1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Machtkampf in der AfD

2. Februar 2022

Der zurückgetretene Co-Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, beklagt "totalitäre Anklänge" in der Partei. Beobachter sehen eine fortschreitende Radikalisierung der Alternative für Deutschland.

https://p.dw.com/p/46L24
Jörg Meuthen AfD
Zurückgetretener AfD-Chef Jörg Meuthen. 2019 sagte er noch: "Ich gebe mein Gesicht für diese Partei sogar gerne."Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus - seit ihrer Gründung im Jahr 2013 kämpft die AfD in Deutschland gegen den Vorwurf, eine antidemokratische Partei zu sein. Dieser Vorwurf hat mit dem unangekündigten Rücktritt des Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen neue Nahrung bekommen. Denn Meuthen bescheinigt seiner Partei eine anhaltende Radikalisierung.

Er sei erschüttert darüber, rechtfertigt Meuthen seinen Abschied auf seiner Facebook-Seite, "bei nicht ganz wenigen Parteimitgliedern immer wieder eine tiefe, auch verbal artikulierte Verachtung für Andersdenkende wie auch für die etablierten und bewährten Mechanismen der parlamentarischen Demokratie erleben zu müssen". Meuthen sieht sich in seinem Versuch gescheitert, die AfD in Deutschland als demokratische Kraft rechts der CDU zu etablieren.

Nähe zu rechtsextremen Netzwerken

Die kurze Geschichte der Partei ist eine lange Geschichte politischer Radikalität. Zahlreiche Mitglieder fielen und fallen durch ihre politische Nähe zum Nationalsozialismus oder dessen Verharmlosung auf. Immer wieder sorgten Spitzenfunktionäre mit rassistischen Provokationen und Ausfällen gegen die deutsche Erinnerungspolitik an die Schrecken der NS-Zeit für Schlagzeilen. Und von Beginn an suchte die AfD die Nähe zu rechtsextremen Netzwerken. Auch wenn die Mitgliedschaft in einer Vielzahl von antidemokratischen Organisationen wie der verfassungsfeindlichen Partei NPD oder der rechtsextremen Identitären Bewegung offiziell ein Ausschlusskriterium für eine AfD-Mitgliedschaft sind - die Partei ist durchsetzt mit verfassungsfeindlichen Mitgliedern. Das dokumentiert der deutsche Inlandsgeheimdienst in einem 1001 Seiten dicken Gutachten.

Deutschland Identitäre Bewegung Rechtsradikale
Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung dürfen offiziell keine AfD-Parteimitglieder sein. Bild: Sachelle Babbar/Zumapress/picture alliance

Trotz, aber teilweise auch wegen dieser Radikalität konnte sich die AfD als Partei etablieren. Im Osten Deutschlands ist sie zu einer der stärksten politischen Kräfte aufgestiegen.

Wirtschaftsliberaler versus völkischer Flügel

Die Partei lebt dabei vom und mit dem Wettstreit ihrer beiden großen Flügel: dem eher wirtschaftsliberalen Lager von nationalkonservativen Kräften und dem ultra-nationalistischen Lager völkischer Sozialpopulisten. Beide Lager eint das Motto: "Deutschland zuerst", die Ablehnung des Islam, eine migrationsfeindliche Grundhaltung und die Verachtung für Gendersprache und Geschlechtervielfalt. Grundsätzliche Unterschiede sind vor allem machttaktischer Natur: Die Nationalkonservativen betonen immer wieder die Bereitschaft zu Koalitionen im sogenannten "bürgerlichen Lager", während die völkischen Kräfte offen die Systemfrage stellen.

Die Widersprüchlichkeit der Lager hat dabei viel zu den Erfolgen der AfD beigetragen. Einerseits konnte sie sich mit ihrer Radikalität klar von allen anderen Parteien unterscheiden und schrill auffallen. Gleichzeitig wirkten die selbsternannten "gemäßigten" Kräfte wie Meuthen auf Skeptiker beruhigend. Nach dem Motto: "So schlimm werden die schon nicht sein."

