. Die Frist läuft am 25. Juli ab.

Moros zufolge befürwortet der Präsident eine "breite Koalition". Die präsidentennahe Partei Unsere Ukraine und der Block Julija Tymoschenko vertreten diesbezüglich jedoch unterschiedliche Ansichten. Julija Tymoschenko will Neuwahlen. Experten meinen aber, Neuwahlen würden keine wesentlichen Veränderungen im ukrainischen Parlament bewirken. Der Leiter des Internationalen Kiewer Instituts für Soziologie, Walerij Chmelko, sagte der Deutschen Welle, die Partei Unsere Ukraine und der Block Julija Tymoschenko könnten bei Wahlen nur dann erfolgreich sein, wenn sie gemeinsam antreten würden. Aber ein großes Potenzial für Stimmenzuwachs sieht Chmelko nicht.

Block Tymoschenko warnt vor Verrat

Der Block Julija Tymoschenko würde einen Beitritt der Partei Unsere Ukraine zur Koalition der Partei der Regionen, Sozialisten und Kommunisten als Verrat an den Wählern betrachten. Das sagte der Abgeordnete des Tymoschenko-Blocks, Wolodymyr Polochalo, in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Er hält eine Koalition aus der Partei der Regionen, den Sozialisten, Kommunisten und der Partei Unsere Ukraine allein schon wegen der ideologischen Widersprüche für unmöglich. Falls die Partei Unsere Ukraine der Koalition beitrete, würden die Kommunisten entweder unter Druck oder freiwillig die Koalition verlassen. Polochalo sagte weiter, ein Beitritt von Unsere Ukraine zur "Anti-Krisen-Koalition" würde die präsidentennahe Partei endgültig diskreditieren, die ohnehin schon ihre Popularität verloren habe.

Legitimität der Anti-Krisen-Koalition fraglich

Nach Auffassung von Experten wird das Ringen um die Macht in Kiew kaum von politischen Sachfragen bestimmt. "Die Politiker kämpfen um Posten. Und Interessen unterschiedlicher Gruppierungen prallen aufeinander." Das sagte der Deutschen Welle der Direktor des Forschungsinstituts für Politik und Wirtschaft, Ihor Burakowskyj. Er wies darauf hin, dass bei der Diskussion um mögliche Koalitionen keine Antworten auf wichtige Fragen gesucht würden: Was geschieht mit dem Gasmarkt? Wie wird man sich mit Russland einigen? Leider werde sehr viel über die Verteilung von Befugnissen gesprochen, jedoch nicht darüber wie sie eingesetzt würden, sagte Burakowskyi.

Bleibt Außenpolitik unverändert?

Auch mit einer veränderten Koalition im Obersten Rat werde die Ukraine an ihrem europäischen Integrationskurs festhalten, erklärte inzwischen Präsident Juschtschenko. "Eine Revanche des Kutschmismus" werde es nicht geben. Das Land werde sich weiter in Richtung EU bewegen, versicherte das Staatsoberhaupt. Auch das Außenministerium in Kiew forderte auf, Prognosen keinen Glauben zu schenken, die von einer Änderung des außenpolitischen Kurses aufgrund der Bildung einer neuen Koalition sprechen. Wasyl Filiptschuk, Sprecher des Außenamtes in Kiew sagte, die Außenpolitik bestimme der Präsident.

Der Vorsitzende des Obersten Rates, Moros, versicherte ebenfalls Vertretern des diplomatischen Korps, die in Kiew akkreditiert sind, der Vektor der ukrainischen Außenpolitik bleibe unverändert. Der Experte des Instituts für euroatlantische Zusammenarbeit, Wadym Horbatsch, sagte allerdings der Deutschen Welle, er bezweifele, dass eine Regierung Janukowytsch in der Lage sein werde, die Bevölkerung über die NATO objektiv zu informieren.

DW-RADIO/Ukrainisch, 13.7.2006, Fokus Ost-Südost