Meuthen: Wegbereiter radikaler Kräfte

Mit Jörg Meuthen verlässt das Gesicht der selbsternannten "Gemäßigten" die AfD. Sein Herz schlage mittig, sagte Meuthen über sich in einem ARD-Interview. Er habe stets einen Kurs von Maß und Mitte gesucht, erklärte er kurz nach seinem Abgang im Fernsehsender Welt TV am 28. Januar 2022.

Beobachter sehen in ihm dagegen eher den Wegbereiter der radikalen Kräfte. Der Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Matthias Quent, macht ihn als "moderates Feigenblatt maßgeblich für die Rechtsradikalisierung der AfD verantwortlich".

Meuthen selbst stieg erst durch einen Pakt mit den radikalen Kräften zum AfD-Vorsitzenden auf. Und er bediente das rechtsextreme Lager mit rassistischen und systemverachtenden Sprüchen. Auf einer Versammlung der mittlerweile offiziell aufgelösten rechtsextremen Parteiströmung "Der Flügel" um seinen schärfsten Parteiwidersacher Björn Höcke konstatierte Meuthen im Jahr 2017: "Der Flügel ist ein integraler Bestandteil unserer Partei, und das wird er auch in Zukunft immer bleiben." Und Meuthen umgarnte die rechtsextremen Anhänger mit demokratieverachtenden Sprüchen: "Nur gemeinsam können wir eine noch größere Schlagkraft gegen das ganze verkrustete rot-grün-gelb-schwarz versiffte, Deutschland abschaffen wollende Parteienkartell entwickeln", donnerte er auf dem sogenannten Kyffhäusertreffen des "Flügels" im Jahr 2017.

Björn Höcke AfD
Gesicht des radikalen AfD-Parteiflügels: Björn Höcke sympathisiert offen mit verfassungsfeindlichen OrganisationenBild: Martin Schutt/dpa/picture alliance

Offener Hass in der AfD-Spitze

Gleichzeitig kämpfte Meuthen gegen die radikalen Kräfte mit offenem Visier. Legendär bleibt sein Auftritt auf dem AfD-Parteitag in Kalkar im Jahr 2020. Den radikalen Kräften hielt er unter Buh-Rufen entgegen: "Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, in dem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten." Nach der mäßig erfolgreichen Bundestagswahl trat sein Bruch mit großen Teilen des Parteiestablishments offen zutage. Unter den staunenden Blicken der Berliner Hauptstadtpresse lieferte er sich mit den beiden Spitzenkandidaten der Partei, Alice Weidel und Tino Chrupalla, auf dem Pressepodium ein seltenes Schauspiel offener Feindschaft voller gegenseitiger Anklage und Verachtung.

Deutschland AfD Jörg Meuthen
Jörg Meuthen (l.) und die beiden AfD-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2021, Tino Chrupalla und Alice Weidel, trugen ihre Feindschaft vor versammelter Presse aus Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Der Austritt von Jörg Meuthen aus der AfD kommt insofern wenig überraschend - auch wenn er ein politischer Paukenschlag ist. Auch seine Amtsvorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry haben die Partei unter ähnlichen Umständen verlassen. Und immer waren es die radikalen Kräfte, die dabei den Ton angegeben haben. "Vertreter des 'Flügel' und dessen neurechtes Vorfeld haben seit Jahren darauf hingearbeitet, Meuthen aus der AfD zu drängen", analysiert David Begrich vom Verein "Miteinander" in Sachsen-Anhalt. "Sein Versuch, die extreme Rechte innerparteilich einzuhegen oder zu instrumentalisieren, ist seit langem gescheitert."

Deutsche Welle Pfeifer Hans Portrait
Hans Pfeifer Autor und Reporter